Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 7. | 1855. |
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O könnte mir ein Lied gelingen.
O könnte mir ein Lied gelingen,
Wie Gott es selbst in’s Herz mir schrieb –
Vor allen Thüren wollt’ ich singen
Dies Gotteslied, so gut und lieb.
Ich blieb’ bei jedem Herzen stehen,
Das arm und krank, und klopfte an,
Und würde eh’r nicht weiter gehen,
Als bis man hätte aufgethan.
Die schwerste Last, sie wollt’ ich wälzen
Von ihm durch dieses Liedes Gruß,
Das härt’ste Eis, es sollte schmelzen
Wie bei des jungen Frühlings-Kuß –
Dann legt’ ich still von Gottes Segen,
Wie er in meinem Herzen ruht,
In’s kranke, das in matten Schlägen
So bang’ und leise athmen thut.
Und wär’ Genesung ihm beschieden,
So fleht’ ich still zum Himmelsaal:
O Vater schenk’ auch Deinen Frieden
Dem armen Herz nach langer Qual –
Dann bät’ ich mir von Gottes Liebe
Auch Blumen – und mit solchem Strauß
Schmückt’ ich das Herz, das einst so trübe,
Wie einen Himmelsgarten aus.
F. Stolle.
Das Jahr 1848 war angebrochen. Die Märzstürme waren vorüber und der Mai erschien wieder mit seinem frischen Grün, mit seinen Schneeglöckchen und seinen duftenden Veilchen, aber in die Herzen der Menschen war der Frühling noch nicht zurückgekehrt, dort sah es noch wild und stürmisch aus, und neben dem Drange nach Freiheit brach sich die Leidenschaft oft in der widerlichsten Gestalt und in der gesetzlosesten Weise Bahn. Zur damaligen Zeit gab es wohl kein Oertchen im deutschen Vaterlande, und mochte es noch so klein sein, wo man nicht debattirt, conspirirt und dekretirt hätte. Zu keiner Zeit trug man die Worte Gemeinsinn, Einigkeit und Bruderliebe mehr auf den Lippen, und dennoch gab es unter einem Volke nie eine größere Zerrissenheit als damals in Deutschland.
In jener Zeit also war es, wo an einem milden erquickenden Frühlingstage sich eine kleine Gesellschaft in dem Wirthshause „Zur schönen Aussicht“ zusammen gefunden hatte – ein Name, welcher daher rührte, weil dasselbe auf dem Plateau eines Felsens lag, an dessen Fuße sich ein fruchtbares Thal ausdehnte, eingefaßt von einem schönbelaubten Höhengürtel und im Hintergrunde von einem dichten Eichenwalde umschlossen, aus dessen dunkler Tiefe der weiße Giebel eines Hauses sichtbar wurde.
Im Uebrigen trug die Gegend den Charakter der Abgeschiedenheit an sich, denn außer einzelnen Gebäuden, welche in der vorerwähnten Ebene auftauchten und einem Weiler, der einige hundert Schritte hinter dem Wirthshause lag, erblickte das Auge bis in die weiteste Ferne nur eine meist mit Gehölz und Haidekraut hewachsene Wildniß.
Die Leute, welche in dem niedrigen und schmucklosen Gastzimmer „Zur schönen Aussicht“ an einem großen viereckigen Eichentisch saßen, waren allem Anschein nach alte Bekannte, die täglich hier zusammentrafen und sich als Stammgäste betrachteten. Obgleich ihr Anzug im Allgemeinen eine solche Einfachheit verrieth, daß man daraus die Landbewohner erkennen konnte, so deutete doch bei zwei derselben der modernere Schnitt ihrer Kleider,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_085.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)