Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Zweigbahnen und Verlängerungen, die jetzt von allen Seiten nach dieser neuen Lebensquelle für Menschen und Opferaltar für Millionen Thiere herbeieilen, setzen den Laien förmlich in Erstaunen. Nur über die Themse herüber, jenseits welcher einige sehr wichtige Bahnen münden, führt noch keine Eisenbahnbrücke. Aber auch diesem Mangel wird auf eine Staunen erregende Weise abgeholfen. Da nämlich London auf seinen 40 englischen Quadratmeilen längst nicht mehr Platz hat und städtische Eisenbahnen längst über die Häuser und Straßen hinlaufen, dabei aber in den Hauptstraßen die Wagen und Fuhrwerke sich alle Tage mehrmals festfahren, hat man beschlossen, theils über, theils unter den Hauptstraßen zur Verbindung aller wichtigen Plätze und der Eisenbahnhöfe eiserne Röhren mit doppelten Schienenwegen darin zu legen. Die Meisten derselben werden hoch über den Häusern hinlaufen mit vielen Stationen von Unten, von wo die Passagiere durch Häuser, die in Flaschenzügen rasch auf und abgehen, aufgenommen und abgesetzt werden. Dabei soll die Fahrt für die Person in den Wagen zweiter Klasse nur 1 Penny betragen. Dies sieht wie Schwindel, wie Luftschlösser aus; aber war der Tunnel vorher nicht auch eine Fabel? Gab es nicht ein allgemeines Hohngelächter durch die ganze civilisirte Welt, als Jemand zum ersten Male behauptete, man könne mit Dampf, statt mit Pferden von einem Orte zum andern fahren? Höhnte und spottete die weise Menschheit nicht wieder, als Jemand behauptete, man könne mit Dampf auf dem Wasser dem Wind direkt entgegen fahren? Und hielt sie dann den Mann, der zum ersten Male behauptete, man könne mit Dampf bis Amerika fahren, nicht für wahnsinnig? Erfinder und Entdecker und große Reformer werden jetzt zwar nicht mehr regulär verbrannt oder sonst zur Beruhigung der Menschheit umgebracht, aber von dieser Menschheit immer noch hübsch im Chor ausgelacht.
Mit dem Projecte aber, die Londoner durch Röhren mit Dampf zu leiten, hat es seine volle Richtigkeit und Nothwendigkeit, denn ohne daß es unter sich und über sich hinaus geht, hat London durchaus nicht mehr Platz und konnte es nicht mehr durch und vorwärts. Der neue Markt soll bis jetzt 2,450,000 Thaler kosten und ist gebaut worden. Die Eisenbahnen durch die Luft werden etwas mehr in Anspruch nehmen, aber nur, um das ganze Kapital vielleicht in einem Jahre wieder einzubringen, und zwar in der ungemein kostbaren Form von Zeit, deren realer Geldwerth nirgends höher geschätzt wird als in London.
Um willkürlich Bewegungen ausführen zu können, bedürfen wir, wie sich wohl ganz von selbst versteht, zuvörderst eines Willens und dann der Bewegungsorgane. Der Wille ist eine Thätigkeit unseres Gehirns und diese Thätigkeit, allmälig durch äußere Eindrücke angefacht, geht hier nach der Beschaffenheit der Hirnsubstanz, sowie nach der Gewöhnung (Uebung, Erziehung) derselben besser (kräftiger) oder schlechter (schwächer) vor sich. Die Bewegungsorgane sind die an bewegliche Theile, besonders an Knochen und Knorpel befestigten Muskeln (das Fleisch). Durch Nervenfasern, d. s. die Bewegungsnerven, setzt der Wille vom Gehirne aus die Muskeln in Thätigkeit (in Verkürzung durch Zusammenziehung).
Das erste Erforderniß zu Ausführung willkürlicher Bewegungen muß sonach eine richtige Beschaffenheit der hierbei in Thätigkeit kommenden Organe (des Gehirns, der Bewegungsnerven, der Muskeln, des Knochen- und Knorpelgerüstes) sein. Es ist deshalb durchaus nöthig, daß in diesen Theilen die Ernährung (der Stoffwechsel), durch Zufuhr guten Blutes und ungestörte Circulation desselben, in gutem Gange erhalten werde. Wer Willens- und Muskelkraft zu entwickeln hat, bedarf auch einer solchen Nahrung, die das Nerven- und Muskelgewebe gehörig zu ernähren im Stade ist. Thierische Nahrungsmittel sind dazu weit geschickter als pflanzliche. Es ist sehr Unrecht, von blutarmen, schlecht genährten und zu einer schmalen Kost gezwungenen Menschen dieselbe Willens- und Muskelstärke zu verlangen, wie von robusten, nahrhafte Speisen genießenden Subjekten. Die häufigen Beispiele, wo willens- und muskelkräftige Personen nach und nach durch schlechtere Ernährung ihres Nerven- und Muskelsystems (in Folge von Nahrungsmangel, oder von unzweckmäßiger Nahrung, oder von Krankheiten) zu Schwächlingen wurden, sprechen dafür.
Sodann verlangen die genannten Bewegungsorgane zu ihrer ordentlichen Ernährung außer guten Blutes aber auch noch der richtigen Abwechselung zwischen Thätigsein und Ruhen, weil nur dadurch der Stoffwechsel (die Anbildung neuer und Abstoßung alter Substanz) in ihnen ordentlich vor sich gehen kann. Zu langes und sehr angestrengtes Thätigsein schadet hierbei ebenso wie andauerndes Nichtsthun. Bis zur äußersten Ermüdung fortgesetztes Bewegen kann recht leicht einen lähmungsartigen Zustand in den übermäßig angestrengten Theilen veranlassen.
Um Bewegungen immer geschickter, schneller und kräftiger ausführen zu lernen, dazu gehört nun öftere Wiederholung (Gewöhnung) und allmälige Steigerung derselben hinsichtlich der Dauer, Stärke und Schnelligkeit. Es bedarf gewöhnlich längerer Zeit der Uebung, ehe der Wille innerhalb des Gehirnes gerade blos die Nervenfasern (und durch diese diejenigen Muskeln) in Thätigkeit versetzt, welche eben nur thätig sein sollen. Bei den meisten mit Vorsatz ausgeführten Bewegungen kommen gleichzeitig und ganz unwillkürlich, eben wegen ungeschickter Anregung auch noch anderer als der zu gebrauchenden Nerven von Seiten des Willens, noch eine Menge von Mitbewegungen in den verschiedensten Theilen zu Stande, wie die, bisweilen höchst komischen Bewegungen bei Personen, welche Tanzen, Turnen, Fechten u. s. w. lernen, beweisen. – Ebenso gelangen aber Gehirn, Nerven und Muskeln auch nur ganz allmälig durch gesteigerte Lebhaftigkeit ihres Stoffwechsels in Folge zweckmäßigen Gebrauches zu einer größern Kraft, weil sie dadurch an Menge und Güte ihrer Substanz gewinnen. Kurz, nur durch richtige Ernährung und richtigen Gebrauch (Uebung, Gewöhnung, Erziehung) des Hirnnerven- und Muskelsystems lassen sich geschickte und kräftige willkürliche Bewegungen erlernen.
Willkürliche Beweungen (Turnübungen) können für den menschlichen Körper ebensowohl Vortheile wie Nachtheile haben; um beide richtig beurtheilen zu können, muß man die Wirkungen der Bewegungen während und nach ihrem Zustandekommen kennen. – Beim Bewegen selbst wird, wie bei jedem Thätigsein eines Organ a) ein Theil der Substanz der betheiligten Muskeln und Nerven verbraucht, dadurch die Mauserung befördert und die nachfolgende Neubildung begünstigt. Wegen dieses Stoffverbrauches sind willkürliche Bewegungen nur bis zu einer gewissen Grenze möglich und hören endlich auch gegen unsern Willen auf. – b) Durch Muskelzusammenziehungen wird ein Druck auf die benachbarten, zwischen den Muskeln verlaufenden Blut- und Lymphgefäße ausgeübt und so der Blut- und Lymphlauf befördert. Besonders ist diese Druckwirkung auf den Blutlauf in den Blutadern, in welchen das Blut zum Herzen hinströmt, gerichtet. – c) Die Thätigkeit willkürlicher Muskelnerven theilt sich in den Nervenmittelpunkten (besonders im Rückenmarke) den Nerven unwillkürlicher Muskeln mit und so entstehen Mitbewegungen in den Vegetationsorganen, wie im Herzen, den Athmungs- und Verdauungsapparaten, durch welche die Thätigkeit dieser Organe (der Blutlauf, das Athmen, die Verdauung) gefördert wird. – d) Durch den Zug der Muskeln an den Knochen und Knorpeln, welche sie in Bewegung setzen und an welche sie angeheftet sind, wird auf die Ernährung und Gestaltung dieser einiger Einfluß ausgeübt; sie werden stärker und fester, die von ihnen umschlossenen Höhlen weiter. – e) Durch die Lenkung der Willensthätigkeit des Gehirns auf bestimmte Nerven und Muskeln scheint der übrigen (Verstandes-, Gemüths-, Gefühls-) Thätigkeit des Gehirns Einhalt gethan und so das Gehirn beruhigt, entlastet zu werden. Deshalb verlieren wich wahrscheinlich beim Turnen und Bewegungmachen sehr oft drückende Geistes- und Gemüthsbeschwerden. – Nach dem Bewegen findet a) die Entfernung (Mauserung) der alten beim Bewegen verbrauchten Muskel- und Nervenbestandtheile
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_091.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)