Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Ich bedaure,“ sagte der Baron lachend, „aber ich habe mir Ihre Manoeuver gemerkt und bin Ihnen durch eine geschickte Flankenbewegung zuvorgekommen.“
„Wie so?“
„Nun, ich habe die Ehre, Ihnen in Fräulein Marie meine verlobte Braut vorzustellen.“
Der gute Eduard war wie aus den Wolken gefallen und sah sich verlegen nach allen Seiten um, während er sein Taschentuch hervorzog und sich den Schweiß von der Stirn trocknete.
„Sie sehen, Sie sind zu spät gekommen,“ sagte der Förster, aber wollen Sie einem alten Freunde eine Freude erzeigen, so versprechen Sie uns, auf der Hochzeit zu erscheinen.“
„Da es doch nun nicht anders sein kann," sagte der Gemeindeschreiber nach einigem Zögern, „so nehme ich Ihre freundliche Einladung an, denn da diese neue Flankengewegung mir wider Erwarten mißglückte, so denke ich, es ist am Besten, wenn wir Frieden schließen und an dem Vermählungstage den alten Freundschaftsbund erneuern.“
(Mit Portrait.)
Man kann die auswärtige Politik wohl aller Staaten und aller Zeiten auf drei Grundzwecke zurückführen: erstens auf den des eignen innern Wohles, des geistigen und materiellen Gedeihens der eigenen Völker; dies ist die Politik, die besonders von den wirklich praktischen Staatsmännern meist für die beste gehalten wird und die England seit Jahrhunderten zu der großartigen Entwickelung aller seiner Kräfte und Interessen geführt hat; – zweitens auf den der Eroberungssucht, die aus bloßem Ehrgeiz, blinder Habsucht Länder auf Länder an sich reißen will, ohne zu erwägen, ob das Stammland selbst dadurch gewinnt oder durch diese Ausbreitung seiner Kräfte vielleicht auch zu Grunde geht; dies war meist das Prinzip der französischen, immer das der russischen Staatskunst; – und endlich der dritte Grundzweck äußerer Politik ist der, welcher auf allgemeine, sogenannte sittliche Ideen hinausgeht, wie aus historisches Recht, Beruf von Gottes Gnaden, Legitimität, Ritterlichkeit u. dergl., und diese Politik ist (wenn sie nämlich mehr als bloße Maske ist, wozu sie auch von sehr gescheidten Staatsmännern oft mit großem Erfolge angewendet wird), jedenfalls von allen drei Gattungen die idealste, romantischste und berauschendste, sie wird aber von vielen sehr verständigen Sachkennern für eine oft sehr unkluge und fast immer sehr unfruchtbare gehalten.
Ein durch den großartigsten Erfolg gekröntes Beispiel einer rücksichtslos praktischen und heilsamen Politik, die nichts als die Befreiung und Beförderung des Vaterlandes wollte, war die des preußischen Staatsministers Heinrich Friedrich Karl Freiherrn vom und zum Stein in den Jahren 1804 bis 1815.
Oesterreich war bei Austerlitz, Preußen bei Jena und Auerstädt in seiner Kraft und Selbstständigkeit gebrochen. Tiefer und tiefer drängte der Usurpator sich in das Herz Deutschlands hinein; enger und enger zog er seine Kreise um die zur Beute auserlesene, innerlich zertheilte Nation. Sein Basiliskenblick hatte den bewundernden Gegner gelähmt, welcher in Selbsttäuschung durch Unterhandlung und immer noch durch Unterhandlung den Feind fern zu halten meinte, der ein erwachtes, im Freiheitstaumel jubelndes Volk um seine Freiheit zu berücken verstanden hatte.
Da ward im Süden Deutschlands zuerst das Gefühl von der nothwendigen gemeinsamen Erhebung Deutschlands gegen den gemeinsamen Gegner wach. Oesterreich begann im Geheimen mit Macht zu rüsten und bewarb sich um die Verbindung mit Preußen zu dem einen Zwecke. Der König von Preußen aber erklärte, von der russischen Politik sich nicht zu trennen und deren Entscheidung zu erwarten. Und Rußland? – Was Stein und seine Gesinnungsgenossen damals ahnten, das liegt, durch die neueste Geschichtsschreibung erwiesen, jetzt klar am Tage: es war damals das einzige Interesse des russischen Monarchen, Oesterreich und Deutschland von dem französischen Imperator vernichten zu lassen, um mit diesem in die Welt sich zu theilen oder, wenn er durch seine Eroberungen genügend geschwächt wäre, um den Besitz der ganzen mit ihm sich zu streiten.
Es erscheint zeitgemäß, einige Ausdrücke aus einer Denkschrift hier mitzutheilen, die Stein an den König von Preußen gerichtet hatte, um ihn aus dieser unglückseligen, täuschungsvollen Allianz mit dem nordischen Nachbaren herauszureißen; er schrieb unter dem Datum des 8. September 1808:
„Das Resultat der Betrachtungen, die Herr Oberst-Lieutenant von Gneisenau in seiner Denkschrift, d. d. Königsberg, den 24. August a. c.“
- 1) daß von Rußland keine Hülfe zu erwarten,
- 2) daß die Folgen eines für Oesterreich unglücklichen Krieges die Vernichtung von Preußen sein wird.
Ich erlaube mir hierüber folgende allgemeine Bemerkungen: Deutschland war kräftig genug, sich selbst gegen Frankreich zu vertheidigen, und nur seine Uneinigkeit ist Ursache seines Falles und seiner Sklaverei. Das laue und zweideutige Betragen Preußens im Jahre 1794 veranlaßte Oesterreich, die Niederlande ohne Noth und ohne eine verlorene Schlacht bis hinter die Maas zu räumen, und der unglückliche Baseler Friede, den die unverständige Vorstellung seiner Minister Friedrich Wilhelm II. abnöthigte, sanktionirte zuerst die verderbliche Trennung Deutschland in das nördliche und südliche; das erstere sah ruhig den Verheerungen des letzteren zu, und ahnete nicht, daß der südliche Deutsche ihn für dieses verfassungswidrige und treulose Betragen seiner Zeit züchtigen und abstrafen werde. Eine Folge der Gleichgültigkeit Preußens gegen die Erhaltung der Selbstständigkeit und Freiheit Deutschlands zur Unterjochung des nördlichen, und dasselbe Prinzip der Apathie, gegen Oesterreich angewendet, wird dieselben Folgen für Preußen haben, nämlich seine völlige Auflösung und den Fall seiner Herrscherdynastie. – –
- Daher sich Oesterreich nähern und ihm seine Absichten freimüthig eröffnen, alle militärischen und Insurrektionsmittel, die uns zu Gebote stehen, bei dem Ausbruch eines österreichischen Krieges anwenden, um das französische Joch abzuwerfen, weil bei dem ruhigen Zusehen nur Vernichtung oder die unerträgliche Sklaverei eintreten kann.
Die Zusammenkunft des Kaisers Alexanders mit dem Kaiser Napoleon trübt die Aussichten noch mehr – was kann aus dem Zusammentreffen eines vom Handeln abgeschreckten, weichen, lenksamen Charakters mit dem felsenfesten, rastlosen und ruchlosen Manne entstehen, als blindes Hingeben des Ersteren an den verruchten Willen des Letzteren? etc.“
So damals Stein. Sein Rath wurde nicht gehört, er selbst durch die raffinirteste Intrigue, in der sich die russenfreundlichen, gegen Stein’s reformatorische Bestrebungen operirenden sogenannten guten Patrioten vom alten Schlage mit den in das Vaterland eingedrungenen Franzosen vereinigt hatten, für immer aus dem Ministerium gedrängt.
Wie bekannt, Oestereich wurde in dem Kriege vernichtet, den es nun ohne Preußen begann; aber auch für Preußen, wie ebenfalls bekannt, begann damit erst die wahre Zeit der Schmach und Erniedrigung. Auf Unterstützung Rußlands gegen den Uebermuth des Usurpators hoffte es vergebens; Alexander half dem vertrauungsvollen Bundesgenossen nicht in seinen gerechten Beschwerden über die unerhörten Vexationen bei Eintreibung der Kontributionsgelder; es sah ruhig zu, wei Unbill auf Unbill erfolgte und in erzwungene Abtretungen an das Königreich Polen endlich offener Raub an den im Tilsiter Frieden sanktionirten Grenzen Preußens verübt wurde.
Und Preußen? Auch Preußen konnte endlich seiner ritterlichen Gesinnung gegen den unritterlichen Bundesgenossen nicht treu bleiben. Die Folgen all seines blinden Glaubens waren die, daß es wider Willen unter den Fahnen des Eroberers seine eigenen Söhne gegen den Nachbar kämpfen lassen mußte, dessen Vertrauen es durch alle jene Opfer doch nicht erkauft hatte!
Und Stein? – – Man kann dem deutschen Volke nicht absprechen, daß es den Werken, dem Leben und den Persönlichkeiten seiner Dichter und Denker, vorzüglich nach ihrem Tode, eine sehr gründliche Aufmerksamkeit und dauernde Anerkennung stets geschenkt hat; wie sind die großen Werke und die kleinsten Lebenszüge eines Schiller und eines Goethe so tief in alle Schichten des Volkes eingedrungen! Aber sind die Produkte der Phantasie und Poesie die einzigen, die höchsten Erzeugnisse deutschen Geistes? Giebt es nicht, und gerade gleichzeitig mit jenen Heroen unserer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_118.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2023)