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Seite:Die Gartenlaube (1855) 079.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

einen Verfassungsbruch zu verhüten, zurück. Es ist Sache der Gemeinde, zu entscheiden, wie das Vaterland und die Monarchie zu retten sei. Die junge Herrscherin in ihrer Machtvollkommenheit will die Verweise der Schildwache ignoriren, sie braucht Gewalt und die Schildwache beißt sie zurück. Ihr Leben selbst würde jetzt in Gefahr sein, wenn sie nicht die eingeborne magische Gewalt hätte, durch ein einziges Wort, ein kaum Menschen vernehmliches leises Quieken, die Schildwache festzubannen. Der Bienenvater Huber behauptet, dies oft mit angesehen zu haben. Doch ihr Zauber dauert nicht lange. Ehe sie es möglich machen kann, einzudringen, erholen sich die Wächter des Gesetzes und wiederholen sofort ihre Ausweisung. Huber beschreibt genauer, unter welchen Verhältnissen sie das Zauberwort aussprechen und zwar in einem Falle, wo die Königin schon im Staate inwendig Miene machte, die Zellen, in welchen noch unvollendete junge Königinnen steckten, aufzureißen. Von den Wachen zurückgeschlagen, stellte sie sich mit ihrer Brust gegen eine Wabe, kreuzte ihre Flügel über dem Rücken und hielt sie in Bewegung, ohne zu fliegen und gab dann den magischen Ton von sich, der heiserer und schwächer von den noch in den Zellen vergrabenen jüngern Königinnen wiederholt ward. Die Wirkung auf die Wachbienen ist augenblicklich. Sie sitzen wie versteinert, erholen sich aber immer wieder, ehe die Königin ihren Mordplan ausführen kann. So muß sie dem von den Unterthanen scharf bewachten Gesetze endlich nachgeben. Worin besteht dieses Bienenstaatsgrundgesetz? Den Staat zu verlassen, und mit einer Zahl Getreuer eine Kolonie zu gründen, das Souverainetätsrecht aber ihren noch hülflosen, im Auskriechen begriffenen königlichen Schwestern zu überlassen. Aber welcher? Das: hängt von dem allgemeinen Wahlrecht der Unterthanen ab. Die nicht gewählten Königinnen werden von den Unterthanen gegen die absoluten Gelüste der gewählten Herrscherin sorgfältig geschützt, damit sie Zeit haben, sich zum Abzuge und zur Begründung einer neuen Kolonie zu rüsten. So ziehen manches Jahr zwei, drei, vier, sogar fünf Kolonien ab, um den neugeborenen Königinnen, Staaten zu gründen. Aber wenn dadurch das Mutterland geschwächt wird, daß die Wächter der jungen auskriechenden Königinnen nicht mehr stark genug bleiben, wird Bürgerkrieg die unvermeidliche Folge. Zwei Königinnen treten z. B. gleichzeitig an’s Tageslicht, und die stark gelichteten Unterthanen reichen noch kaum hin, das Mutterland zu erhalten, was geschieht nun? Schlagen sich einige zu dieser, andere zur anderen Königin und führen nun Krieg? Mit Nichten. Die Königinnen müssen ihren Kampf selbst ausfechten und die Unterthanen sehen zu und gehorchen der Siegerin. Die beiden Thron-Candidatinnen sehen sich zum ersten Male und finden, daß das Staatsgrundgesetz nur einer das Existenzrecht gestattet, Prinzen und Thronfolger werden nicht geduldet. Sie stürzen sich sofort kämpfend gegen einander; jede packt den Rüssel der andern und in einem wahren Faust- und Zweikampfe ringen sie so lange mit einander, bis eine todt auf dem Platze bleibt. Merkwürdiger Weise verrathen sie dabei zugleich gern Schonung gegen einander, wenigstens zögert jede möglichst lange, ehe sie ihre tödtliche Waffe braucht. Auch versuchen sie oft, die Entscheidung aufzuschieben und geben das Duell plötzlich auf. Aber die zuschauenden Bienen dulden das nicht. Sie wollen einen Herrscher und keine schwebenden Verhältnisse. Der Staat darf der Könige wegen nicht leiden. So werden die beiden Thron-Candidatinnen unbarmherzig wieder gegen einander gehetzt und immer wieder, so oft auch beide die furchtbare Entscheidung aufzuschieben suchen. Endlich faßt die stärkere die schwächere bei den Flügeln, zwängt Füße und Kopf unter den Körper, drückt sie nieder und bringt ihr den tödtlichen Streich bei. Oft sind inzwischen neue Königinnen ausgekrochen, mit welchen die Siegerin auf’s Neue kämpfen muß und denen sie zuweilen noch unterliegt. Ist auf diese Weise die Monarchie wieder hergestellt, gehen alle Bienen wieder an ihre genau bestimmten Geschäfte und leben fleißig und glücklich bis zum nächsten Jahre.

Der großmüthige Zug, womit sie die jungen Königinnen bewachen und vor feigem Mord schützen, damit ehrlicher Zweikampf entscheide, enthält viel Romantik und Weisheit. Und wer könnte in der Art, wie sie Bürgerkriege führen d. h. vermeiden, indem sie, was bei uns Unterthanen ausfechten müssen, auf die Interessenten allein beschränken, diese volkswirthschaftliche Weisheit verkennen?

Nur das mittelalterliche Institut der Drohnen will uns nicht gefallen. Wenigstens ist es barbarisch, diese privilegirten Müßiggänger erst auf Staatskosten zu füttern und dann jedes Jahr einen allgemeinen Vertilgungskrieg gegen sie zu veranstalten. Oder ist die jährliche Ermordung derselben eine zarte Rücksicht der Fleißigen, da sie vielleicht denken mögen, daß es viel grausamer sein würde, die Drohnen langsam an Langeweile sterben zu lassen?




Amerikanische Briefe.

1. New-York.
Seine Lage und Gestalt. – Begrüßung, bei der Ankunft durch Gauner. – Vergleichung mit London. – Die Geschäftsgegend. – Die Bedeutung New-Yorks als amerikanisch-europäischer Haupt-Spediteur und Einwanderungs-Hafen. – Für deutsche Auswanderer ein Wink. – Herr Gerhard und sein Unternehmen für dieselben. – Die Auswüchse an der Freiheit Nord-Amerika’s aus Europa. – Physiognomie New-Yorks. – Broadway. – Der Kleiderhandlungs-Marmor-Palast.

Da bin ich endlich in der europäischen Mündung des amerikanischen Lebensstromes, in New-York, dem buntesten, leidenschaftlichsten Gemisch der alten mit der neuen Welt, der weltmeerumspülten Inselhauptstadt aller Völker. Wenn man New-York zuerst vom Meere aus sieht, bekommt man einen bessern Totaleindruck von dieser universellen Bedeutung des Platzes; mich brachte die Eisenbahn aus dem Innern her, so daß ich zunächst mich ringsum nur in Verlegenheiten und Mystificationen befand. An dem linken Ufer des Hudson, der hier ein großes, dichtbelebtes Becken mit den malerischen Bergen des New-Jerseystaates bildet, donnerte unser Zug in die Stadt hinein. Wo blieb nun die die Insel Manhattan, auf der sich New-York vom Festlande trennen soll?

Ich hatte den engen Kanal, der das Vorgebirge der Manhattainsel vom Festlande trennt, auf der darüber hinfliegenden Eisenbahn gar nicht bemerkt. Doch nun fand ich den Hudson, an welchem wir hereingekommen, ganz wo anders weit im Westen, und dann hieß er nicht Hudson, sondern Nordfluß (North river). Ein enger Meeresarm, der Long Island von New-York trennt, heißt der Ostfluß. Beide verbindet ein Kanal, der Haarlem River. So bildet sich das Terrain New-Yorks zu einer Insel von ungefähr drei deutschen Meilen Länge und höchstens einer halben Breite, im Süden sich zu einem engen Streifen zuspitzend, der „Battery.“ Von diesem strategischen Punkte lief New-York, sich schnell ausbreitend, nordwärts über die ganze Insel hinweg mit starken Versuchen, darüber hinweg auf’s feste Land über zu springen. Doch hat sie hier vorläufig noch Raum für die wildeste Anarchie ihrer Entwickelung, von der ich ganz zuerst ein drastisches Bild bekam. Die Eisenbahn hielt zwischen verirrten, halbfertigen Straßen, Holz-, Stein-, und Erdhaufen, Pfützen, zerbrochenen Töpfen und Flaschen, schmutzigen Holzhütten und endloser Unordnung, ohne eigentlich einen Eisenbahnhof erreicht zu haben. Die Locomotive lief allein fort. Ein Paar Dutzend Leute nahmen den Zug auseinander, spannten vor die Theile je zwei oder vier Pferde und schickten dieselben in verschiedenen Richtungen nach der Stadt, so daß die Compagnie Droschkenkutscher und Omnibussen das Vergnügen nicht gönnt, die Passagiere einzeln auseinander zu nehmen und zu prellen. Beinahe eisenbahnschnell rollten unsere vier Pferde Straßen auf, Straßen ab bis mitten in das Herz der Stadt hinein, in eine Confusion der Geld- und Betrugs-Gier, der Rohheit und Unverschämtheit, so daß ich für mich eine gerechte Strafe wegen der Mißliebigkeit fand, mit der ich früher oft von unserer deutschen Polizei gesprochen und geschrieben. Ein Kerl „mit Wuth und Knotenstocke im Blicke,“ beraubte mich gewaltsam meiner Reisetasche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)