Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Ach, edler Meister van Eyk[1], seht mein schlechtes Werk nicht an!“
Aber der hochberühmte Maler hatte sich über die Zeichnung gebeugt und betrachtete sie lange und aufmerksam. Dann wandte er sich zu dem aufgeregten Knaben, der aufgesprungen war und mit glühenden Wangen neben ihm stand, und fragte ernst:
„Wie heißt Du?“
„Hans Hemmling [2].“
„Hans Hemmling – willst Du mein Schüler werden?"
Da rang sich ein wilder Schrei des Entzückens aus der jungen Brust, mit überströmenden Augen rief der Knabe fast krampfhaft:
„ja – ja – ich will!"
Die Stimme brach ihm aber, er faßte des Meisters Hände und drückte sie fest an sein laut klopfendes Herz.
Der alte Bauer nahm seinen breitgeränderten Hut langsam ab und sagte:
„Nun habe ich ihn doch untergebracht, den Taugenichts, Dank Euch, Meister van Eyk! Hans hat von Euch geträumt Tag und Nacht und mir dabei Wände und Tische geschwärzt. Bei Euch wird er gut thun! – Aber, Hans, bedanke Dich zuerst bei Mafraw Vandermer."
Die aber war fortgerannt und van Eyk ging auch langsam weiter, die Leute verliefen sich, der lange Hans verkaufte seine Gänse, der braunlockige Gesell allein stand bewegungslos mit gefalteten Händen da und wiederholte sich immer und immer wieder die Zauberworte:
„Hans Hemmling, willst Du mein Schüler werden?"
Die Zeit floß sanft weiter. – Hans Hemmling wohnte im Hause des Meisters Johannes van Eyk und war der fleißigste und geschickteste aller seiner Schüler. Der große Maler stand damals auf der Höhe seines Ruhmes. Er war erst seit wenigen Jahren von Gent zurückgekehrt nach Brügge, in ersterer Stadt hatte er in Verein mit seinem Bruder Hubertus und seiner Schwester Margarethe, dieser hohen Künstlerin, eine Kapelle in der Johanniskirche gemalt. Der Tod zerriß grausam den schönsten Geschwisterbund, Hubertus erkrankte kurz nach Beginne des Altarblattes und starb, und die edle Jungfrau, Margarethe, folgte ihm nach wenigen Monden. – Den tiefen Kummer des Ueberlebenden linderte nur die heilige Kunst, die ja zu allen Zeiten ein unversiegbarer Trostquell für alle Schmerzen der Erde gewesen. Er lebte fortan nur schaffend und lehrend in Brügge, aber nur einer kleinen Anzahl von Schülern wurde die Segnung seiner Unterweisung zu Theil. Unter ihnen wurde Hans Hemmling gar bald van Eyk’s Liebling. Sein wunderbares Talent zur Miniaturmalerei entzückte den Meister. Der Jüngling machte riesenhafte Fortschritte und bald kannte man seinen Namen, und vornehme Kunstfreunde ließen sich die Blätter ihrer auf Pergament geschriebenen Gebetbücher von ihm verzieren. Endlich wurde es gar Mode, eine Blume oder Arabeske, eine Landschaft oder eine Heiligengestalt von Hans Hemmling gemalt zu besitzen, und weltliche wie geistliche Fürsten ließen sich ganze Gebetbücher von ihm ausmalen und bezahlten ihm was er verlangte. Bescheiden nahm der junge Maler solche Auszeichnung hin, mit erhöhter Dankbarkeit sich seinem weisen und gütigen Lehrer zuwendend.
Da begab es sich eines Tages, als der Jüngling in der Liebfrauenkirche kniete, daß dicht neben ihm ein junges Mägdlein sich betend niederwarf. Das Malerauge verfolgte mit Wohlgefallen die reinen Linien des kindlichen Profils, die weiche demüthige Neigung des Hauptes, die schönen Formen des Nackens und der Arme – und mit der inbrünstigen Andacht war’s für diesmal vorbei. Hans Hemmling stand auf als das Mägdlein sich erhob, wandelte hinter ihr her aus der Kirche, folgte ihr durch viele Straßen wie im Traume und blieb mit ihr vor einem kleinen Hause stehen. Als sie den schweren Klopfer der Thür niederfallen ließ, – da erst hob sie den Kopf und schaute voll und gerade in Hans Hemmling’s Gesicht. Es waren zwei blaue engelliebe Augen, die dem jungen Maler tief, tief in’s Herz schauten. Und da blieben sie stehen wie zwei helle Sterne und strahlten ihn an Tag und Nacht im Wachen und Traume. In alle Engelsköpfchen, die fortan Hans Hemmling malte, stahlen sich diese Augen – die Ruhe seines Herzens war nun dahin für ewig. – Wohl zu hundert Malen ging er an ihrem Hause vorüber ohne mehr zu gewahren als die Spitze der schwarzsammetenen Haube, die das Mägdelein trug und ein Stückchen ihrer schweren blonden Flechten. – Aber erste Liebe ist genügsam wie ein Kind, die unscheinbarsten Dinge beglücken sie: – Die Spur des zarten Fußes im Sande, der Saum des Gewandes, eine Bewegung der Hand, ein Seufzer, ein Blick, ein Erröthen, ein Lächeln – das war so von Uralters her und wird immer so sein. – An den Sonntagen nun sahen sich der Jüngling und das schöne Mädchen aber gewißlich, – und eines Tages grüßten sie sich, und dann gab Hans Hemmling dem lieblichen Frauenbilde eine Strecke Weges das Geleit, und endlich redeten sie wenige Worte miteinander – Beide Anfangs so scheu und kindlich-zaghaft. – Nach und nach wurden sie muthiger und redeten länger, und so vernahm er von ihr, daß sie das einzige Töchterlein einer gichtkranken Wittwe sei, und die heftige und strenge Mutter ihr keinen andern Ausgang gestatte, als den zur sonntäglichen Messe. Sie müsse einsam leben Tag für Tag, sagte sie, und sähe gar selten ein menschlich Angesicht. – Und leise weinte sie als sie so sprach. – O, wie da des jungen Malers Herz litt bei ihren Thränen. Er sah die schönste der Rosen unbewundert verblühen, welken – sterben – und er faßte zur Stelle den Plan, um die Geliebte zu werben bei der strengen Mutter. Würde sie ihm ihr holdselig Töchterlein anverloben, so wollte er sich seinem Lehrer und Freunde entdecken, und der müßte helfen und rathen – meine er. – Davon sagte er aber der Geliebten nicht ein einziges Wort.
Und als etwa ein halber Mond vergangen und der Frühling eben die Augen aufschlug – da stand Hans Hemmling eines Sonntags Nachmittag vor dem wohlbekannten Hause und klopfte. Eine alte Magd öffnete und fragte nach seinem Begehr. Da fiel’s ihm urplötzlich schwer auf die Seele, daß er nicht einmal den Namen des Mädchens wisse, das er zum Weibe begehren wollte, und er erröthete heiß und gab unverständliche Antwort. Die Schwerhörige aber führte ihn durch das saubere kleine Vorhaus, die schmale teppichbelegte Treppe hinaus, klinkte eine Thüre auf und der junge Maler stand in einem gar zierlichen Gemach. Die holzgetäfelten Wände glänzten, auch das künstliche Schnitzwerk an den hohne Sesseln und die Messingknaufe und das Geländer am Kamin. Am blanken Fenster standen Scherben mit Tulipanen und Hyacinthen, und die Mädchenblume stand davor und erblaßte und fuhr mit der Hand nach dem wild pochenden Herzen, als sie den Geliebten erkannte. Am Kamin aber saß eine alte dicke Frau in großblumiger, bauschiger Damastrobe und weißer steifer Haube. – Hans Hemmling trat verwirrt näher, legte gesenkten Blicks der Alten ein Päcklein auf den Schooß und sagte leise:
„Hier habe ich Euer holdseliges Töchterlein conterfeyt, ich schenke es Euch – aber gebt mir dafür das lebende Kind zum Weibe!“
Die Frau erhob sich erstaunt – beugte sich vor – schrie laut auf – und ließ das wunderfeine gemalte getreue Bildniß des Mädchens auf den Boden fallen. – Entsetzt schlug jetzt der Maler die Hände vor sein Antlitz – er hatte Mafraw Vandermer erkannt. Zitternd vor Wuth trat sie ihm näher und eine Fluth von Zornreden strömte von ihren Lippen. Weinend stürzte die Tochter zu ihr hin.
„O, Schande über Dich und Deinen Buhlen, Ursula,“ schrie sie gellend, „hast immer geredet von einem sittsamen Jüngling, hast mir erzählt von seinen sanften Augen und seinem edlen Wesen – und bringst mir den – den da in’s Haus! weißt Du, wer der ist? ’S ist jener verwegene Bauerjunge, der vor vier Jahren Deine ehrbare Mutter auf öffentlichem Markte vor allen Leuten beschimpft! – Nun will er auch Dich beschimpfen, der Farbenkleckser, der Pinselmann und freit um Dich. – Aber das soll ihm doch nicht glücken. Ursula ist zu gut für eines dammer Bauern Magd, und Ursula folgt keinem Manne, der einst ihre Mutter so schnöde verhöhnt! Ich sage Euch, sie wird nicht, sie darf nicht! – Und wenn sie diese Worte vergessen sollte, so wird mein Fluch sie aus dem Grabe noch treffen. – Da seht – seht – wie viel Eure Kunst mir werth ist!“
Sie nahm die feine Holzplatte, auf deren dunkelm Grunde
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_058.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2019)