Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 9. | 1855. |
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(Schluß.)
„Vater,“ sagte Marie mit einer Stimme, die ein tiefes Leid niederdrückte, „Vater, Ihre Tochter ist Ihnen nie mit einer Unwahrheit entgegengetreten; am Wenigsten möchte sie dies aber in diesem Augenblicke thun. So hören Sie. Ich war Ihnen stets ein folgsames Kind, dieses Zeugniß können Sie mir nicht versagen – ich habe Sie stets geliebt und geehrt und auch diese Anerkennung muß mir Ihr Herz zu Theil werden lassen. Der alte Wilm –“
„Ha, der Kuppler!“
„Wilm verdient einen solchen Namen nicht, mein Vater. Er machte mein junges Herz zuerst mit Gott bekannt und erzog mich im Gehorsam zu Ihnen. Wohlan, hierin will ich beharren, auf daß mir’s wohl gehe auf Erden, wie das durch den Mund Moses von Gott gegebene Gebot sich ausdrückt. Aber hiermit, mein Vater, habe ich auch alle Pflichten einer folgsamen Tochter erfüllt, einer Tochter – ach, daß ich diese Anklage erheben muß! – deren Glück Ihnen weniger gilt, als die Befriedigung eines von der Leidenschaft genährten Hasses.“
„Still, Mädchen! Wer giebt Dir das Recht, mit Deinem Vater auf diese Weise zu sprechen?“
„Die Stimme der Wahrheit, welche so ungern von den Menschen gehört wird. Doch gestatten Sie mir noch ein weiteres Wort. Heute zum ersten Mal tritt es mit klarem Bewußtsein vor meine Seele, daß Gott dem Menschen einzelne Rechte verliehen hat, die sein ausschließliches heiliges Eigenthum sind. Lassen Sie mich frei empfinden und fühlen, dem Gehorsam gegen Sie wird dadurch kein Abbruch geschehen. Mein Herz hat gewählt, es gehört dem Manne, in dessen Armen Sie mich jetzt sehen, und wenn Ihr Haß ihn hinwegstößt von der Schwelle dieses Hauses, so soll meine Liebe ihn in unveränderlicher Treue begleiten.“
Ein lautes Schluchzen unterbrach hier die Worte des lieblichen Mädchens und erschöpft sank sie auf einen Stuhl.
Wildenhaupt wandte sich nochmals zum Förster.
„Seien Sie mild und versöhnend, wo es sich um das Wohl Ihrer einzigen Tochter handelt; begründen Sie das Glück zweier Menschen, deren Herzen Sie ja doch nicht mehr zu trennen vermögen.“ –
Aber finster winkte der Greis mit der Hand.
„Hinaus aus meinem Hause, dessen Frieden Sie gestört haben,“ sagte er, „Wie, sollte der Wille eines Vaters von der thörichten Laune eines Kindes abhängen, das auch schon von dem Gifte getrunken zu haben scheint, welches gegenwärtig die Herzen und Köpfe unserer Jugend durchdringt und sie in maßloser Ueberhebung jedes Gesetz, jede fromme Sitte verachten lässt? – Noch einmal: hinweg aus meinem Hause, damit eine ungehorsame Tochter wieder Zeit gewinnt, zu ihrer Pflicht zurückzukehren!“
Der Alte hatte sich erhoben und von Neuem eine so drohende Stellung angenommen, daß Wildenhaupt die Unmöglichkeit einsah, eine Verständigung herbeizuführen. Er hoffte, daß die Zeit ihm später günstiger sein würde und beschloß, einen Auftritt zu beenden, der bereits für ihn so vieles Demüthigende gehabt hatte.
Indem er Marien noch einen Blick der Aufmunterung zuwarf, verließ er daher die Wohnung des Försters, welcher im starren Hinbrüten von seinem Weggange kaum Notiz zu nehmen schien. – –
Es war einige Tage nach dem hier geschilderten Auftritt, als an einem finstern, stürmischen Abend ein Mann an den Eingang einer zerfallenen Lehmhütte pochte, welche versteckt in einer abgelegenen Schlucht jener wilden Berggegend lag, die den Schauplatz unserer Erzählung bildet.
„Hm, wer klopft da?“ fragte eine rauhe Stimme aus dem Innern, „Glaubt Ihr, daß ich Lust habe, mich von dem Ersten Besten aus meiner Ruhe stören zu lassen?“
„Ich bin es, Peter,“ sagte der Mann draußen im vertraulichen Ton, „mache auf, denn der Wind bläst mir um die Ohren, und es ist wahrlich kein Vergnügen, in einer solchen Nacht mitten auf der Haide dem Wetter zu trotzen.“
„Oho, seid Ihr es, Herr Julius,“ entgegnete etwas freundlicher der Hüttenbewohner, indem er sich erhob und den Riegel von dem Eingange der Barracke zurückzog, „habt Ihr den schwarzen Peter wieder einmal nothwendig, daß Ihr denselben noch in so später Stunde heimsucht?“
„Still, keinen Namen,“ sagte der Eintretende, „selbst die Nacht hat Ohren und man kann nie wissen, ob irgend wo ein Verräther lauscht.“
„Ein Verräther?. – Ha, ha! Wißt Ihr denn nicht, daß die Leute nach Sonnenuntergang gern einen Umweg von einer halben Stunde machen, wenn sie dadurch meine Wohnung vermeiden können?“ –
„Ich weiß es, Peter – Du hast mehr Feinde als Freunde,“ antwortete Julius, die athletische, verwilderte Gestalt des Hüttenbewohners nicht ohne heimliche Scheu betrachtend, „aber was kümmert mich das, ich kenne Dich als einen tüchtigen Kerl, der sein Wort hält und zu gebrauchen ist.“
„Meint Ihr?“ sagte sein Gesellschafter, sich nicht ohne einen Anstrich von Zufriedenheit den dichten schwarzen Bart streichend,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_113.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)