Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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sann; dann legt er den Gamsbock auf die Matten, wirft einen Wuthblick auf den Aegidi und fort ist er, und die Andern merken nichts; denn als sie zu dem Aegidi kommen, steht er auf der Matten und hat den Gamsbock umhängen und lacht.
„Hast doch Einen geschossen!“ rufen sie, „Du Lügner!“ Aber er lacht und schüttelt den Kopf und sagt:
„Hab’ ihn einem Baier abgejagt!“
„Wo ist er?“ fragen sie.
„Fort!“ ist die Antwort, und Aegidi klettert ’nauf und weiter sagt er nichts. Er dankt seinem Patron für seinen Schutz vor Nazi’s Kugel, und ihm ist wohl, daß er nicht Rache genommen an seinem Todtfeind und denkt, er hab’s ihn versöhnt und vor Gott recht gethan.
„Da hat er aber bei dem Nazi falsch gerechnet, denn Nazi’s Haß war verdreifacht geworden, und die Schmach fraß an seinem Herzen, wie ein Geier, daß ihn der Aegidi geschont, aber den Gamsbock abgejagt. Er schoß zwar noch einen, „daß er nicht ausgelacht werde,“ als er gegen Abend heim kam, doch sein Blut kochte und er konnt’s nicht vergessen und nicht verwinden, und alle Tage wurmt’s ihm auf’s Neue.
„Mit dem Aegidi aber ging in der nächsten Zeit eine große Veränderung vor und er kriegt ihn nicht mehr auf der Gamsjagd, wie er gehofft. Sein Pater, der Prozelter, brachte einmal eine Ladung Geigen nach Insbruck, und kam da, ich weiß nicht wie, mit einem Offizier von den Mauthnern zusammen. Dem erzählt er Viel von seinem Aegidi, und wie er sehr ein braver Mensch sei und ein guter Sohn, und kennte alle Schliche und Schlüpfe im Gebirg und wär’ grad angetan für einen Grenz- und Mauthwächter und sei besonders bekannt in und um Mittenwalde, von dannen aus der Cigarrenschmuggel in’s Tyrol gehe, wie all’ nichts Gut’s.
Sagt der Offizier:
„Will denn Dein Aegidi das Mauthkäppi aufsetzen?“
„Warum nicht?“ fragt der alte Prozelter; „wenn Ihr’s fertig bringen könntet, Herr Leitnamt? – Auf eine gute Guitarre mit Mechanik, wie man sie jetzt macht, käm’ mir’s nicht an.“
„Der Mauthner schmunzelte vergnüglich, denn er konnt’ so ein Bissel klimpern zu einem Lied an den lieben Mond, wie’s so Sitte ist.
„Kann er auch ein Bissel etwas mit der Feder?“ fragte er weiter.
„Versteht sich,“ antwortete der alte Prozelter. „Er hat schon als Buab dem Schulmeister z’roth’n ufgeb’n, und war Primes uf der obersten Bonk. Thuet, was Ihr könnet!“
„Das versprach der Herr Leitnamt, und der alte Prozelter ging mit fröhlichem G’müth nach Zierl z’rück.
„Und was meint Ihr?“ Die Guitarre zog, und der Aegidi schlupt nach vier Wochen in das grau Röckle mit dem Sammetkrog’n, setzt das Käppi auf, läßt den Schnauzer wachsen, kriegt a’n Stutzen und a’n Sabel und kommt auf die Scharnitz, wo’s z’somm’n hocken und uf d’ Cigorr’n Jagd moch’n und faullenzen.
„Das muß wahr sein, der Aegidi war noch einmal so hübsch in der Uniform, und wenn er Sonntags in die Messe nach Mittenwalde kam, so sahen zwei Augen mit Liebesglanz und zwei mit Gift und Galle nach ihm. Wem sie waren, könnt’ Ihr schon denken. Der Aegidi wußt wohl, warum er den weiten Weg herauf kam, und die Caritas wußt’s auch und auch der Nazi.
„Recht war’s nicht von dem Dirnd’l, daß es Zweie lieb hatte und nicht recht wußt’, welchem es den Vorzug geben sollt’. Aber so ein jung Ding überlegt’s nicht, und wenn der Nazi kam, war’s ihm lieb und hold, und wenn der Aegidi das Dorf ’rauf kam, stand’s allemal am Fenster, und wenn er dann an’s Käppi griff und die drei Finger an’s Schild’l legte, nach Soldatenart, dann schlug eine helle Flamme aus dem schönen Gesicht’l ’raus und die Augen lachten und glänzten, wie zwei Sonnen. Nun meinte Jeder, er wär’ Hahn im Korb und wenn er hörte, der Andri wär’ bei dem Dirnd’l unterm Fensterl g’wesen, wurmt’s ihm g’waltig. Und immer waren Leut’ da, die es dem Aegidi hinterbrachten, wenn dem Nazi es einmal glückte, a Stünd’l zu verplaudern, und die es dem Nazi sagten, wenn die Caritas mit dem Aegidi freundliche Augen machte.
„Das ging so fort bis zum Frohnleichnamsfeste vor zwei Jahren. Da war der Aegidi hier und ein paar Kam’raden von ihm, und hatten Urlaub bis um zehn Uhr. Auch kamen noch Zierler zu ihm her. Und als der Tanz beginnen sollte, holt der Nazi die Caritas. Das hält der Aegidi nicht aus.
„Nun sitzen sie, ehe der Tanz anhebt, an zwei Tischen, hüben die Mittenwalder und drüben die Zierler, und auf dem Hüt’l des Nazi steckt plötzlich die Schildhahnfeder, und das war die Herausforderung zum Raufen.
„Gleich hoben die Trutzlied’l’n an, und ein Zierler singt:
Schärwenzel’, wie D’ willt
Und das Dirnd’l ist mein,
Und Du dalketer Buab, Du –
Laufst doch hinterdrein! –
Und nun jodeln sie alle in heller Lust dazu.
„Ihr müßt wissen, Herr, das ist in den Alpen von Baiern und im Tyrol so die Sitt’, daß solche Lied’l’n und Schnaderhupf’l’n gesungen werden von Einem in dem Trupp, der sie gleich zu machen versteht, und das geht so lang her und hin, bis es losbricht. Kaum ist das Gejodel der Zierler aus, so steht der Nazi auf, wirft’s Hüt’l grimmig in die Luft, fängt’s wieder und knallt mit dem Daumen und Mittelfinger. Dann singt er:
Do hör’ i a’n singen,
Der aber nicks kann!
Und wenn er Kurasch hätt’,
So faß’t er mi an!
Und im wüthendsten Jubel bricht das Gejodel der Mittenwalder los und hallt lange, lange fort.
„Die Musikanten, die merken, wo’s ’naus will und wissen, daß wenn’s ein Raufen giebt, ihr Verdienst am Ende ist, fangen rasch einen Huppser zu geigen und zu pfeifen an, und denken, das könnt’s verhindern, was sie fürchten; aber das war fehlgeschossen, denn wie der Blitz sind sie an einander und die Hiebe fallen mit geballter Faust, und sie fassen sich und hierhin fliegt Einer und dorthin Einer, daß Tisch und Bänke krachen und die Dirnd’l’n schreiend auf die hintern Bänke sich flüchten.
„Caritas steht da, bleich wie eine Leichen, und schaut und schaut nur aus nach dem Aegidi seinem Käppi, ob’s noch oben sei; aber immer verwickelter wird der Knäuel und immer wilder das Toben und Schreien. Da ruft plötzlich der Aegidi: „Ich bin gestochen!“ und fällt zu Boden. In dem Augenblick hört man einen gellenden Schrei und die Caritas sinkt ohnmächtig zusammen.
„Und wie der Blitz ist der Tanzplatz leer von den Mittenwaldern, und die Zierler heben den blutenden Aegidi auf und rufen nach dem Doctor.
„Der kommt und untersucht’ schnell und sagt: „Wenn in der Brust von Deinem Röckle nit a halbes Pfund Werg ein’gnäht wär’, thät Dir kein Zahn mehr weh Dein Lebtag. Der hat wacker g’stoß’n, aber das Messer ist nit eini gang’n weiter bis auf den Knoch’n, und in vierzehn Tag bist wieder heil.“
„Nun verbindet er ihn und die Zierler schaffen ihn auf die Scharnitz. Wer’s than hätt’? Ja, Herr, das wär’ eine kitzliche Frag’ und der Aegidi wußt’s wohl, daß es der Nazi war, denn er rang mit ihm, aber der Aegidi konnt’ sich nicht bewegen, weil sie sich zu sehr auf einen Knäuel gedrängt hatten; da nimmt der Nazi den Augenblick wahr, und stößt ihm das Messer in die Brust.
„Der Landrichter untersucht und untersucht, aber er bringt nichts ’raus und die Geschichten wird vertuscht und es bleibt still. Die Oesterreicher aber verbieten’s ihren Mauthnern, und Keiner darf mehr nach Mittenwalde, nicht einmal in die Meß.
„Nach vierzehn Tagen war der Aegidi heil, wie der Doctor gesagt und es kräht kein Hahn mehr nach der Geschichten. Nur die Caritas war lange krank, und seitdem durft’ ihr der Nazi nicht mehr kommen; sie haßt ihn aus dem Grund ihrer Seele und der Buab weiß wohl, wo’s herkommt und härmt sich und quält sich, daß er aussieht, wie ein Schatten.
„Glaubt nur nicht, Herr, daß die Zweie nun ihre Rechnung abgemacht hätten! Der Aegidi sieht im Geist, wie der Nazi um das Dirnd’l freien werde und der Nazi weiß, daß sie den Aegidi lieb hat und alle Beide hassen sich in den Tod ’nein.
„Dazumal grad wurde heillos geschmuggelt nach Insbruck ’nunter Cigarren über Cigarren, und der Aegidi, der auch seine Leut’ in Mittenwalde hat, weiß, daß der Nazi der ist, der den malefizigen Schmuggel treibt. Sie passen ihm alle auf, Tag und Nacht, aber den Schlaukopf kriegen’s nicht. Der weiß die Schliche, wie ein Iltis, der die Eier stiehlt. Es gilt ihm Geld zu erwerben, weil er doch die Caritas freien will, denn er ist stockblind vor Lieb’
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_130.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)