Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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und unaufhörlich Bomben und Granaten auf die Stadt herabregnen, welche im Interesse der Bourbonen und der alten Autorität von England bereits vier Monate besetzt und vertheidigt worden war. Da öffnete sich am 16. December plötzlich die Erde hinter den Olivengärten von Klein-Gibraltar (Name eines Forts), und warf in sechsunddreißig Stunden über 8000 Bomben und Granaten auf die Engländer, die am folgenden Tage unter Dugomier und Muiron entweder vertrieben oder in den Forts bis auf den letzten Mann in Stücke gehauen wurden. Der Erfinder dieser Attacke und Schöpfer der bis zu ihrer Vollendung unsichtbar gebliebenen Batterien hinter den Olivengärten war ein junger Artillerie-Lieutenant von 23 Jahren, Namens Bonaparte, der große Sohn der Revolution, der bekanntlich hernach seine eigene Mutter verschlang, wovon er den Magenkrebs bekam, der ihn nicht verschlang, sondern langsam vernichtete, so daß er mehrere Jahre lang sterbend und verlassen auf Helena umherging. Während eines Monates hatte er damals Batterien von 200 Kanonen gegen die Engländer und gleichsam vor deren Augen geschaffen und zwar so dicht vor den Forts, die sie inne hatten, daß sie und Toulon sich nur zwei Tage gegen deren plötzlich eröffnetes, wirksames Spiel halten konnten.
Die Stadt Toulon mit 40,000 Einwohnern ist ein Oval, dessen eine längere Krümmung sich am Meere hinzieht, während die andere schön und majestätisch nord- und landwärts aufsteigt bis zu einer hohen Bergkette, die Stadt und Festung als ein malerischer Hintergrund einschließen. Das Malerische hat freilich nichts Anmuthiges, denn die Berge steigen starr und steinern, ohne Baum und Blumen und grünes Leben nach dem Meere herab. Die Festungswerke sind ungemein stark. Doppelte ungeheure Wälle umgeben die Stadt, außerdem ein tiefer, breiter Graben. Die Redouten auf den Wällen im Norden, Osten und Westen sollen bombenfest sein. Unter den Forts ist La Malgne auf einer Halbinsel südwestlich das größte und merkwürdigste, da es eine in unerschütterlichste Wirklichkeit verwandelte Befestigungs-Wissenschaft sein soll. Jetzt wird eben daran gearbeitet, dieses Fort mit der Stadt selbst zu verbinden. Letztere zerfällt, wie die meisten aller Städte, in zwei ganz charakteristische Theile, eine enge, alte, schmutzige und eine neue, breite, luftige, heitere Stadt. Die größte Schönheit ist la Rue de Lafayette, die beiden Stadttheile durchschneidende, mit Bäumen bepflanzte, stets von Verkehr, Menschen und Soldaten überfüllte Hauptstraße. Sie läuft in den Hafen hinaus, wo sie in einen großen offenen Platz (Place d’Armes) mündet. Letzterer gewährt mit seinen Bäumen der vornehmen Welt kühlenden Schatten und eine architektonisch schöne Ansicht des Admiralitäts-Hauses, welches die eine ganze Seite einnimmt. Der Kaufmanns-Hafen unweit davon mit dem Rathhause und zwei kolossale Statuen von Puget (die als Meisterwerke ersten Ranges gepriesen werden) gilt demnächst als die größte Merkwürdigkeit für friedliche Leute. Militärische Personen finden natürlich in den Arsenalen, Kasernen u. s. w. die größte Augenweide, für Wasserbaukunst haben die bombenfesten Bollwerke des Hafens, der 30 Linienschiffe, eben so viele Fregatten und noch eine Menge kleinerer Schiffe beherbergen kann, ein großes Interesse. Das Arsenal gilt als eins der schönsten in Europa. Es bedeckt 87 Morgen Landes und hat musterhafte trockene Docks und Plätze für Bau und Reparatur von Schiffen. Voriges Jahr arbeiteten hier täglich etwa 6000 Menschen an Rüstung der Flotte, außerdem 3500 Verbrecher, die früh aus ihren Galeeren heraus- und Abends wieder hineingetrieben wurden. Die Galeeren bestehen hier aus alten Kriegsschiffen, die vollständig in Arbeits-, Zucht- und Marterhaus verwandelt wurden. Seit 1682, wo die Bagno-Straf-Anstalt gegründet ward, haben hier Hunderttausende geseufzt und gelitten und zwar für Thaten und Gesinnungen, die zu verschiedenen Zeiten als große politische Tugenden gefeiert wurden. Zuchthaus, Guillotine, Bagno sind der Mode unterworfen, wie der Schnitt des Rockes.
Eine große Wohlthat in der Stadt ist das gute, klare, frische Wasser, welches aus den Gebirgen herunter geleitet wird und an einigen öffentlichen Plätzen in schönen Fontainen aufspringt. Diese verschönern eigentlich den heitern neuesten Stadttheil im Nordosten der Stadt. Ein anderer Anbau im Westen, genannt Navarin, ist berüchtigt als schmutziger Sammelplatz der Genueser, die in Toulon eben denselben Rang einnehmen, wie die Irländer in London. Die mercantile Wichtigkeit Toulons und seine Industrie steigen zusehends seit der Eroberung von Algier. Der Austausch zwischen Algier und Frankreich über Toulon wächst in demselben Grade, als in Nordafrika Civilisation und Culturbedürfnisse zunehmen.
So klar es Jedem, der Schmerz empfindet, wird, daß in seinem Körper nicht Alles so ist, wie es sein soll, so unklar ist dem Arzte gewöhnlich der Sitz und die Art des Leidens, welches den Schmerz hervorrief. Denn man glaube ja nicht etwa, daß der Schmerz allemal an der Stelle empfunden wird, wo das Uebel seinen Sitz hat, oder daß derselbe Schmerz immer aus ähnlichen Ursachen erzeugt wird. So kann z. B. zu wenig Blut im Gehirne ebensolchen Kopfschmerz veranlassen, wie zu viel Blut in diesem Theile, und gar nicht selten nimmt bei Herz- und Leberkrankheiten der Schmerz seinen Sitz in der Achsel oder in der Hand, anstatt im erkrankten Organe; Hüftgelenkleiden sind in der Regel mit den heftigsten Schmerzen im gesunden Knie begleitet und bei Rückenmarkskrankheiten schmerzen gewöhnlich die Beine, während der Rücken schmerzlos ist. Auch in den gesündsten Zähnen kann ein hohler, bisweilen gar nicht einmal schmerzender Zahn die heftigsten Zahnschmerzen (meistens Zahnreißen genannt) erregen, und sehr häufig leiden Solche, denen ein Bein abgeschnitten wurde, noch Jahre lang zeitweilig an unangenehmen Empfindungen oder Schmerzen in den scheinbar noch vorhandenen Zehen des abgeschnittenen Beines. Hierzu kommt noch, daß gar nicht selten ganz unbedeutende Uebel die heftigsten Schmerzen nach sich ziehen, dagegen sehr gefährliche Veränderungen in den wichtigsten Organen fast schmerzlos sind. Es findet ferner auch Statt, daß dasselbe Leiden bei dem einen Menschen sehr heftige, bei dem andern gar keine oder nur unbedeutende Schmerzen verursacht und daß derselbe Mensch einen Schmerz zu verschieden Zeiten ganz verschieden empfinden kann. Alle diese Thatsachen sollen den Leser davon überzeugen, daß der Schmerz eine höchst unsichere Krankheitserscheinung ist und nicht viel mehr anzeigen kann als daß sich als irgend einer Stelle des Körpers irgend eine krankhafte Veränderung befindet.
Die Einrichtung innerhalb unseres Körpers, durch deren Vermittelung Schmerz von uns gefühlt werden kann, ist folgende: vom Gehirne, dem Sitze des Bewußtseins, ziehen sich gleich den Drähten beim elektromagnetischen Telegraphen eine Menge feiner Fäden oder Nerven nach allen Theilen des Körpers hin, jedoch nach der einen Stelle eine größere, nach der andern eine geringere Anzahl solcher Fäden. Wie nun beim Telegraphen eine Nachricht von einer Station durch den Draht äußerst schnell zur andern Station fortgepflanzt werden kann, so wird auch Alles, was dem Endpunkte des Nervenfadens passirt, im Momente hin zum Gehirne telegraphirt und wenn hier das Bewußtsein wirklich vorhanden ist, empfunden. Man nennt diese Fäden deshalb auch Empfindungsnerven; je mehr ein Theil unseres Körpers davon besitzt, desto empfindlicher ist er, je geringer die Anzahl derselben, desto weniger empfindlich zeigt sich derselbe; manche Stellen sind auch wohl ohne alle Empfindungsnerven und also auch ganz und gar ohne Empfindung. Geschehen nun ungewohnte und widernatürliche Einwirkungen, die übrigens von der allermannigfaltigsten Art sein können, auf diese Empfindungsnerven, so erregen diese auch widernatürliche, unangenehme oder, bei höherem Grade, schmerzhafte Empfindungen. Sollen diese sonach zu Stande kommen, so gehört durchaus dazu: 1) eine widernatürliche Einwirkung oder Reizung eines Empfindungsnervens; 2) Leitung der widernatürlichen Reizung zum Gehirne und 3) Vorhandensein des Bewußtseins im Gehirne. Nach der Art der Reizung, nach der Leitungsfähigkeit
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_046.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)