Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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zwei Andere arretirten mich und schleppten mich gewaltsam in eine elende Miethskutsche, wo ich von einem Vierten angefallen ward, der sich eine Kleinigkeit für’s Thüröffnen in der zuversichtlichsten Weise ausbat. Der Räuber meiner Reisetasche stand daneben und hielt seine Beute mit dem Bemerken hin, daß er sie mir für einen Spottpreis wieder zustellen wolle. Ich kaufte mich los und accordirte mit dem Kutscher den Preis für die Fahrt nach dem berühmten Astor-Hotel. Kaum waren wie handelseins geworden, stellte er eine Wache vor der Kutschenthür auf, um meine Flucht zu verhindern, und schleppte bald eine zweite Person herein, die neben mich placirt ward, obgleich der Herr bat und fluchte, daß er ganz in entgegengesetzter Richtung zu thun habe. Es half nichts: er mußte mit nach Astors, um erst dann mit seiner Fahrt an die Reihe zu kommen[1].
In meinem Astor-Hotel binnen zwei Minuten wie durch zauberische Maschinerie „häuslich" eingerichtet, fand ich hier so viel zu bewundern und zu notiren, daß ich mit einer bloßen Schilderung dieses amerikanischen Hotel-Lebens allein einen doppeltwiegenden Brief füllen könnte. Doch ich will mich kurz fassen und zunächst sagen, was ich von New-York im Allgemeinen sah und halte. Auf den ersten Blick sieht es, besonders in der Geschäftsgegend von der Battery an eine englische Meile nordwärts eben so enge, wimmelnd, drängend, rücksichtslos geschäftstoll aus, wie die Straßen der City von London, nur nicht ganz so farblos-nüchtern, da große, helle, renommistische Schilder an den Häuserstirnen die öden, schwarzen Namen an den Thürpfosten der City-Handelshäuser Londons ersetzen, und alle zehn Schritte sich verführerische Abgründe vor unsern Augen öffnen: Austern-Keller („Eier-Salons“ genannt), Tavernen, Grog-Kneipen und Spiellöcher aller Art, welche ihre besondern Zwecke hinter dem allgemeinen, verführerischen Titel: „Zufluchts-, Erholungsörter“ verbergen. Die Häuser bestehen aus unschönen Back- und Mauersteinhaufen, und nur da, wo eins eingefallen war, hat man neuerdings durch substantielle, schönere Bauten aus Sandstein dem gestiegenen Reichthum und Geschmacke Denkmäler gesetzt. Gleichzeitig macht das hier von Erstickung bedrohte Geschäft ungeheuere Fortschritte, sich nordwärts und über die Wassergrenze hinaus zu erweitern. Aber das Herz des Geschäfts, dieser schmale Inselstreifen im Süden, kämpft gleichwohl vermittelst enorm steigender Miethe einen harten Kampf gegen den immer gierigeren Andrang der Geldmacher, die aus der ganzen Welt keinen bessern Platz für ihre Leidenschaft zu finden scheinen. Die günstige Lage New-Yorks für Lokal-, Küsten- und Welthandel zugleich ist bekannt, man muß aber die besondere Gunst dieses schmalen Streifens sehen, um die daselbst gezahlten Miethen und die Masse und Größe der Geschäfte zu begreifen. Dieser Streifen ist dicht vom Weltmeere, der Brücke für die Völker, und einem unabsehharen Gewimmel von Segel-, Dampf- und Küstenschiffen, von allen Arten und Größen der Transportmittel auf dem Wasser umgeben. Die Weltmeerschiffe können dicht heranfahren an riesige Lagerhäuser, um hier ohne Mühe und Umstände zu laden oder zu löschen. Das Land erhebt sich nach der Mitte hin, hat also guten Ab- und Zufluß, letztern durch kleinere und größere Wassereinschnitte mit Ebbe und Fluth, so daß die Fahrzeuge, welche die Fluth herauftrug, Stunden lang auf festem Boden liegen, um während der Zeit ihre mühelose Abfahrt mit der nächst beginnenden Ebbe vorzubereiten. Im Süden von einem Halbcirkel befestigter Inseln umgeben, welche im Nothfalle die ganze Hafenbucht schützen würden, verbindet diese Spitze New-Yorks die größten Geschäfts- und Handelsvortheile mit dem Gefühle der Sicherheit für Kriegsfälle.
Ueber die hohe Mitte der Stadt läuft die Hauptstraße hin, Broadway, der breite Weg, mit den engen Seitenstraßen, die in das Weltmeer und in unzählige Dampfschiff- und Fährten-Omnibus münden, zum Theil kleine, schwimmende Paläste, in denen man alle fünf Minuten für das kleinste Stück Kupfermünze, einen Cent, nach Brooklyn, Williamsburg und für drei Cent in einen ganz andern Staat, New-Jersey, dessen Gestade hier dicht von Städte- und Villa-Trauben strotzen, hinüberfliegen kann. Für ein werthloses Stück Kupfer mehr gleitet man in unaufhörlich hin- und herdampfenden Prachtschlössern nach dem eine deutsche Meile entlegenen Staten Island am Ende der wundervollen Hafenbucht, an deren sich zu Hügeln erhebenden Gestaden ringsum Städte und Landhäuser blühend auf das wimmelnde Leben des großen Wasserspiegels herableuchten. Der Lokal-Dampfschiff- und Fährtenverkehr um die New-Yorkspitze herum ist vielleicht das allerglänzendste und figurenreichste Kulturbild der Erde. Für einen Cent tritt man in einen während der Hitze kühlen, im Winter warmen Pracht-Salon, sitzt auf Teppichen und Sammetpolstern, besieht sich in goldumrahmten Riesenspiegeln, trinkt aus diamantgeschliffenen Karaffen und Gläsern das reinste Wasser (nichts anderes) und weidet seine Augen über Hunderte vorbeidampfender oder segelnder wirklicher Luftschlösser hin an New-York selbst, an Jersey und Hoboken drüben, an Brooklyn und Williamsburg und an der üppigsten Fülle von Städteblüthen, die von allen Seiten nah und fern zwischen dem glänzenden blauen Himmel und dem zweiten Himmel unten, dem eingerahmten Meere, herabglänzen. Der Lokaldampfschiffverkehr auf der Themse zur ununterbrochenen Verbindung der vier deutsche Meilen sich erstreckenden Theile von London ist auch großartig, viel massenhafter, aber die Dampfschiffe dort gleichen schmutzigen Höhlen und die Themse ist die stets rauchbehangene Mündung für alle Cloaken Londons.
Auf einem für den Verkehr mit Europa und dem Innern Amerika’s so günstigen Terrain schwoll New-York bald zu einer reichen, leidenschaftlich geschäftigen Bevölkerung von 700,000 Seelen an, in welche sich alle Farben, Racen und Völker bald schwächer, bald stärker mischen. Am Meisten unter den Farbigen ragen außer den Schwarzen, Schwärzlichen, Braunen, Gelben und Brünetten – die Deutschen und Irländer hervor. Die Deutschen sind hier auch Farbige, insofern man ihre sociale und moralische Position durchschnittlich nicht über den schwärzesten Neger stellt. Unter Deutschen versteht man hier im Allgemeinen Linden-Müller und Louis Drucker aus Berlin, die in Broadway ihr Kneipen-Unwesen treiben, Rowdies, Runners und sonstige Bummler und Beutelschneider, die unter dem „französischen Louis“ für billige Preise Alles zer- und todtschlagen und zerstören, was man ihnen aufgiebt, bei den Wahlen die Männer des Schreckens spielen und für Eisenbahn-Compagnien stets unter den 300,000 Einwanderern, die jährlich hier ankommen, umher irren, um jeden nach zwei bis drei verschiedenen Seiten zu ziehen. Der deutsche Bauer, der hier an’s Land tritt, mit einem Sack harter Kasse in der Hosentasche, wird gleich von vier Seiten als Bruder umarmt, wobei einem Zärtlichen nicht selten die ganze Geldkatze an den geübten Fingern kleben bleibt. Ist der Bauer recht pfiffig und hält die Hand auf die Tasche, lässt er sich doch nicht selten in eine Spelunke locken, wo man ihn ausplündert oder auf eine Eisenbahn, die expreß dazu eingerichtet ist, daß auf dem Wege bis Cincinnati ein Paar in jedem vollgepropften Waggon ersticken. Doch das beiläufig. New-York, als solches, kann nicht dafür, und man muß sich hüten, „den Spucknapf der Nationen,“ wie man es titulirt hat, nach dem Inhalte dieses Napfes zu beurtheilen. Nur noch so viel im Interesse deutscher Auswanderer, daß Schwindel und Betrügerei in räuber- und mordbrennerartigen Banden auftreten, welche von Schwindel-Compagnien aller Art besoldet werden. Vorsicht, Courage, Polizei schützen nicht gegen sie. Und die Presse, welche gegen sie aufzutreten suchte, wurde theils von andern Organen überschrieen, theils zu Schanden oder gar todtgeschlagen.
Herr Gerhard, früher Buchhändler in Danzig und Berlin, jetzt in Hoboken, hat nun, um diesen Hydern der Auswanderer dennoch die Köpfe abzuschlagen, sich erst neuerdings die unsägliche Mühe genommen, selbst nach London, Hamburg, Bremen u. s. w. zu reisen und Anstalten zu treffen, daß die Auswanderer, ehe sie in New-York an’s Land steigen, sich selber klug machen. Diese Anstalten werden in einem unentgeltlich an alle Auswanderer vertheilten Anzeige-Blatte bestehen, welches die Namen, Bureaux, Manieren und Manipulationen aller Schwindel-Compagnien und ihrer helfershelferischen Banden enthalten und von besondern Agenten in den Auswanderungshäfen und auf den Schiffen jedem Auswanderer zur Lectüre auf der Reise empfohlen werden wird. Die Kosten des Unternehmens glaubt er durch Anzeigen decken zu können. Das Mittel ist einfach, aber allem Anscheine nach sehr gründlich und einer großen, segensreichen Zukunft fähig. Hierbei will ich noch in Parenthese erwähnen, daß ich in der liebenswürdigen Familie Herrn Gerhards, der wie ein kleiner Prinz auf einer umgrünten Hügel-Terrasse von Hoboken wohnt, einige herrliche deutsche Abende verlebt, und viele deutsche Familien und
- ↑ Ich erwähne solche Scenen nicht in Voraussetzung eines Interesses an den persönlichen Schicksalen des Schreibenden, sondern weil sie ganz wesentlich New-York charakterisiren helfen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_082.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)