Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Nichts, mein Vater, aber glauben Sie mir, dieser Mensch hat das Herz eines Teufels,“ sagte das Mädchen, sich vor Frost schüttelnd.
„Und er sollte uns bedrohen?“ fragte der Förster nachdenkend.
„Ich fürchte es,“ entgegnete Wildenhaupt, „obgleich er gewiß nicht selbst auf dem Schauplatze erscheinen wird, Sie kennen ja doch den schwarzen Peter?“
„Ich werde doch den berüchtigsten Wilddieb in der ganzen Gegend kennen. Dem Kerl gilt ein Menschenleben nicht mehr wie das eines Rehbocks.“
„Wohlan, so dürfen Sie sich über die Gefahr nicht mehr täuschen; urtheilen Sie nun selbst, ob ich dieselbe übertrieben habe. Er und seine Bande werden heute Abend erscheinen – es gilt den Raub des kostbarsten Kleinods, welches Sie besitzen, und um denselben zu bewerkstelligen, werden die Schurken selbst vor einem Morde nicht zurückbeben.“
„Sie sollen mich vorbereitet finden! – Entfernen Sie sich jetzt, junger Mann, es dürfte hier etwas heiß zugehen.“
„An Ihrer Seite ist mein Platz.“
„Wie, Sie wollen bleiben?“
„Ich erbitte mir dies als eine besondere Gunst.“
Der alte Mann heftete eine Secunde seinen Blick auf den Jüngling. Zum ersten Mal brachen sich die finsteren Strahlen seines Auges und mit einem Ausdruck der Zufriedenheit schaute er auf die schöne jugendliche Gestalt.
„Wohlan,“ sagte er, „in der Gefahr lernen sich die Menschen kennen! Wollen Sie unser Loos theilen, so nehme ich Ihre Hülfe an. Lassen Sie uns als muthige Männer dem Kommenden in’s Auge blicken, unser sind Drei – bis Hülfe erscheint, können wir uns hier schon gegen eine vierfache Ueberzahl halten.“
„Ich hatte noch so viel Zeit,“ sagte Wildenhaupt, „dem Gemeindeschreiber Eduard einige flüchtige, mit Bleistift geschriebene Zeilen zu schicken – ich hoffe, er wird sie erhalten haben und nicht säumen mit der Bürgerwehr zu unserer Hülfe herbeizueilen.“
„Das ist eine schwache Hoffnung,“ sagte der Förster. „Ja, gälte es, sich bei einem Schmause einzufinden, dann wollte ich an der Bereitwilligkeit dieses Herrn Eduard nicht zweifeln, aber wo es darauf ankommt, einer Gefahr muthig ins Auge zu blicken, da hat er so seine eigenen Bedenken, die sich oft bis zur Unüberwindlichkeit steigern.“
„So wollen mir uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen,“ sagte der junge Mann entschlossen. „Doch die Gefahr ist nahe und es wird die höchste Zeit, unsere Maßregeln zu treffen.“
„Sie haben Recht, Herr von Wildenhaupt. Wilm, hast Du die Hausthür verrammelt und die doppelten Riegel vorgeschoben?“
Der alte Soldat nickte mit dem Kopfe, und indem seine verwitterten Züge ein eigenthümliches Lächeln überflog, murmelte er halblaut vor sich hin:
„Laßt sie nur kommen, sie sollen an dem alten Wilm ihren Mann finden! – So ein Blockhaus läßt sich lange halten, wenn es mit Muth und Umsicht vertheidigt wird.“
„Marie,“ sagte der Förster, „ziehe Dich in’s Hinterhaus in den obern Stock zurück; dort bist Du vor jedem Unfall geschützt, der Dich treffen könnte.“
„Mein Vater,“ bat das Mädchen, sich liebevoll an den Greis schmiegend, „lassen Sie mich Ihr Schicksal an Ihrer Seite theilen.“
„Geh’, mein Kind, Du würdest uns hier mehr hinderlich als nützlich sein. Geh’! Gott segne und beschütze Dich!“
Ich will auf meinen Knien im heißen Gebet für uns seine Hülfe anflehen,“ sagte Marie, das Zimmer weinend verlassend.
„Hier sind Waffen,“ fuhr der Förster, nach der Wand zeigend, fort, wo eine Reihe stattlicher Büchsen hing; es wird gut sein, wenn wir die Lichter auslöschen und so den Angriff erwarten.“
„Still!“ rief Wilm aufhorchend, „ich höre ein Gemurmel von Stimmen.“
„Er hat Recht,“ sagte Wildenhaupt, indem sein Blick sich aufmerksam im Dunkel des Waldes verlor, „dort hinter den Bäumen bewegt sich der Schatten von drei bis vier Menschen.“
„Die Lichter aus und an unsere Posten!“ gebot der Förster mit leiser aber mit fester Stimme.
Der Anordnung folgte sofort die Ausführung. Einen Augenblick darauf standen die drei Männer in athemloser Stille, die Büchsen in der Hand, kampffertig hinter den Brüstungen der Fenster. Ein Augenblick der spannendsten Erwartung ging vorüber. Plötzlich ertönte ein wildes Geheul und ein Dutzend dunkle Gestalten stürzte sich gegen die Einfassung des Gebäudes.
„Sie versuchen das Thor zu sprengen,“ sagte Wildenhaupt leise.
„Die Schurken!“ murmelte Wilm. „Ich erkenne mehrere derselben, die Bande besteht aus dem schlechtesten und verrufensten Gesindel der ganzen Gegend.“
„Still!“ rief Marien’s Vater, „ich höre die Stimme des schwarzen Peter.“
In der That wurde es draußen laut. Einzelne wilde Flüche, die aus Kehlen drangen, die offenbar von dem Genuß des Branntweins halb heiser waren, vermischten sich zu einem Geheul, das mehr den Tönen wilder Thiere wie denen von Menschen glich. Dann folgte ein zweiter noch heftigerer Angriff gegen den Eingang.
„Der alte Fuchs hat sich in seinem Bau verrammelt,“ sagte der Kerl, den wir bereits mehrere Mal unter dem Namen „der schwarze Peter“ kennen gelernt haben, „aber Gott verdamme mich, das soll uns nicht hindern, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen.“ –
„Wilm, schicke ihnen eine Kugel über die Köpfe,“ sagte der Förster leise.
Ein Blitz zuckte auf, dem unmittelbar der Knall einer Büchse folgte.
Mit Geheul stiebte die Bande auseinander, als sie sich aber unverletzt sah, kehrte sie mit neuem Wuthgeschrei zurück.
„Still, laßt mich dem alten Spitzbuben die Antwort geben,“ sagte ihr Führer, „ich habe so noch eine alte Rechnung mit ihm abzumachen, und es ist jetzt die beste Gelegenheit, darüber zu quittiren.“
Bei diesen Worten funkelte der blanke Lauf einer Büchse im Schimmer des Mondes durch die Luft, und im nächsten Augenblick zerschmetterte eine Kugel das Kreuz des Fensters, hinter welchem der alte Soldat stand.
Dieser stieß ein kaltes Gelächter aus, während er sein Gewehr von Neuem lud.
„In zehn Schlachten,“ murmelte er, „hat mich Gott beschützt und ich sollte jetzt durch die Hand eines solchen Kerls fallen? – Aber was ist das? – Bei Gott, die Schurken haben den Thorweg in Brand gesteckt!“
In der That loderte unter einem Triumphgeschrei, wie es nur Kannibalen auszustoßen vermögen, die Einfassung des Hauses in hellen Flammen, während zu gleicher Zeit die Belagerer einen neuen heftigen Angriff machten.
Jetzt gilt es, unser Leben zu vertheidigen,“ sagte der Förster leise zu dem ihm zunächststehenden Baron – sehen Sie, der Thorweg giebt nach und wir sind jetzt nur noch auf die Vertheidigung des Hauses beschränkt; geben Sie Wilm einen Wink: es bleibt uns jetzt nichts Anderes übrig, als zu den äußersten Mitteln zu greifen.“
Ein leiser Zuruf Wildenhaupt’s genügte, um die Aufmerksamkeit des alten Soldaten gleichfalls auf den Förster zu lenken.
„Gut gezielt,“ sagte dieser leise, indem er vorsichtig sein Gewehr anschlug – „hier gilt es Leben um Leben, Blut um Blut, denn fallen wir in die Hände unserer Feinde, so ist uns ein qualvoller Tod gewiß.“
Aber auch unten im Hofe war die Bewegung im Hause bemerkt worden. Drei oder vier Flintenläufe richteten sich gegen die Fenster. Eine Todtenstille herrschte einen Augenblick, dann folgte eine gegenseitige Salve, welche unmittelbar nachher ein dumpfes Geheul und eine wilde Verwirrung unter den Angreifern hervorrief.
„Er wälzt sich in seinem Blut, der schwarze Peter und noch zwei andere mit ihm,“ sagte der Förster, „ich kenne diese Schufte, sie sind jetzt entmuthigt und wir dürfen keine Zeit verlieren, sondern müssen durch einen entschlossenen Ausfall den errungenen Vortheil zu verfolgen suchen.“
„Sie ziehen sich zurück,“ sagte Wilm, „ich sehe, wie sie ihre Verwundeten mit sich fortschleppen.“
„Desto besser, so wird unser Erfolg um so sicherer sein.“
Mit diesen Worten schob der inzwischen im Erdgeschoß mit seinen Gefährten angelangte Förster die schweren Riegel der Thüre zurück und stürzte, von seinen beiden Kampfgenossen gefolgt, unter lautem Rufe auf die Bande draußen zu. Die Hitze des Kampfes und die Gefahr des Augenblicks schien den beiden alten Männern
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_115.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)