Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Form verschiedener Schnaub- und Grunztöne in den Bart zu murmeln schien.
„Diese Brahminen-Ochsen sind die größte Plage für uns, die wir sie nur gebraten lieben. Sie gehen, wohin sie wollen, und kommen zuweilen selbst in unsere Gesellschaftszimmer, niemand darf ihnen etwas zu Leide thun. Ein Herr, der unlängst einen tödtete, brachte Brahminen und Volk in Masse auf die Beine. Sie beruhigten sich nur, als das englische Gericht dem Schuldigen eine schwere Geldstrafe auferlegt hatte. In Jaggernaut, dem Brennpunkte indischen Priesterthums, giebt es für keinen Preis Kalb- ober Rindfleisch, und ein Engländer, der dort Beefsteak oder Roastbeef äße, würde vom Volke zerrissen werden.
„Die vielen Pilgrime nach Jaggernaut sterben zu Tausenden vor Hunger auf dem Wege, ehe sie Fleisch oder Brot von uns über ihre Lippen bringen. In Cuttack giebt es ein Hospital für diese Pilgrime, wo sie mit Reis versehen werden, so viel sie haben wollen. Etwas Anderes nehmen sie gar nicht an. Von dem Fanatismus und dem Märtyrerthum mancher dieser Wallfahrer könnte man haarsträubende Dinge erzählen. Ich sah einmal einem mit Schmutz bedeckten, zum Skelett abgemagerten Individuum zu, das den ganzen Weg nach Jaggernaut (über 300 englische Meilen von seinem Geburtsorte aus) dadurch zurücklegte, daß es Zoll für Zoll den ganzen Weg mit seiner eigenen Länge maß. Jedesmal warf er sich da, wo er mit dem Kopfe hingereicht hatte, mit den Füßen wieder an und legte so wörtlich die ganze Reise zurück.
„Jetzt laßt mich Euch erzählen, wie wir hier Weihnachten feierten. Ich ging am frühen Morgen hinaus in unsern Garten, eine bloße Abzäunung dessen, was hier die Natur gegärtnert, um mir einen frischen Blumenstrauß und frische Früchte für unser Mittagsessen zum ersten Feiertage zu pflücken: Orangen, Apfelsinen, Plantanen, Guaven, Ananas, schneeweißen Jasmin mit göttlich betäubendem Aroma, Rosen, Verbenen, Heliothropen und riesige glühende Blumen, die ich hier zum ersten Mal sah und noch mehr roch, ohne mich seitdem darum zu kümmern, wie sie der gelehrte Botaniker Hooker nennen mag. Gegen Mittag waren alle unsere Zelte und Bungalows (mit Stroh gedeckte extemporirte Hütten) auf das Ueppigste mit Blumengirlanden behangen. Auf dem Frühstückstische dufteten deliciöse Kuchen und Früchte, auf dem Mittagstische, der alle Offiziere und deren Frauen vereinigle, glänzte das gewaltigste Stück Roastbeef, zu welchem sich auch der rosinen- und gewürzreichste Riese von Plumpudding gesellte. Von Blumendüften mehr trunken, als vom Wein, durch die offenen Thüren warm und weich angeweht, von schwarzbraunen Dienern in leichten weißen Roben umgeben, umrauscht von Militärmusik und englischen Melodien, und spät in der Nacht uns spiegelnd in dem ringsum illuminirten, lotosblumenstrotzenden Deiche, auf welchem die Himmelslichter des Mondes und der Sterne erbleichten – so feierten wir hier Weihnachten!“
Das sieht von Weitem für die Vorstellung ganz herrlich aus, aber es giebt auch einen indischen Sommer und tausend andere Plagen, von denen wir hier uns nichts träumen lassen. „Von der Glühhitze, der wir hier im Juni ausgesetzt waren,“ schreibt derselbe Berichterstatter, „könnte man sich bei Euch nur einen Begriff machen, wenn man, wie die drei Männer der Bibel, direkt in einen feurigen Ofen ginge. Wir haben während der ganzen Zeit kaum des Nachts gespürt, daß wir leben, während der Tage vegetirten wir nur, und thaten nichts, als Thermantica (Mittel gegen die Wärme) und in Salpater gekühltes Pole Ale (blasses Ale, Bier) verschlucken. Wir lechzten hier mehr nach der untergehenden, als ihr für die aufgehende Sonne. Der Sommer ist hier für die Vegetation, was der Winter für Grönland. Alles versengt bis auf den letzten Grashalm, und die größten Flüsse werden zu einem steinharten, gebrannten, trockenen Bette. Luftdicht eingeschlossen in unsere dick mit Stroh gedeckten Bungalows waren wir den ganzen Tag über lebendig begraben. Von Nah und Ferne schwieg Alles todtenstill bis tief in die Nacht. Ich hätte oft Wunder was gegeben für ein einziges Geheul des Schakals oder ein Affengequiek. Nach Sonnenuntergang erhebt sich gewöhnlich ein erquickender Wind vom Meere her und dann schreit und brüllt und flattert und schwirrt es die ganze Nacht hindurch in Tausenden schrecklichen Mißtönen, und der große Frosch, der sich den Tag über in unser Putzzimmer versteckt, springt quakend und kraxend hinaus, um mit 10,000 Collegen Chor zu singen. In unserm besten Zimmer zu Cuttock logiren auch Sperlinge, und weiße Krähen schreiten gravitätisch mit steifen Beinen, wie gichtische Herren, auf unserem Frühstückstisch einher. Jeder Winkel ist den Tag über mit Fröschen angefüllt. Moschus-Ratten schießen in unsern Zimmern umher, als hätten sie alle Hände voll zu thun, und manchmal findet man während des Nachts einen schlanken, glatten Schlafcollegen in Gestalt einer Cobra die Capella (Schlangenart). Aber diese eben nicht sehr beliebten Beischläfer sind Götter gegen die Ameisen, Mosquito’s, die unsere Zimmer durchwimmeln. Jeder Tisch, jeder Stuhl, jedes Bettbein muß in einem Gefäße voll Wasser stehen, wenn uns erstere nicht alle Vorräthe und uns selbst aufzehren sollen, und gegen die Mosquito’s muß man sich in Kasten mit Thüren von Gaze einsperren, wenn man’s haben kann. Auch die Veranda, mit der hier jedes Haus versehen ist, hat ihre Bewohner, die keine Miethe zahlen. Eulen und Fledermäuse, geschwätzige Minah-Vögel und eine thätig Mosquito’s vertilgende, wunderliebliche, muntere Eidechse von hübschem Silbergrau mit rothem Schwanze. Auch darf ich die grausame Mauerwespe nicht vergessen. Sie sieht braun und schwarz aus, baut ihr Nest an Bilderrahmen, Stuhlbeine oder sonst an Orte, an denen sie Gefallen findet, und macht es in Form eines Taubeneies bis auf eine kleine Oeffnung fertig. Jetzt legt sie ihre Eier hinein, fliegt dann mehrmals aus und kehrt hierauf mit kleinen grünen Käfern zurück, deren sie etwa ein Dutzend lebendig in die Wiege ihrer Nachkommen mit einmauert, damit sie sich erst stärken können, ehe sie ihr Ei-Haus durchbrechen.
Als die Regenzeit mit fürchterlichen Gewittern kam, fanden wir eines Tages in dem noch trockenen Bett eines Flusses eine ganze Heerde halbverwes’ter Affen, kein seltener Fund hier, da sie und andere Thiere, wie Menschen, oft in Flußbetten, wo sie nach einem Tropfen Wasser suchen, verdursten und zu Mumien zusammentrocknen.
Und was dem Menschen in Indien sonst noch Alles passiren kann, darüber muß man die Briefläufer fragen, welche hier statt der Posten, Eisenbahnen und Telegraphen dienen. Sie gehören größtentheils der untersten Kaste, den Schuliahs oder Paria’s an, sind von der Regierung angestellt und wohnen durch das ganze Land hin in allen Richtungen an bestimmen Stationen. So laufen sie beinahe mit Schnellpostgeschwindigkeit Tag und Nacht ihre Touren ab, wo die nächsten sofort die Briefpackete, die nicht selten auch Uhren, Juwelen und sonstige Kostbarkeiten enthalten, in Empfang nehmen und ihre Station absolviren. Kein Wetter, kein Sturm, kein Strom, kein reißendes Thier hält sie auf, und wenn sie Einem des Nachts mit ihren Fackeln im Dickicht, das von giftigen und reißenden Thieren strotzt und diese beleuchtet, begegnen, kann man wohl behaupten, Lebensbilder von dem höchsten malerischen Effect gesehen zu haben. Die beiden Briefträger (denn es laufen deren allemal zwei) werden des Nachts von zwei Fackelträgern begleitet, welche mit ihren geschwungenen Feuerbüscheln fast stets die wilden Thiere, die von allen Seiten, Unten und Oben lauern, zurückscheuchen. Mit Stürmen, Strömen, Gewittern, Felsen, Sümpfen haben sie oft lebensgefährlicher zu kämpfen, doch neuerdings sind die Wege größtentheils so geregelt, daß man nicht mehr von so viel umgekommenen Briefläufern hört. Am Schlimmsten haben’s die Reisenden, die sich oft an diese Briefläufer anschließen müssen, um gewisse Orte zu erreichen. Als Beamte, denen eine gewisse Zeit vorgeschrieben ist, können sie ihren Schritt nicht nach der Kraft des Reisenden messen, so daß letztere nicht selten liegen bleiben und verschiedenen Raubthieren zur Beute werden.
Doch größere Schrecken drohen dem Menschen vom Menschen, als von der Natur. In vielen Gegenden hausen noch die Dacoits, d. h. Banden von je 30, 40 professionellen Räubern, Dieben und Mördern, welche des Nachts die Häuser der Wohlhabenden überfallen, ausplündern und deren Bewohner systematisch in einer Art von Religiosität todtmartern. Lord Dalhousie und Halliday, die obersten Gouverneurs Indiens, haben inzwischen ernstliche Schritte gethan, dieses furchtbare Uebel auszurotten. Sie haben durch eine der großartigsten Polizei-Untersuchungen Person, Wohnung und Signalement jedes Dacoit-Anführers ausfindig gemacht, um sich nach jedem Verbrechen ihrer Art an sie zu halten und für sie den Drei-Instanzen-Prozeß aufzuheben, so dass der Schuldige nach der ersten Verurtheilung sogleich gehangen werden kann.
Ein noch entsetzlicheres Uebel sind die Mörder aus Profession
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_106.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)