Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Feenpalaste für blasirte, ungerathene Söhne der Millionäre, sprechen, da unsere Kasse für innere Studien nicht ausreichte, auch nicht von Irving oder Prescot-House, dem Metropolitan oder St. Nicholas (ersteres für 600 Gäste mit 250 Dienern, erbaut für 1,500,000 Thalern, letzteres für 2 Millionen Thaler von weißem Marmor für mindestens 1000 Gäste); wir beschränken uns auf unser Astor Haus, eines der berühmtesten und in seinen Zurichtungen vollkommensten, für Personen und Familien mittleren Geldranges, obgleich man auch mit sehr beschränkter Kasse darin wohlfeiler lebt, als in einem Privathause. Es ist ein von allen Seiten frei stehender, quadratischer Koloß von silbergrauem Granit mit 200 Fuß Front in Broadway. Der Erdflur besteht rings herum aus glänzenden Läden. Das Hotel beginnt eigentlich erst eine große Marmortreppe hoch mit einem marmornen, säulengetragenen, großen Vorsaale, dicht besäet mit allerlei ankommendem und gehendem Gepäck mit kaltphysiognomirten Herren dazwischen auf Stühlen hingeflegelt, laufenden und überspringenden dienstbaren Geistern, Aus- und Einströmenden ohne Unterlaß und langen Corridoren und Treppen in die Privatzimmer. Der stets geräuschlos aus- und einschwingenden Hauptthür gegenüber führen besonders bezeichnete Eingänge zu der Schenke und andern Bequemlichleiten und dicht neben denselben an einen Zahltisch mit Büreau, wo die ganze Wirthschaft gebucht wird. Der Ankommende schreibt hier seinen Namen in ein Buch, erhält seinen mit einer Nummer auf Metall eingegrabenen Schlüssel, giebt dem wartenden Träger einen Wink und verschwindet mit ihm, stumm, wie er gekommen, oben in Nr. 320 oder 326 (so viel Zimmer giebt es gerade). In den Zimmern ist Alles scrupulös rein und comfortabel, und ein großer gedruckter Bogen an der Thür überhebt den Angekommenen jeder Mühe, Fragen zu thun. Er sieht hier, was er zu zahlen, wenn er Frühstück, Mittagsessen u. s. w. zu erwarten hat. Der eine Corridor führt zu Zimmern für einzelne Herren, der andere zu Familienwohnungen. Im Flure der Eingangshalle finden wir den Eßsaal und große, glänzende Sprechzimmer, die immer offen stehen, so daß man die schönen, auf Sammet-Sopha’s hingehauchten Damen neben hingeflegelten Herren genau beobachten kann, wie sie sich eifrig mit Langeweile beschäftigen. Die ganze „Phalanstere" schwärmt wie ein Bienenstock, worunter sich besonders gelockte, schreiende, springende und spielende Kinder, die hier im „Gasthofe" geboren und erzogen werden, auszeichnen. Der junge Kaufmann, der hier heirathet, findet nichts bequemer, als sich im Gasthofe einzumiethen. Die ganze Wirthschaft ist gleich da, und die aus Aether gewobene junge Frau versteht nichts von Kochen und Braten und Einkaufen. Sie hat nichts gelernt, als Tag für Tag auf dem Wiegestuhl zu sitzen und Conditorwaaren dazu zu naschen. Auch als Frau setzt sie dieses Geschäft mit geübten Sitz- und Saugmuskeln fort und der Mann bezahlt alle Wochen die Rechnung. Zum Lieben hat er weder Herz noch Zeit: er ist fast immer sehr reich und macht sehr viel Geld. Damit vertreibt er sich die Zeit und das Leben. Und die Frau sitzt und lutscht, weiter nichts? O ja, sie, die nicht braten kann, läßt sich wenigstens rösten. In den goldenen, teppich-, sammet-, spiegel- und luxusreichen Sprechzimmern, wo sie sich wiegt und liest oder dann und wann auf dem Piano klimpert, wird mit Anthracit-Kohlen stets ein so gewaltiges rothes Feuer unterhalten, wie in einer Eisengießerei. Damen, die hier dem Schmelzen nahe sind, gehen dann heraus auf die eben so elegant möblirten Corridors und sitzen hier Parade und Abkühlung für sich und gelegentlich auch für die Herren, welche in der Entfernung von ihnen erwärmt wurden. Wenigstens machte ich diese Erfahrung. Sie sehen von Weitem fast immer feenhaft, bezaubernd aus. Aber in der Nähe? Wo ist der rosige Hauch der Jugend? Das frische, runde, schönheitslinige, quellende, mit Grübchen in den Backen lächelnde Amor-Zeughaus unserer deutschen Schönen, welche verschämt die Augen von unten aufschlagen, um zu verrathen, daß sie unter Umständen nicht abgeneigt seien, die Rolle einer „bessern Hälfte“ zu übernehmen? Diese Amerikanerinnen schlagen, wie ihre plumperen Schwestern in England, die schönen, aber reizlosen Augen von Oben nach Unten auf. Das allein macht sie häßlicher, als zwei Höcker. Den Kopf zurückgeworfen, die Nase parallel mit den Wolken, blicken sie kalt und steif an dieser Nase entlang über die Durchschnittshöhe der Herrenhüte hin (die Engländerinnen außerdem stets mit offenem Munde), und lassen dann aus dieser Höhe manchmal einen erbarmenden Blick bis auf die Herrenvorhemdchen herunterfallen, um sofort wieder aufzusteigen, wenn keine Diamantnadel unter der Halsbinde glänzt.
Nicht als ob in Amerika und England der Artikel Liebe gar nicht mehr ächt producirt würde, aber in respectabeln Kreisen, wo mit der Elle des Vermögens gemessen wird, kommt sie nur gleichsam polizeiwidrig und ohne Paß noch ächt vor.
Familien und Kinder im Hotel bedürfen noch eines Wortes. Für die Flitterwochen junger Paare giebt es fast in jedem Hotel auch feenhaft möblirte Wohnungen für 30 bis 100 Dollars wöchentlich. Später ziehen sie in gewöhnliche Zimmer und wohnen da Jahre lang aus Bequemlichkeit und Oekonomie. Die Hotels sind durchschnittlich Musterwirthschaften, so daß keine Familie Lebensmittel so excellent und wohlfeil sich selbst bereiten kann, als sie ihr im Hotel fix und fertig in schönster Form regelmäßig vorgesetzt werden. Inlofern sind diese Hotels wirkliche Phalansteren des Socialismus, doch mit der „Familie" ist es denn auch in dem Grade vorbei, daß z. B. die Kinder für sich ohne Aeltern besonders table d’hôte speisen und von besonders angestellten Hotel-Hauslehrern und Gouvernanten en gros möglichst im Zaume gehalten werden, was die kleine Welt jedoch nicht hindert, der großen überall mit Reifen, Kreiseln, Pferden und Eseln an langen Bindfaden oder durch Fallen von Treppen und über Reisetaschen und die dabei übliche Naturmusik unbequem zu werden.
Was die Oekonomie betrifft, so bezahlte ich z. B. für ein ganz gemüthliches Zimmer (freilich ganz hoch), Frühstück (von 8 bis 10 Uhr), Mittag mit 20 Gerichten (um 3 Uhr), Abendessen mit Thee und Auswahl aller möglichen Speisen, Aufwartung aller Art und Trinkgeld 1 Dollar täglich. Die halbe Bequemlichkeit in einem Privathause kostet aber, wenigstens um Broadway herum, mindestens das Doppelte, so daß man im Hotel vierfach billiger wohnt und für sein Privateigenthum beinahe absolut sicher ist. Und welche andere Bequemlichkeiten! In der großen Halle guckt da erstens ein Mann durch ein Fenster wie von Außen herein, um uns unentgeltlich Alles, was wir ihm übergeben, Hut, Stock, Mantel u. s. w. aufzuheben. Daneben steht ein Mann mit Wichs- und Reinigungs-Apparaten in einem besondern Käfig bereit, uns auf Verlangen vom Kopfe bis zur Zehe zu wichsen. Dann kommt eine große geräumige Nische mit Marmortischen, Federn, Tinte, Papier, Couverts und Personen, die Dir den Brief augenblicklich befördern. Ein Paar Schritte weiter sitzt ein Mann in eine Art von Schilderhaus eingeklemmt und doch mit ganz Amerika in elektrisch-blitzender Verbindung stehend. Eines Tages steckte ihm ein Herr ein Streifchen Papier hinein mit dem Bemerken zu einem andern, daß er erst bei Mr. So und So in Philadelphia anfragen und dessen Autwort abwarten wolle. Inzwischen gingen die Beiden zur „Schenke", das von Oben erleuchtete Centrum des ganzen „Staates im Kleinen" mit Cigarrenverkauf, Barbierladen, Lesetischen und Hunderten von Zeitungen, mehreren kleinen Verschlägen mit Waschapparaten, Eingängen zu warmen und kalten Bädern, Kaffee-, Liqueur- und Bierabtheilungen u. s. w. Hier tranken und rauchten sie etwa eine halbe Stunde, worauf ihnen ein Kellner die niedlich couvertirte Antwort von Philadelphia aus dem Telegraphenbureau des Hotel einhändigte, und die Herren zum „Geschäft" abgingen. Das ist kein besonderer Vorzug Astor’s: jedes größere Hotel steht mit allen größeren Städten Amerika’s in direkter telegraphischer Verbindung.
Das Militär des Hotel-Staates besteht aus (größtentheils irländischen) Dienern und Kellnern, welche das Mittagsessen in genauesten Paradelinien, bewaffnet mit silberbedeckten Schüsseln, auftragen, Mit einem Schritte an der langen Tafel Halt machend, setzen sie auf einen Wink die Schüsseln hin, nehmen sie mit einem Griff die Deckel ab, machen sie mit einem Ruck Kehrt und marschiren sie in einem Schritt ab, den der Lieutenant auf der Parade nicht besser wünschen kann. Sie kommen und gehen mit ihren Schätzen stumm und pünktlich, wie durch den großartigsten Mechanismus getriebene Marionetten, so daß ich in der ersten Zeit mehr lachen mußte, als essen konnte, obgleich ich noch jetzt mit gerechter Bewunderung an die Ordnung und Accuratesse zurückdenke, womit die ganze kolossale Wirthschaft Tag und Nacht unverdrossen arbeitete, als sei sie ein Triumph der Dampfmaschinen-Baukunst. Letzterer Triumph liegt besonders im Wasch-Departement, welches so wunderbar schnell arbeitet, daß jeder Herr, der nur ein Hemde hat, täglich ein reines anziehen kann. Man giebt früh um sieben Uhr ein Bündel schmutzige Wäsche hin und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_093.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)