Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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knallte es, und jeder Schuß verkündete den scheel drein blickenden Dörflern, die am Saum ihrer Felder und Wiesen standen, daß die Bürger der ehrwürdigen Bergstadt ihr altes, verbrieftes, hundertjähriges Weichbildrecht geltend machten. Mehrere Dorfgemeinden nämlich, die im Bezirk des städtischen Weichbildes, welches einen Umfang von vielleicht 4–5 Stunden hat, liegen, wollten diese, schon seit vielen hundert Jahren, alle zehn Jahre stattfindende Prozession der Weichbildumgebung nicht mehr dulden und hatten bei der Staatsregierung eine Art actio finium regundorum erhoben, in Folge dessen die Staatsbehörde die Prozession bei 25 Fl. Strafe verbot; indessen die Stadt zahlte die Strafe und übte den alt-germanischen Brauch aus, und den Dörflern blieb nichts übrig als in ihren langen, blauen Sonntagswämsern trotzig auf ihre lange Stecken gestützt und den Pfeifenstummel im Mund, von ihren Dörfern aus den lustigen Zug vorüberrauschen zu sehen. Denn lustig war die Prozession wahrlich, vollends nachdem gegen Mittag sich die ganze Karavane in einem weiten, grünen Waldthal, wie sie das thüringer Gebirge so reizende und viele hat, lagerte. Ringsherum um den Thalkessel dicht mit Eichen, Tannen, Buchen und Buschwerk bewachsene Hügel, unten im Thal eine weite große Waldwiese, mit jenem kurzen, frischen, grünen Rasen, wie man ihn nur in den thüringischen Wäldern trifft, – murmelnde, zwischen den moosbewachsenen Felsen herabströmende Waldbäche mit köstlich klarem, kalten Wasser, und über diesem Thal, das wie abgeschlossen durch die dichten, grünen Waldberge von dem Staub der Heerstraße und dem Geräusch der Städte dalag, ein reiner, blauer Himmel, von dem die milde Herbstsonne ihre goldenen Strahlen durch das hier und da schon roth- und gelb gefärbte Laub, herab auf das dunkelgrüue Moos und den hellen Rasen warf. Und nun auf diesem grünen Stückchen Erde diese nomadisirende Bevölkerung von vielleicht tausend Köpfen jeden Alters und Geschlechts! Hier um die Wagenburg, auf welcher die ungeheueren Bierfässer lagerten, eine zechende und lärmende Gruppe ehrsamer Stadtbürger, die heute einmal den Alltagsmenschen ausgezogen hatten und die, herausgerissen aus dem dumpfen, niedrigen Kramladen und der Werkstatt, mit der frischen würzigen Waldesluft auch frischeres, regeres Leben einathmeten und das Blut ihrer munteren Jugendzeit wieder durch die Adern rollen fühlten; dort am Abhang des Hügels eine bunte Schaar blondhaariger und blauäugiger Mädchen und junge Bursche, die trotz des unebenen Wiesengrunds einen bal champêtre abhielten und ihre Tänzerinnen nach thüringischer Sitte mit kräftigem Arm hoch emporschwangen; um jenes qualmende Bivouac, an welchem auf dem Rost hunderte von Würsten schmoren, lag eine Schaar lauernder, hungriger Musikanten, während um eine andere Musikbande, die drüben auf sonnigen Hügel sich niedergelassen, ein Chor junger Leute, die ihre Studentenjahre noch nicht ganz vergessen, sich gesammelt und um einen auf ein Bierfaß sitzenden Präses gruppirt, die alten lustigen Studentenweisen, von dem: „Stoßt an, Jena soll leben!“ bis zu dem: „Bemooßter Bursche ziehe ich aus,“ in die dunkle, grüne Waldesnacht hineinsangen und dabei den großen schäumenden Humpen voll braunen Gerstensaftes kreisen ließen.
Unter jenen Haselnußbüschen aber träumten ein paar sanft Entschlummerte, die gar zu häufig dort an der Wagenburg von dem gambrinischen Quell gekostet, einen süßen Traum von Malz und Hopfen, ruhig und ungestört, trotz der knatternden Flinten- und Büchsenschüsse, von denen fortwährend die Waldung wiederhallte.
So verflossen drei lustige Stunden, bis von der Wagenburg herüber, wo der Magistrat sein Zelt aufgeschlagen, Trompetenklänge und Trommelwirbel zum Aufbruch riefen. Blitzesschnell wurde das Lager abgebrochen, die zerstreuten Gruppen ordneten sich, voran die Musikbanden mit dem Magistrat und den Fahnen, dann die Sectionen bewaffneter Männer, die Wagenburg mit den ungeheueren Bierfässern, die fahrenden Marketenderinnen mit ihren Bratspießen und Rosten und Kohlenbecken, denen die Mädchen und Frauen und schließlich wieder ein Schwarm mit Flinten Bewaffneter, welche die Arrièregarde des Zugs bildeten, sich anschlossen. Unter fortwährendem Gewehrfeuer stieg die Karavane die waldigen Höhen empor, und nach wenigen Minuten war sie zwischen den Felsen und Wäldern verschwunden, und einsam und schweigsam lag der Grund da, der eben noch einen so lustigen Anblick geboten.
So geht es fort drei volle Tage, bis das große weite Weichbild umgangen, bei jedem Grenzstein Halt gemacht, dieser ausgehoben, die darunter liegenden Urkunden und Zeichen untersucht, neue hinzugefügt und die oben von uns beschriebene Zeugenerwählung zum ewigen Gedächtniß an einem Buben vollzogen worden ist. Da das Fest nur alle zehn Jahre wiederkehrt, in einer andern Stadt, außer Saalfeld, unseres Wissens nach noch die einzige, wo diese Feierlichkeit stattfindet, geschieht es nur alle funfzig Jahre, so ist die Betheiligung daran eine allgemeine und man kann es im strengsten Sinne des Worts ein Volksfest nennen.
Dies und der eigenthümliche altdeutsche Charakter, der sich, wie denen, welche die Grundzüge alt-germanischen Staatenlebens kennen, nicht entgangen sein wird, abgesehen von der echt-deutschen Grenzstein-Ceremonie, in der Sonderung der Gemeinde, von dem was außer der Gemeinde liegt, in der strengen Isolirung durch die gewissenhafte Beobachtung der Marken, manifestirt, haben uns eine kurze Darstellung dieses Festes, mit dem Gedanken, daß diese auch für weitere Kreise, insbesondere aber für solche, welche sich für Eigenthümlichkeiten deutschen Volks- und Gemeindelebens interessiren, nicht ganz ohne Interesse, niederschreiben lassen.
Der Selbstmord eines Skorpions. Zu den unangenehmsten Landplagen des Orients gehört namentlich der Skorpion, ein garstiges Ungeziefer, das sich bereits im Banate und in Siebenbürgen zeigt, in den Herkulesbädern von Mehavia von den Bauern schon als interessante Species den Gästen in kleinen Gläsern verkauft wird, jenseits der Donau aber sich in solcher Menge vorfindet, daß man alle Ursache hat, vor ihm auf der Hut zu sein.
Vor Kurzem las ich in den Blättern von einem Storch, der in Elbing freiwillig seinen Tod in den Fluthen eines Baches gesucht, und in dem man eine neue Gattung von Selbstmördern entdeckt haben wollte; da ich nun ebenfalls im Thierreiche ein ähnliches Beispiel zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, so will ich dasselbe dem Leser hier zum Besten geben.
Mein Selbstmörder gehörte zu den Skorpionen, von denen ich oben gesprochen. Schon in Widdin war ich diesen garstigen Thieren häufig in den Häusern und im Lager begegnet, später in Varna bewahrte mich Nachts, als ich in der offnen Gallerie eines Khan’s campirte, mein Durst vor dem Stich einen solchen Thieres, das ich, in Folge dieses Durstes erwachend, auf meinem Mantel kriechen sah und also noch zur rechten Zeit unschädlich machen konnte. In Konstantinopel endlich, wo der Skorpion zu den Hausthieren gehört, bot mir der Zufall die Hand, um mich an diesem garstigen Thiere zu revanchiren
Wir saßen eines Abends in Pera in der Gaststube einer deutschen Veranda. Mehrere deutsche Artillerie-Offiziere, die bisher vergebens um Anstellung in der türkischen Armee nachgesucht, immer vertröstet worden, und jetzt des Wartens müde, im Begriff waren, nach dem asiatischen Kriegsschauplatze zu gehen und dort ihr Glück zu suchen, ferner ein Franzose und ich, wir bildeten die kleine Gesellschaft, die gemüthlich um den Tisch und sich von den jüngsten Kriegsereignissen erzählte. Plötzlich schlug der Hund des Lieutenants P. an und sprang bellend um einen kleinen Gegenstand, den wir in dem Schatten, welchen der Tisch auf den Steinboden des Zimmers warf, nicht bemerken konnten.
„Es wird wohl ein Skorpion sein!“ rief der Wirth, der seiner Sache gewiß, schon mit der Feuerzange herbeikam und mit derselben gleich darauf einen Skorpion von etwa drei Zoll Länge, einen der größten welche ich bisher gesehen, an’s Licht hielt und auf den Tisch setzte. Herr v. C., ein Baier, der soeben hereintrat, ließ sich von dem Wirth eine kleine Flasche geben, der Skorpion wurde abermals mit der Feuerzange gepackt und sollte in die Flasche gesteckt werden, denn v. C., der in Pera ansässig, war ein großer Liebhaber dieser Thiere, er war bereits einmal von einem Skorpion gestochen worden, hatte vier Wochen an einer dick geschwollenen Seite laboriren müssen, und sammelte seitdem alle Skorpione, deren er habhaft werden konnte.
Eben dieser Stich war die Veranlassung der Liebhaberei des Herrn v. C., er sammelte die Skorpione, um sich vor ihnen zu hüten; jeder Hausbewohner von Pera nämlich hält sich gern eine bis zur Hälfte mit Oel gefüllte große Flasche, in diese werden die Skorpione gesteckt, welche man erhaschen kann, sie werden in diesem Oel ertränkt und müssen in diesem Oel verwesen, denn dieses gilt als einziges und sicherstes Gegengift gegen den Stich der Skorpione.
Während wir von Herrn v. C. wissen wollten, was mit diesem Skorpion anzufangen gedenke, holte uns der Wirth seinen Balsam aus dem Schrank; es war eine gute Quartflasche, in deren Oel bereits acht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_055.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)