Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1855) 103.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ich der alten Susanne, der Besitzerin des kleinen Häuschens durch eine geschickte Manipulation, die ihre Hand mit meiner Börse in Verbindung brachte, Stillschweigen auferlegt hatte, betrat ich das Zimmer des angeblichen Malers.“

„Und was fanden Sie da?“

„O, derartige Leute hüten sich wohl, ihre Geheimnisse zur Einsicht von Jedermann offen liegen zu lassen. Ich fand daher auch, wie ich dies vermuthet hatte, Alles fest verschlossen.“

Bei diesen Worten stützte der Förster enttäuscht das greise Haupt in die Hand.

„Aber,“ setzte der Gemeindeschreiber mit Selbstbefriedigung hinzu, „das eben ist die Kunst eines polizeilichen Genies, da Etwas zu finden, wo Nichts ist. Indem ich meine Blicke spähend umherwarf, gewahrte ich unter einem Haufen Schriften ein kleines Miniaturbild.“

„Ein Bild?“ – fragte der Förster gespannt, indem er aus seinen Träumereien auffuhr.

„Ja, ein Bild, und noch dazu ein weibliches. Ein sehr verdächtiges Object, wie Sie zugeben werden, für einen Mann, dem das Wohl von Fräulein Marie am Herzen liegt.“

„Aber der Name? Wie kamen Sie zu dem Namen?“

„O man muß Kombinationsgabe und einen gewissen Instinkt bei derartigen Dingen besitzen. Ich wendete das Bild um und fand, daß auf der Rückseite in etwas verbleichter Schrift der Name Herrmann von Wildenhaupt stand.“

„Herrmann von Wildenhaupt!“ rief der alte Gruner, indem er in der höchsten Aufregung aufsprang und, seine beiden Hände auf den Tisch gestützt, den bestürzten Gemeindeschreiber starr anblickte, – „Herrmann von Wildenhaupt, sagen Sie? – Und wo ist das Bild? – Sprechen Sie, wo ist das Bild, wenn Ihnen meine Ruhe etwas werth ist!“

„Ich habe es zu mir gesteckt als corpus delicti für kommende Fälle.“

Der alte Mann streckte seinem Gesellschafter die Hand zitternd entgegen und sagte mit dumpfer, fast tonloser Stimme:

„So bitte ich Sie bei der Barmherzigkeit Gottes, zeigen Sie mir das Portrait.“

„Aber was ist Ihnen?“ fragte der bestürzte Eduard.

„Das Portrait, das Portrait!“ donnerte der Greis.

„Nun hier ist es!“ sagte der Erstere, langsam in den Busen greifend und ein kleines, auf Elfenbein gemaltes, mit Gold eingefaßtes Bild hervorziehend, das er kopfschüttelnd dem Förster überreichte.

Dieser warf einen Blick auf dasselbe und sank dann betäubt in seinen Sessel zurück.

„Ja sie ist es!“ rief er, das Bild an sein Herz drückend. „Es sind die Züge meiner theuren Schwester! – Und dies – ja dies ist die Handschrift des treulosen Verräthers, der sie zu einem Schritte verleitete, welcher unsäglichen Kummer über eine Familie brachte. Ha, Schlange, hast Du nicht genug in meinem Busen gewühlt, läßt Du jetzt auch noch Deine Brut gegen mich los, um durch sie das letzte und einzige Glück eines alten Mannes in gleicher Weise, wie Du es gethan, zu zerstören! – Aber hüte Dich, junge Natter, hüte Dich! Der Feind Deines Geschlechtes ist Dir näher, als Du glaubst!“

„Er redet irre!“ murmelte der Gemeindeschreiber, sich schüchtern nach allen Seiten umsehend. „Ich will ihm zureden, daß er sich nach Hause begiebt.“

Diese Ermahnung wäre indessen unnöthig gewesen. Bereits hatte sich der Greis erhoben und stand stolz und aufrecht auf sein Gewehr gestützt. Aber ein furchtbarer Ernst, aus welchem der eiserne Wille eines zur Reife gelangten Entschlusses sprach, drückte sich auf seinem Gesicht aus. Das Portrait zu sich steckend, schritt er schweigend an dem überraschten Eduard vorüber und das Dunkel der Nacht durchschneidend, eilte er mit einer Schnelle, die nicht ohne Absicht sein konnte, seiner im Forste gelegenen Wohnung zu.



IV.

Während wir so eben den Förster das Wirthshaus „Zur schönen Aussicht“ in der größten Aufregung haben verlassen sehen, herrschte im Forsthause selbst eine tiefe Stille und nichts deutete darauf hin, daß sich daselbst irgend Jemand befinde, der in seinem Frieden gestört sei. Aber dennoch gab es dort ein Wesen, dessen Herz von Unruhe nicht ganz frei war, obgleich sich darin offenbar nur eine frohe Erwartung aussprach, welche vermöge irgend eines seiner Enthüllung nahen Ereignisses veranlaßt wurde. Der Mond warf seine hellen Strahlen durch das dichte Laubwerk der alten Eichen und beleuchtete gleichzeitig das liebliche Gesicht Marien’s, die, ein Buch vor sich aufgeschlagen, in einem im Erdgeschloß gelegenen freundlichen Stübchen am geöffneten Fenster saß, ihre Lectüre indessen nur wenig beachtete, und sich statt dessen in sichtbarer Aufregung von Zeit zu Zeit mit ihrem Blick in das magische Dunkel des Forstes verlor.

Plötzlich tönte durch die Stille der Nacht der Schlag einer Wachtel, welchem unmittelbar darauf das heisere Geschrei einer Eule antwortete. Das junge Mädchen zuckte bei diesen Tönen erröthend zusammen, und legte gleichzeitig die Hand auf sein Herz. Aber kaum hatte es diese Bewegung ausgeführt, als es auch schon den Druck einer andern Hand fühlte und eine ihm wohlbekannte Stimme mit unverstellter Innigkeit leise seinen Namen aussprach, während sich zwei Augen zu ihm emporrichteten, deren zärtlicher Ausdruck Diejenige, der er galt, schüchtern und mit zartem Erröthen auszuweichen bemüht war.

„Marie, meine geliebte Marie!“ sagte der junge Mann, der niemand anders als der unter dem Namen Müller uns bekannte Fremde war, „wie unendlich muß ich Ihnen danken, daß Sie mir dies Zusammenkunft bewilligt haben.“

„Es mag sein, daß ich Unrecht that,“ sagte diese, „ohne das Wissen meines Vaters hierauf einzugehen, allein wenn die Gründe, welche Ihre Bitte begleiteten, sich wirklich als so triftig bewähren, wie Sie angegeben haben, so hoffe ich, es wird für mich hierin wenigstens theilweise eine Entschuldigung liegen.“

„Meine Absichten sind rein, hierüber wird bei Ihnen kein Zweifel herrschen.“

„Ich glaube es,“ sagte Marie, den jungen Mann mit dem Ausdruck eines unverkennbaren Vertrauens anblickend, „und es würd mich sehr unglücklich machen, daran zweifeln zu müssen.“

„Ihre Worte sind eine neue Aufforderung für mich, jeden Schein zu entfernen, welcher dieses Vertrauen schwächen könnte. Lassen Sie uns nicht verbergen, was in unserem Herzen vorgeht, meine Marie; schlagen Sie das Auge nicht zu Boden – nein, heben Sie es empor, wenn Sie das für mich empfinden, was ich hoffe.“ –

In der That folgte das junge Mädchen mit holder Schamhaftigkeit dieser Aufforderung, indem sie gleichzeitig, halb abgewendet, ihrem Gesellschafter ihre Hand reichte, die dieser tiefbewegt an seine Lippen drückte. Dann wurde sein Blick plötzlich ernst und eine gewisse Melancholie bemächtigte sich seiner Züge.

„Es ist ein eigenthümliches Verhängniß, welches uns zusammengeführt hat, meine Marie,“ begann er, „und es wird Pflicht für mich, daß ich den Schleier von Verhältnissen lüfte, die uns für die Zukunft voraussichtlich noch harte Kämpfe bereiten werden. Haben Sie den Muth, für die Erreichung eines Zieles, an welches sich das künftige Glück unseres Lebens knüpfen soll, mit Beharrlichkeit in den Kampf zu treten?“

„Sie werden mich hierzu zu jeder Zeit entschlossen finden.“

„Selbst wenn die Nothwendigkeit sie zwänge, dem Willen Ihres eigenen Vaters entgegentreten?“

„O mein Gott! Meinem eigenen Vater?“

„Hören sie, Marie, mein Name ist nicht Müller, ich heiße – “

Hier ließ sich der bereits früher von dem Fenster vernommene Schlag der Wachtel von neuem sehr laut hören.

„Ihr Vater!“ sagte der Jüngling erschrocken aufspringend. „Es ist Wilm, welcher uns das verabredete Zeichen giebt.“

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als der ungestüme Druck einer Hand das Zimmer öffnete.

In stolzer Haltung, doch leichenblaß und mit zornglühendem Auge trat der Förster ein.

Marie stieß einen Schrei aus und flog ihrem Vater entgegen. Dieser ergriff ihre Hand und führte sie ohne ein Wort zu sagen zu ihrem Sessel zurück.

Der Maler stand stumm, in zwar nicht trotziger, aber in ruhiger Haltung in der Mitte des Gemaches und schien entschlossen, den Sturm zu erwarten, dessen Ausbruch die finster zusammengezogenen Brauen des Alten verkündeten.

Dieser ließ sich auf einen Stuhl nieder und sein starres Auge heftete sich durchbohrend auf den Fremden.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_103.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)