Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Ebbe ihren giftigen Schlamm zurückläßt. Der steigende ungeheure Werth des Bodens in dieser Nähe Londons ließ diese Halbinsel unberührt, bis auch ihre Bestimmung kam und zwar eine der bedeutendsten im modernen Festungsbau für Befreundung und Verbindung der Völker und Erdtheile. Sie ist die Krim des Westens geworden, aus der sich sogar bereits ein Sebastopol erhebt, mächtiger, wenigstens bedeutungsvoller und mehr Leben verheißend, als die östliche Krim-Festung Todte fordert. Die Insel ist die Haupt-Vulkan-Schmiede für eiserne Dampfschiffe geworden, aus deren Wirrwarr sich während dieses Jahres ein fabelhafter Riese immer gewaltiger, unabsehbarer und höher erhob. Diese eiserne Riesenfabel ward mit der Zeit immer wirklicher und massiver, und mitten in der versebastopolten Presse fanden zuweilen Nachrichten und Notizen über deren Fortschritte Platz, die so unglaublich klangen, daß ich neulich beschloß, eine Expedition nach ihrer Geburtstätte selbst vorzunehmen.
Als ich mich auf meinem eisernen Themse-Dampfschiff-Omnibus mit vielleicht Tausend andern Personen dem berühmten Etablissement von Scott Russel & Comp. näherte, schrumpften wir alle in eine Nußschale zusammen. Ein thurmhoher eiserner Riese, zugleich lang und breit, wie eine ganze deutsche Provinzialstadt, hob und streckte sich vor uns und ein Kleingewehrfeuer von Tausenden von Handhammern und der ununterbrochen Feuer speiende, erderschütternde Donner des schweren Geschützes von Dampfmaschinen getriebener Eisenhämmer, dumpf niederkrachend auf ungeheuere, weiche, glühende Eisenmassen, die zahllosen Dampfwolken und leckenden Flammen, die aus dem betäubenden Geknatter der Handhämmer überall hervorschossen, das Krachen, Donnern, Blitzen, Rauchen, Kreischen und Stöhnen aus unzähligen andern Schuppen und Werkstätten und weithin nach allen Seiten im Freien gab das Bild einer furchtbaren hitzigen Feldschlacht. Ich dachte unwillkürlich an die schaudervolle Schlacht bei Sebastopol vom 5. November mit 9000 todten Russen, vielleicht eben so viel todten Engländern, Franzosen und Türken und unzähligen Verwundeten und Verkrüppelten. Aber welch’ ein Contrast! Hier verletzten die Flammen und Schläge und Donner von Tausenden eisenbewaffneter Helden nicht einen kleinen Finger, und nach dem gewaltigen Kampfe des Tages legte sich Jeder auf das Ruhebett des Bewußtseins, so und so viel verdient, genützt, gefördert zu haben in dem gewaltigsten Werke der Kultur, das jemals unternommen ward.
Da haben wir also die eiserne Wasserstadt vor uns, welche die Ost-Dampfschiff-Compagnie bauen läßt, um Australien bis auf ein Drittel der bisherigen Entfernung zurückzuführen, das die größte aller schwimmenden Kriegsfestungen – den Wellington – dreifach an Größe übertreffende, doppeleiserne Doppeldampfschiff. Fünf doppeleiserne Wände, jede 675 Fuß lang und über 60 hoch, heben und strecken sich vor uns, je 60 Fuß von einander, durchschnitten von mehreren andern Eisenwänden von derselben Höhe, so daß eine Menge innere Abtheilungen entstehen, jede groß genug, wie es scheint, ein ganzes Seeschiff in sich aufzunehmen. Aber nur das Alles zusammen soll zu einem einzigen, friedlichen Kaufmannsschiffe zusammengeschmiedet werden. Das geht nicht nur über unsere, sondern auch der üblichen Sachverständigen Fassungskraft, wie denn auch das ganze Unternehmen die kühnste, großartigste Ausführung eines neuen mathematischen und nautischen Problems genannt werden muß. Der Plan ward anfangs lange auch von Sachverständigen lächerlich gemacht, wie ja auch das sachverständige Publikum vor einem halben Jahrhundert das erste, fertige Dampfschiff wirklich niederspottete, bis ein Amerikaner herüber kam und von dem schon faulenden Modelle das Maß zu seinem ersten Dampfschiffe nahm. (Bei dieser Gelegenheit bemerke ich beiläufig, daß sich durch den Engländer Wrightson, der in Marburg studirte, ein Deutscher, Papin, Erfinder der papinianischen Töpfe, als wirklicher erster Erfinder und Erbauer des ersten Dampfschiffes herausgestellt hat, der wegen derselben von sachverständigen Schiffern ermordet ward. Wrightson wird die betreffenden aufgefundenen Documente nächstens veröffentlichen.)
Der große Russel (wie wir ihn zum Unterschiede von dem kleinen Staats-Russel nennen) ließ sich dadurch nicht irre machen, da er sein Unternehmen auf die sicherste aller Wissenschaften, Mathematik und nautische Gesetze, gründete und mit dem Ingenieur der Ost-Compagnie, Mr. Brunel, seiner Sache gewiß war, ehe zu deren Ausführung geschritten ward.
Zunächst mußte ein Baugrund geschaffen werden. Zu diesem Zweck wurde ein Raum von 1000 Fuß Länge und 500 Fuß Breite am Ufer abgegrenzt und je 5 Fuß von einander mit ungeheuern Pfählen, die 50 Fuß tief eingerammt wurden, befestigt. Auf diesem Boden wurden zwei Schiffsladungen (24,000 Centner) Erde und Kies festgedroschen und so der Baugrund gewonnen. Auf diesem ward zunächst der Kiel in einer Länge von etwa 700 Fuß gelegt, ein ungeheuerer, solider Eisenbalken. Die Wände des Schiffes erheben sich in doppelten, 36 Zoll von einander entfernten Eisenwänden, deren Platten, obwohl aus vielen Tausenden bestehend, doch alle erst einzeln in hölzernen Modellen ausgeführt und danach in mathematisch genau berechneten Biegungen und Formen gegossen wurden, so daß jede mit einer Nummer versehen einen ganz genau bestimmten Platz bekam. Sie sind etwa einen Zoll dick und 10 Fuß lang. Jede wiegt etwa 20 Centner. Sie werden drei- und vierfach in einander befestigt, geschmiedet, geschroben und gekittet und in den beiden Wänden durch rechte Winkel von einander gehalten. Die rechten Winkel haben sich als die Form der größten Festigkeit des Eisens ergeben. Alle Außen- und Zwischenwände und Decks bestehen aus solchen dicken, doppelten Eisengefügen, welche zugleich 10 vollkommen wasserdichte innere Räume bilden. Die zwei großen Längenwände, welche durch den ganzen innern Körper hindurchgehen (gekreuzt durch Querwände) bilden um die Maschinenräume herum vollkommen isolirende Räume für die Kohlen. Der Boden des Schiffes außen ist 15 Fuß weit, von beiden Seiten des Kiels ganz eben und läuft nach dem Schnabel zu in concaver Zuspitzung, worin, neben der ungeheuren Länge, das Geheimniß seiner berechneten, fabelhaften Geschwindigkeit liegt. Die unterste Etage ist für Maschine, Dampfkessel, Oefen, Kohlen und Güter bestimmt. Darüber dehnen sich drei Etagen zwischen doppelten eisernen Decks durch die ganze Länge und Breite des Schiffes hindurch, welche so Raum zu ungeheuern Gesellschaftssälen und Privatwohnungen für 1000 Passagiere erster Klasse, bequeme Schlafstellen für 600 zweiter Klasse und unzählige dritter Klasse gewähren. Die drei großen Säle in den drei Etagen sind jeder 60 Fuß lang und 20 breit.
Das Schiff wird von 3000 Pferdekraft durch Räder und eine Schraube zugleich getrieben werden. In einem besondern Schuppen wurden die Bestandtheile der Räder gegossen und geschmiedet. Jeder der vier Cylinder, worin die Pistons arbeiten sollen, besteht aus 700 Centner Eisen. Ich bin mit dem Hute auf dem Kopfe durch einen dieser Cylinder hindurchgegangen, ohne mich bücken zu müssen und mit dem Hute anzustoßen. Kurz vorher hatten 18 Personen darin ein feierliches Festessen abgehalten. Die Maschinen sind 50 Fuß hoch. Die Maschinerie für die Schraube, den Propeller, und dieser selbst wurde in einer andern Anstalt (Watts) gegossen und geschmiedet. Um beide in Bewegung zu setzen, müssen 20 hausgroße Ofen und eben so viel Dampfkessel (deren jeder von 16 Pferden kaum fortzubringen war) und fünf kolossale Schlotte in vereinigter Riesenkraft arbeiten. Sie werden dann sich selbst – 60,000 Centner – den Schiffskörper, 200,000 Centner, 1000 Paasagiere erster, 600 zweiter und (angenommen) 500 dritter Klasse und über 200 Schiffsbeamte – zusammen mindestens 6000 Centner mit Passagiergütern, – 500,000 Centner Ladung und 40,000 Centner Kohlen – also Summa Summarum etwa 1 Million Centner in der noch nie erreichten, durchgängigen Geschwindigkeit von 5 deutschen Meilen in der Stunde, in 30 Tagen nach Australien bringen, ohne jemals anzuhalten, und in 30
Tagen wieder zurück, ohne dort oder unterwegs jemals Kohlen einzunehmen. In letzterem Umstande liegt die Lösung der bisher für unüberwindlich gehaltenen Schwierigkeit des Dampfschiffverkehrs auf den großen Oceanen, da die Meeres-Dampfer in entfernten Häfen oft kaum für den zehnfachen Preis Kohlen bekommen konnten, während der neue Koloß auf einmal alle Kohlen für die Hin- und Herreise (zu 10 Schillinge die Tonne) einnehmen kann. Die auf diese Weise erzielte Ersparniß beträgt – außer 60 Tagen von 90 – mindestens 10,000 Thaler für jede Fahrt. Und die von 2000 Menschen jedesmal ersparten 60 Tage (da die Dauer der Reise bisher durchschnittlich 90 Tage beträgt) ist ziemlich 3 Millionen ersparten Stunden gleich. Davon nur die Hälfte angenommen und den Productionswerth jeder nur auf 5 Sgr. abgeschätzt, geben für jede Reise eine anderweitige Ersparniß von 250,000 Thalern. Da Zeit im vollsten Sinne Geld ist,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_048.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)