Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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auch bereits thatsächlich von allen Seiten, von Innen und Außen bröckelt und bricht. Ob es sich allmälig so „verkrümelt,“ oder anständig und nobel auf einmal in Ruinen zusammenbricht, kann man noch nicht wissen. Nur so viel ist gewiß, daß sich das englische Aristokratie-Sebastopol vor dem englischen Civil-Ingenieur-Sebastopol, d. h. dem russischen auf der Krim, den Tod geholt hat. Sebastopol auf der Krim ist nämlich wesentlich ein englisches Werk und zwar in doppelter Beziehung. Durch Begünstigung der russischen Eroberungspolitik von Seiten der englischen Aristokratie wurde es Rußland leicht gemacht, civile Engländer zu engagiren und sich Sebastopol bauen zu lassen. Der eigentliche architektonische Schöpfer der Festung Sebastopol ist Mr. Upton, vor etwa einem halben Jahrhundert Wegebaumeister in England und oberster Aufseher der Chaussee zwischen Stratford und Dunchurch. Als solcher unterschlug er 2000 Pfund Sterling und floh. Berühmt als Architekt zog er die Aufmerksamkeit des Czaren auf sich und wurde so bald der oberste Ingenieur Sebastopols. Er starb voriges Jahr als Oberst-Lieutenant in russischen Diensten. Die andern geistigen Kräfte in der Construction Sebastopols waren ebenfalls meist Engländer.
Ich dachte an diese pikante Thatsache beim Anblick des merkwürdigen Palastes Alupka, den sich Fürst Woronzow ebenfalls von einem Engländer, Mr. Blore, auf der Krim erbauen ließ, um so eher, als die Engländer auf ihrem Marsche von der Alma nach Balaklava darin Wein tranken, ihn aber sonst ganz unverletzt stehen ließen. Daß Sebastopol von ihnen bis jetzt ebenfalls nicht nur nicht verletzt, sondern drei Mal stärker gemacht ward, ist eine bekannte Thatsache. Die englische Aristokratie wollte es zwar nur schonen, dachte aber nicht daran, daß sie es verstärken und dabei den ganzen Kern der englischen Armee und sich selbst zerstören würde.
Der Alupka-Palast erhebt sich am Ende eines Thales, das sich aus den Bergen bis dicht an die Gestade des schwarzen Meeres erstreckt und einem wunderschönen Flusse zugleich als Bette dient. Das Thal ist Wald und Garten, dicht beschattet und bekleidet von glänzenden Trauben und Bäumen. Der Baustyl des Palastes ist sonderbar, eine Combination von englischen und orientalischen Launen. Haupteingang und Thurm sind Nachahmung des berühmten George-Thurmes am Schlosse der Königin von England in Windsor, so wie die Front überhaupt an die aristokratischen Bauten Englands erinnert. Im Uebrigen hat er ein orientalisches Gepräge. Auf den platten Dächern ging Woronzow oft mit seinen Gästen spazieren. Der Meereswind kühlt hier stets die Hitze aus den Bergen, und das Auge weidet sich auf der einen Seite an trotzigen Felsengebilden und grünen Bäumen, auf der andern in dem unabsehbaren Spiegel des Meeres. Im Innern herrscht englischer Geschmack, wie ja bekanntlich der Eigenthümer ein Zögling und Verehrer englischer Civilisation ist. Der Palast ist die größte architektonische Merkwürdigkeit der Krim, besonders als die in Wildniß und Einsamkeit plötzlich überraschende üppigste Blüthe der Civilisation und des Luxus.
Der Eigenthümer ist vielleicht der gebildetste und humanste Russe. Seine amtliche Stellung, auch vielleicht die bedeutendste nach dem Kaiser, bekommt dadurch eine große Wichtigkeit. Wir ergänzen, was die Gartenlaube schon früher (Nr. 10 1854) über seine humanen Eroberungen im Kaukasus mittheilte durch folgende Thatsachen.
Fürst Michael Woronzow ist der Sohn des Generals Grafen Simon Woronzow, des russischen Gesandten in London bis 1832. Seine Tochter Katharine heirathete den englischen Grafen (Earl) von Pembroke, so daß die Woronzow’sche Familie mit der englischen Aristokratie in intime Verhältnisse kam. Der jetzige Fürst ward 1798 in Moskau geboren, kam schon als Kind nach London, und ward hier erzogen. Als russischer Offizier zeichnete er sich zunächst gegen Napoleon (1812–1814) aus. Er war Commandeur der russischen Truppen in Frankreich, ward später Gouverneur von Odessa, Neu-Rußland und Bessarabien, und gewann durch geschickte Verhandlungen (1826) Persien. In dem russischen Feldzuge gegen die Türkei (1828–1829) spielte er eine wichtige Rolle, besonders als Eroberer Varna’s. In Folge davon ward er General-Commandeur aller Truppen und Operationen gegen die kaukasischen Völker, deren er durch humane Behandlung mehr gewann, als erschießen und erobern ließ. Ehren auf Ehren häuften sich auf seinem Haupte. Er ist jetzt erster General
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_097.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)