Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Ob sich das Silicium (d. h. das metallische Element, welches dem Kiesel zu Grunde liegt) praktisch von Wichtigkeit zeigen werde, hängt von weiteren Untersuchungen und Experimenten ab.
Aluminum aber allein scheint nichts weniger als einer der mächtigsten Revolutionairs für große Heere der Industrieen und Künste werden zu wollen. Viel Thonarten enthalten 25 Procent reine Schwester des Silbers: Aluminum. Wo giebt es eine Grenze für deren Production? Funkeln nicht in den zukünftigen Küchen unserer kleinen Töchter die groben, zerbrechlichen Töpfe und Tiegel und Schüsseln als reines, solides Aluminum-Silber? Wie glücklich werden sie als Frauen sein, da sie sich nicht mehr alle Tage über „zertöpferte“ Geschirre ärgern müssen! Und was wird die Chemie dem neuen Freunde veranken? Aluminum ersetzt nämlich in vieler Beziehung das jetzt in der Chemie unentbehrliche Platin. In manchen chemischen Fabriken kosten allein die Platingefäße 8–10,000 Thaler. Das unentbehrliche Platin kommt jetzt meistens aus Rußland. Die Auferstehung des Aluminums aus der Lehmgrube kann für dasselbe eine empfindlichere Niederlage werden, als der Fall Sebastopols, zumal da, wie die Conjuncturen der Diplomaten jetzt stehen, die „westliche Civilisation“ absichtlich auf Gewinn für dies „Civilisation“ verzichten zu wollen scheint. –
Und die Folgen für die socialen Verhältnisse aus der versilberten Lehmhütte? Je nun, wenn die Leute in der ärmsten Hütte auch mit silbernen Gabeln ihr Fleisch in den Mund spediren, wird Niemand mehr wünschen, mit silbernen Pantoffeln geboren zu sein. Hat doch schon die Galvanoplastik den soliden Silberschrank der Reichen in Mißcredit gebracht. Wie kann der solid Besilberte Jedem beweisen, daß seine Leuchter und Löffel nicht blos durch galvanische Electricität überzogen wurden? Wie glänzt die Welt in der Zukunft! Jetzt welche Masse von Dingen, Decorationen und allerhand schönen Sachen, welche bald rosten! Wird man sich künftig nicht Alles von gereinigtem Thon, von unrostbarem Aluminum anschaffen und vielleicht ganze Häuser davon bauen können? Und zu guter Letzt kann sich nicht Jeder noch nach dem Tode verdient machen? Wir wissen, daß unser Leib wieder zu Erde wird. Im Falle wir nun sterben, ohne Silber und Gold zu hinterlassen, könnte man arme Verwandte zu Universalerben der Viergroschenstückchen machen, die Chemiker aus unsern irdischen Ueberresten herausschneiden möchten.
Im Ernste ist Aluminum kein Spaß mehr. Vor 50 Jahren war es auch ein Problem und eine Neuigkeit, Soda aus Seewasser zu gewinnen; jetzt producirt man sie zu Hunderttausenden von Centnern daraus. Sieht es aber von vorn herein nicht viel großartiger, kulturgeschichtlicher, lebensfreudiger aus, Silber aus dem Thone unter unsern Füßen zu ziehen, wofür man sich kaum eine Grenze der „Tragweite“ denken kann?
Man hat in allen Feldzügen grausige Scenen gesehen, dem Zug der Verbündeten in die Krim war aber das Ungeheuerlichste vorbehalten. Mitten im Schlamm, Wasser und Blut war eine Armee nahe daran, des leidigen Hungertodes zu sterben; für die eingerissenen Krankheiten waren keine Aerzte zur Behandlung und keine Medicamente da; für die Pferde weder Hafer noch Heu, die armen Thiere schleppten ihre Reiter nur mühsam fort und oft stürzten sie unter ihnen zusammen, um nicht wieder aufzustehen. Die sonst so kräftige Mannschaft schlich in abgehärmten Gestalten umher, kaum daß sich die Wachen auf den Füßen halten. Wer möchte die einzelnen Jammerscenen alle beschreiben, die im Laufe der letzten Monate sich ereigneten?
Neuerer Zeit soll das etwas anders geworden sein. Warme Kleider, hinreichende Kost, gutes Unterkommen, für Kranke Medicin, auch neue Mannschaft, die Leben in’s Lager bringt; statt der ausgehungerten Herumschleicher sieht man wieder die straffen Grenadiere, welche in diesem Zustand gegen den Feind zu führen eine wahre Lust sein muß. England will seine schwer heimgesuchte Krim-Armee wenigstens nachträglich zu entschädigen suchen. Auf das Elend soll der Comfort folgen, wobei sogar die Lektüre nicht vergessen worden ist und unter Anderm die übersetzten Dorfgeschichten unsers Landsmanns Auerbach den Grenadieren in 200 Exemplaren geboten werden. Die hölzernen Häuser, welche gleichzeitig aus England mit anlangten, und den trefflichsten Schutz gegen alle Unbilden des Wetters gewähren, werden den Belagerern wahrscheinlich willkommener sein, als die gesandten Bibliotheken.
In unserer Zeit wird schnell vergessen und so wird binnen Kurzem kaum noch Jemand von den Leiden der englischen Armee in der Krim sprechen. Man hat die Todten in Löcher von vier bis sechs Fuß gescharrt, und schreitet nun über sie hin. Allein ein Schrei erhebt sich doch noch! Man fragt, wie konnte die Armee in jenen Zustand gerathen? Und die Antwort lautet: durch die Nachlässigkeit und Unfähigkeit der Offiziere, zumal der mit dem Verpflegungswesen Betrauten. Bekanntlich werden aber in England alle Offiziersstellen gekauft, meist von den jüngeren Söhnen aristokratischer Familien, so daß das ganze Heer von lauter Aristokraten befehligt wird. Diese klagt nun die öffentliche Meinung in England an, daß sie durch ihre Unfähigkeit Tausende von Engländern dem Tode überlieferten, abgesehen von all den Fehlern, die sie sich seit Eröffnung des Feldzugs zu Schulden kommen ließen. Die Alleinbefähigung der englischen Aristokraten zum Commandiren ist durch diese Vorgänge ernstlich erschüttert worden, und die Regierung wird hier jedenfalls zu einer durchgreifenden Reform schreiten müssen, wie sie die englische Armee überhaupt bedarf.
Ob wir im Verlauf der Dinge noch mehr als Sebastopol und einige Küstenstädte von der Krim zu sehen bekommen, steht sehr dahin. Es würde dies nur der Fall sein, wenn die Verbündeten den General Menzikoff in offener Feldschlacht entschieden schlügen, wo sich dann ein Theil des Innern der Krim aufthun würde.
Dann vielleicht hätten wir Gelegenheit, nähere Bekanntschaft mit den Tartaren zu machen, und uns in Baktschisarai etwas genauer umzusehen. Baktschisarai ist die einzige Stadt in der Krim, welche ihren tartarischen Charakter bewahrt hat. Die große Straße, welche sich durch die ganze Stadt hinzieht, erregt dadurch unsere Aufmerksamkeit, daß sie ganz mit Buden und Werkstätten bedeckt ist. Hier wird die tartarische Industrie noch ganz so betrieben wie vor Jahrhunderten und keine Mode hat an dem alten Herkommen gerüttelt. Ordinäre Töpferwaaren, grobe Messer, Maroquinarbeiten der verschiedensten Art, Pantoffeln, Sättel, Gürtel, Geldbeutel, dies sind die Waaren, welche die Buden füllen, in denen der Kaufmann nach Art der Schneider sitzt.
In diesen Werkstätten macht man Stellmacherarbeit, daneben werden Ochsen beschlagen, gegenüber wird Baumwolle gesponnen. Weiterhin bohrt ein Drechsler mit vieler Geduld die langen Tabakspfeifenröhre von Kirschbaum und Jasmin aus, die im Orient so geschätzt werden. Die Barbierstube fehlt ebenfalls nicht, und es ist der Barbier in der Regel eine wichtige Person, zugleich Dichter und Politiker, der mit der großen Brille auf der Nase ein sehr gravitätisches Aussehen hat. Endlich stoßen wir auf die Buden der Pastetenbäcker und Fleischer, die hier einen sehr wichtigen Rang einnehmen. Die getreue Abbildung einer Fleischerbude, wie sie diesem Artikel beigegeben ist, wird unsern Lesern einen kleinen Begriff von dem Treiben in der langen Straße von Baktschisarai geben.
Eine solche Fleischbude bringt den angenehmsten Effekt hervor; die Schinken oben und die übrigen Fleischstücke können nicht schöner geordnet sein, Alles in Reih und Glied. Der Eigenthümer dieser Leckerbissen sitzt gewöhnlich mit übereinandergeschlagenen Füßen unter seinem Schinkenhimmel, und erwartet, die lange Pfeife im Munde und die schwarze Schaffellmütze bis über die Ohren gezogen, mit unerschütterlicher Ruhe, daß die Käufer sich einfinden sollen. Die Tartaren sind Alle von einem Schlage. An ihrem Wuchse ist nichts auszusetzen, blaue Augen und Adlernasen sind allgemein; die Kühnheit ist ihnen angeboren, wie hinwiederum der Verstand ihr ganzes Wesen beherrscht. Von Natur sind sie faul, wie alle Orientalen, aber faul mit Genuß, doch können sie, wenn es nöthig ist, die härtesten und mühsamsten Anstrengungen ertragen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)