Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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durchschlug, weil die Bursche eines Ortes die schönsten Mädchen aus dem andern heimführten als ihre Frauen.
„Zweifelt Ihr dran?“ fragte er stutzig.
„Nein, Nein!“ rief ich. „Ich kenne Aehnliches aus den Bergen meiner Heimath. Fahrt nur fort, ich bitte!“
„Nun,“ sagte er, „es ist eine bekannte Geschichte, daß Mittenwald die schönsten Dirndl’n hat zwischen dem Loysachthal und dem Innthal – und da liegen hübsche Bergstöcke und Thäler dazwischen. Ihr könnt’s morgen selber schau’n. Schon von Alters her ist das so gewesen und die Tyroler, namentlich die Zierler, haben gar manch’ hübsch Dirnd’l hinüber geholt, als stattliche Hausfrau. S’ist aber auch kurios, daß die Zierler den mittenwalder Dirndl’n allemal besser gefallen, als die mittenwalder Buab’n und wir haben doch prächtige Buab’n, wie sie kaum drüben sind. S’ Weibsvolk is a’n kurios Volk,“ schloß er, „und s’ hat’s noch Keiner ausklugt. Aber s’bläst kalt aus den Karwandelschlucht’n,“ sagte er und stand auf. „I hob schon die Gicht!“ -
Er hatte Recht. Wir saßen ohnehin dem Thalwind preisgegeben auf unserm schönen Plätzchen. So gingen wir denn nach Mittenwalde zurück, wo jetzt Alles in regsamster, fröhlichster Thätigkeit war. Der Ort, der nur eine, aber breite Straße hat, war so rein gekehrt, daß man hätte mit weißen Strümpfen ohne Schuhe gehen können. Zu beiden Seiten des Weges waren die Maien aufgestellt, daß es wie eine Allee aussah. Unten im Orte baute und putzte man an einem Altar oder „Evangeli“, wie mich mein Begleiter belehrte. Schief der Post gegenüber, wo das Haus lag, dessen Vorderseite von des Giebels Spitze bis zu den Fenstern des Erdstocks mit Fresken bemalt ist, in denen die wundersame Phantasie des Malers sich abmühte, die Sätze des apostolischen Glaubensbekenntnisses bildlich zu veranschaulichen, baute man an einem Zweiten „Evangeli“, das aber viel stattlicher als jenes zu werden versprach.
„Himmel und Kinder!“ rief mein Gefährte, als wir uns durch die Gruppen der Kinder durchdrängen mußten, die vor Lust und Freude wegen des morgenden Festes zappelten, hüpften, sangen, und einen „Juchzer“ ausstießen, der jodelnd wirbelte.
„Aber wo stecken denn die schönen mittenwalder Dirndl’n in der allgemeinen Bewegung?“ fragte ich.
„Dalkete Frag’!“ rief er aus. „Habt Ihr denn nicht die Körbe voll Blumen gesehen, die sie heimtrugen? Die wachsen nicht von selbst zu Kränzen zusammen oder thun’s das bei Euch z’Land?“
Ich lachte herzlich über die derbe Zurechtweisung; denn das Wort: Dalk und das abgeleitete: Dalket bezeichnet ohngefähr das Gleiche wie Dummerjan, Esel und dergleichen Kraftausdrücke des Volks.
Als wir in die Post traten, war noch andere Gesellschaft da, Bürger des Orts, Gewerbtreibende und Beamte. Mehr denn Ein „Fässel“ des von Münchens zweiter, der Frohnleichnams-Saison, beschriebenem, unwiderstehlichem „Bocks“ wurde diesen Abend geleert und ich, als Rheinländer, hatte in Baiern schon Qualitäten errungen, die mich als ganz anerkennenswerthen Partner erscheinen ließen, ob ich es gleich nicht zu der Virtuosität gebracht, die ich hier, wie anderwärts in dem Lande, wo Gambrinus Alleinherrscher und Selbstherrscher ist, bewundern gelernt hatte; denn das übersteigt wirklich das Maß eines gewöhnlichen, ehrlichen, schlichten Begreifens! –
Es war spät, als ich mit Schrecken in das bauschige Federbette sank, das schier über mir zusammenschlug, und schon frühe weckte mich das hübsche Geläute. Da mein Alter mir gestern sagte, die Kirche sei klein und könne, so sehr sich auch alle Welt hinein und zusammendränge, nicht die Hälfte der Menschen fassen, die zur Prozession kämen, so mußte ich den Gedanken aufgeben, dem Gottesdienste in der Kirche beizuwohnen. Ich beschloß daher, zum Frühstück heimzugehen und dann, wenn meine Stube, davon drei Fenster nach der Straße gingen, geordnet sein würde, meinen Standpunkt an einem der Fenster zu nehmen, von wo aus ich die Kirchgänger und dann die Prozession recht ansehen konnte, zumal das „Evangeli“ grade gegenüber war, wo sie Halt machen mußte.
Als ich in das Gastzimmer trat, saß mein Alter schon da, schmauchte seine Pfeife und blickte in das Seidelglas mit Wehmuth, aus dem er schon die letzte Thräne Bock zum zweiten Mal geschlürft hatte.
Er reichte mir seine Hand zum „Guten Morgen.“ „Grüß’ Gott,“ sagte er. „Gut geschlafen? Ich warte schon eine halbe Stunde auf Euch und trinke derweil.“
„Warum denn?“ fragte ich. „Ihr sagtet ja gestern, in die Kirche sei nicht zu kommen?“
„Das bleibt wahr,“ erwiederte er; „ändert aber doch nichts. Will auch nit ’nein; denn zu Schnitz’l’n will i mi nit reiß’n und noch extra brot’n loß’n! – Ich komme zu Euch. Ihr habt ja doch die Stube vorn ’raus? Nicht?“
Ich bejahte und während ich mich zu meinem Kaffee setzte, zu dem ich köstliche mürbe „Stritz’l’n“ erhielt, begann er das dritte Seidel Bock zu bearbeiten und meinte, mit der Zunge am Gaumen schnalzend, es sei doch eine Sünde und Schande, Kaffee zu trinken, wenn es Bock gäbe; die Leute im „Reich“ seien doch ein „Dalket Gezücht“.“
Ich lachte und äußerte, es sei ebenso Sitte bei uns, wie hier das Biertrinken zum Frühstücke. Das wäre „Dalket“ bei uns.
Er zuckte die Achseln und schwieg, weil er trank, und uns beklagen mochte. „Seht,“ sagte er, „der Posthalter hat nicht mehr viel von dem edeln Stoff. Drum thu’ ich mein Theil jetzt weg. Wenn die Prozession vorüber ist, dann hat’s ein[WS 1] Ende und man muß wieder ein Jahr warten, bis es wieder Bock zu trinken giebt.“
Als ich gefrühstückt, ließen wir uns vier Seidel hinauftragen, um sie in Sicherheit zu haben. Dann legten wir uns in die Fenster. Es war Zeit, denn die Glocken begannen zur Kirche zu rufen. Männer, Frauen, Kinder, Alles eilte im Sonntagsputze zur Kirche. Die Kinder waren phantastisch aufgeputzt, trugen, die Mädchen nämlich, Körblein voll Blumen, und die Knaben bunte, kleine Standarten mit allerlei Heiligenbilder. Die Tracht war im Allgemeinen die Oberbaierns, besonders fand ich die ungeheuern Pelzmützen der Frauen wieder. Die Mädchen trugen die allerliebsten Ringelhäubchen, mit den zwei gegen den Nacken gekehrten Spitzen, wie man sie in und um München trägt; aber nun sah ich auch wohl, wie wahr das Wort meines Alten war. Ich hatte in den baierischen Alpen manch’ schönes Mädchen, manche prächtige Gestalt gesehen, aber in der That, die Töchter Mittenwalde’s waren durchweg die Schönsten, und durchweg; denn kaum einer Häßlichen begegnete das Auge. Dabei waren es nicht die durch die abscheulich kurze Taille entstellten Gestalten, nicht die gebückten, durch die Lasten, welche sie in der Umgegend Münchens tragen müssen; nein, die Kleiderform war kleidsamer, der Körperform zusagender und die Gestalten waren aufgerichtet und edel.
Niemand ging vorüber, ohne vor dem „Evangeli“, welches ein Heiligenbild zierte, seinen Knix zu machen oder das „Hütl“ zu lüften. Jetzt öffnete sich droben die Thüre an dem mit Fresken bemalten Hause, vor dem das „Evangeli“ stand, und heraus trat eine jugendliche Gestalt von den edelsten Formen. Sie war in tiefe Trauer gekleidet. Man sah kein Weiß an ihr, als an dem schneeweißen Hemde, dessen Aermel sichtbar waren, und an einer schmalen Krause, die den Hals umschloß. Dies Mädchen war die Krone, die Perle Aller.
Sie war schlank und groß; ihre Gestalt vom reinsten Ebenmaße; ihr Haar reich, glänzend, kastanienbraun. Nur einmal sah ich den Blick des großen, braunen Auges, aber sein Ausdrück war trübe; das Gesicht von wunderbarer Schönheit, aber bleich; kein Roth schimmerte durch die feine Haut. Sie ging gesenkten Hauptes der Kirche zu.
„Auf diesem jugendlichen Herzen liegt ein schweres, unheilbares Leid, und die schönste Lilie ist früh geknickt!“
Ich hatte laut gedacht, wie mir das manchmal begegnet, wenn mich etwas tief bewegt. Dann vergeß’ ich der Außenwelt gänzlich.
„Da habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen,“ sagte der Alte, der stille hinausgesehen, das Mädchen auch mit Theilnahme betrachtet und meine lauten Gedanken auch gehört hatte. „Zweimal habt Ihr Recht; mit dem Leid nämlich und der Lilie!“
„Sind dem schönen Mädchen die Aeltern oder ist ihr der Bräutigam gestorben?“ fragte ich.
„Beide, Aeltern und Bräutigam,“ versetzte er.
„Du armes Herz!“ sagte ich und sah ihr nach. „So jung noch und so schwer geprüft!“
„Ja wohl,“ sprach mit mehr Gefühl, als ich ihm zugetraut hätte, der Alte. „Aber was würdet Ihr erst sagen, wenn Ihr die Geschichte des holdsamen Dirnd’l’s kenntet?“
„O erzählt mir sie, ich bitte!“ rief ich dringend aus.
„Ihr sollt sie hören,“ sagte er ernst, „aber erst heute Mittag
Anmerkungen (Wikisource)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_126.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)