Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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geben, wandte sich der Räthselhafte der Thüre zu. Wir, mein Begleiter und ich, thaten das Gleiche.
„Dieser Mann, der soeben den Spielsaal verließ,“ erzählte mir jetzt mein führender Freund, „ist von Hause aus ein ehrbarer Handwerker. Er arbeitete in einem benachbarten Landstädtchen mit Glück und Geschick und erfreute sich eines ziemlichen Wohlstandes. Ein braves Weib und drei liebe Kinder theilten mit ihm in anspruchsloser Weise den Segen seines Fleißes. An einem Sommersonntage ging er mit den Seinen nach Homburg, und an diesem Tage legte er im Glücke den Grund zu seinem jetzigen namenlosen Elende. Die Geschichte ist kurz. Er ging in den Kursaal, um dem Spiele zuzusehen, versuchte selbst auch einen Gulden, gewann in beinahe beispielloser Weise und kehrte am Abende mit einer beträchtlichen Summe voll Jubel und Freude in sein bescheidenes Städtchen zurück. Sie errathen selbst, daß ihn der nächste Sonntag von Neuem zum grünen Tische führte, und es ging ihm auch diesmal so sehr nach Wunsche, daß er meinte, er habe nun die Schrift seines Schicksalbuchs verstanden. Er spielte jetzt auch in den Wochentagen, und in kurzer Zeit war er ein Mann von 60,000 Gulden. Sein noch wachender Engel führte ihn zu sich selbst zurück. Er ließ jetzt ab vom Spiele, kaufte sich ein Haus, betrieb sein Gewerbe im größeren Umfange und verlebte ein glückliches und segensreiches Jahr. Wie es aber den Meisten ergeht, die sich einmal einer Leidenschaft ergeben haben, so erging es auch ihm. Die Leidenschaft erwachte von Neuem, und wie vom Schlummer gekräftigt, erfaßte sie ihm mit doppelter Stärke. Er spielte wieder und von jetzt an mit ebenso entschiedenem Unglücke, als der früher glücklich gewesen war. Er verlor sein Haus, sein Vermögen, damit seinen Credit, und was das Schlimmste war, seine sittliche Kraft und seinen Verstand. Die Menschen haßte er, und gegen die Seinigen, die er ehedem von ganzer Seele liebte, wurde er Tyrann. Sein Weib lebt jetzt getrennt von ihm, die Kinder gehören der Mutter, er selbst aber wendete sich in eine benachbarte große Stadt, um unbemerkter zu bleiben. Hier arbeitet er nun für spärlichen Tagelohn vom frühen Morgen bis zum spätesten Abend, ißt trocknes Brot und wohnt unter dem kalten Dache in
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_061.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2023)