Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 8. | 1855. |
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(Fortsetzung.)
„Ich müßte sein Kind nicht sein,“ sagte das junge Mädchen stolz, „wenn ich um einen solchen Preis seine Ruhe erkaufen wollte. So mag denselben also Gott gegen Bosheit und Verrath beschützen, an welchem ich für ihn beten will, aber mit einem reinen, unbefleckten Herzen, wie bisher; verstehen Sie mich, Herr Julius?“
Mit diesen Worten schritt Marie entschlossen voran und suchte an der Seite ihres Verfolgers vorbei zu kommen. Dieser ergriff indessen dreist ihre Hand, und versuchte, sie an sich zu ziehen.
Ein Schrei des Schreckens entfuhr dem jungen Mädchen, während als Echo das kalte und herzlose Gelächter des Julius folgte. -
Die Lage, in welcher sich die Tochter des Försters befand, war bei der allgemein bekannten frivolen Leidenschaftlichkeit dessen, der ihr jetzt in dieser völlig einsamen Gegend gegenüber stand, eine beängstigende, ja sogar eine gefährliche. Das fühlte sie recht gut, und es entrollten daher auch Thränen ihren Augen, und Hülfe suchend durchirrte ihr Auge das Dunkel der Nacht. In diesem Augenblick brach der Mond aus den Wolken und gestattete eine freiere Umsicht.
Plötzlich fesselte ein großer Schatten, der am Rande des Hohlweges hinglitt, die Aufmerksamkeit Marien’s. Ein Hoffnungsstrahl schien bei dieser Wahrnehmung bei ihr aufzutauchen und ein neuer Gedanke sich ihrer zu bemächtigen. Sie warf noch einmal ihr Auge prüfend auf den Gegenstand, der ihre Aufmerksamkeit plötzlich in einem so hohen Grade in Anspruch genommen, und schien nun eine bestimmte Ueberzeugung erlangt zu haben. Ihre ganze Kraft zusammennehmend, stieß sie den immer ungestümer werdenden Julius einige Schritte zurück, während sie mit angsterfüllter Stimme rief:
„Hierher, Sultan! - Hierher, mein treues Thier!“
Ein lautes Geheul folgte diesem Rufe, und im nächsten Augenblick stand ein großer schöner Wolfshund an ihrer Seite, der seine glühenden Augen unter dumpfem Geknurr auf den Mann richtete, in dessen brutaler Gewalt sich seine Herrin befand
„Faß, Sultan! Faß!“ - rief die Bedrängte mit lauter Stimme, indem sie dem Hunde einen aufmunternden Blick zuwarf.
Ein mächtiger Bogensatz folgte dieser Mahnung, und im nächsten Augenblick lag Julius am Boden, niedergeworfen von der gewaltigen Kraft des Thieres, welches seine Vorderfüße zähnefletschend auf seine Brust setzte und seine Gebieterin fragend anblickte,
„Komm, mein treuer Freund!“ sagte das Waldblümchen, dem edelen Thiere ein Zeichen gebend, „komm, Sultan! Unter Deinem Schutze wird der Feigling sich nicht mehr an einem armen hülflosen Mädchen zu vergreifen wagen; - laß ihn los, mein treues Thier; ein Anderer wird ihn für die Schmach, die er seiner Tochter angethan, zur Rechenschaft ziehen.“
Der Hund befolgte gehorsam den Wink, indem er langsam seine breiten Klauen von Julius Brust herabgleiten ließ und seiner Herrin wachsam folgte, die sich mit schnellen Schritten von dem Orte entfernte, welcher der Schauplatz einer so großen Gefahr für sie gewesen war.
Auch Julius hatte sich erhoben, und sein finsteres von den Leidenschaften bewegtes Auge drückte Zorn und Rache aus.
„Du hast mich herausgefordert, stolzes Mädchens“ murmelte er vor sich hin, „aber Du weißt nicht, daß Du dadurch meine Leidenschaft nur noch mehr anfachst - Dein Vater? - Pah, ich fürchte ihn nicht! - ich lache seines ohnmächtigen Zornes! - Noch ehe acht Tage vergehen, werde ich Dich von seiner Seite reißen und Du wirst mein sein, und dann - ja dann, wenn ich Dich gedemüthigt und Rache genommen, dann magst Du meinetwegen dem lächerlichen Thoren, Eduard, oder dem fremden hochmüthigen Maler Deine Hand reichen!“
Ein kaltes, herzloses Gelächter folgte diesen Worten, und wie es schien, mit seinen Entschlüssen nicht mehr im Unklaren, entfernte sich der Rache brütende Mann langsam von dem Orte, dessen Schauplatz die eben beschriebene Scene gewesen war.
Wir müssen den Leser ersuchen, uns für einige Augenblicke wieder nach dem Wirthshaus „Zur schönen Aussicht“ zu begleiten. Dort saßen abermals zwei Männer im Gespräch bei einem Glase Wein. In dem Einen erkennen wir einen alten Bekannten, den Gemeindeschreiber Eduard. Der Andere war bereits ein hoher Sechsziger, von offenen, aber strengen willenskräftigen Zügen, dessen stattliche Gestalt der Zahl seiner Jahre und seinem mit schneeweißem Haar bedecktem Haupte muthig Trotz zu bieten schien. Zu seinen Füßen lag ein Jagdhund von edler Race, und seine Rechte hielt ein schönes Doppelgewehr umfaßt.
„Aber“, mein liebster Herr Eduard,“ sagte der Alte, indem er einen Zug aus seinem Glase that, „Sie sprechen mir so vieles Zeug durcheinander daß ich Sie fast gar nicht verstehen kann.“
„Verzeihung! Verzeihung!“ sagte dieser, indem er in possierlicher Weise seinen Sessel hin und her schob, „aber in der That
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_101.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2019)