Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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gewesen, Dich zu retten! Nicht mir, ihr verdankst Du Dein Leben, Deine Freiheit, und gern gestehe ich es ein, daß die Gattenliebe stärker war, als die Kunst und der Scharfsinn des Juristen! Madame Simoni ist todt und Robert hat auf die Hälfte seines Vermögens zu Deinen Gunsten verzichtet, weil er nicht anders konnte. Ist Deine Liebe schwächer als die ihrige?“
„Helene, Helene!“ rief Franz, indem er zu ihr auf die Knie niedersank und sie mit beiden Armen umklammerte. „Jetzt sehe ich klar in dem Chaos von Begebenheiten – verzeihe mir, mein Geist war zu schwach, um Alles zu fassen. Könnte ich Dir einen Vorwurf machen, so wäre es der, daß Du des Reichthums wegen mich und Dich einer so herben Prüfung unterworfen hast!“
Laut weinend lagen sich die beiden Gatten in den Armen. Heiße Küsse brannten auf den behenden Lippen.
„Das hat Gott gefügt!“ sagte der greise Georg, indem er die Hände faltete.
Eine Stunde später hatte der Advokat Rechnung abgelegt, und Franz, dessen letzte Zweifel gelöst waren, befand sich in dem Besitze seiner Gattin und eines großen Vermögens, das ihm erlaubte, ein freies, unabhängiges Leben zu führen. Der Mai fand die beiden glücklichen Paare in Interlaken, dem Eldorado der Engländer. In der kräftigen, heitern Bergluft erstarkte die Gesundheit Franz Osbeck’s, und erhielt er auch sein blühendes Aeußere nicht wieder, so stellte sich doch der Lebensmuth wieder ein und er genoß in vollen Zügen das Glück, das er in dem Besitze einer treuen, hingebenden Gattin fand. Helene trug keinen andern Schmuck mehr als die weiße Rose. Julius nannte sie den Orden, den sie durch Heldenmuth verdient hatte.
Im Herbste trennten sich die Freunde. Es war der erste schmerzliche Augenblick nach einem glücklich verlebten Sommer, als Julius mit seiner Gattin schied. Der Advokat ging nach der Residenz zurück, um seine Praxis zu üben, und Franz und Helene bezogen ein bequemes Haus, das sie am Marktplatze Zürichs gekauft hatten. Der dem Tode entgangene und für irrsinnig erklärte Franz Osbeck ward ein geachteter Bürger der freien Schweiz. Monatlich erhält der Advokat Petri Briefe, die bestätigen, daß sein Client sich eines ungetrübten Glückes erfreut. Zwei Jahre später theilte Julius dem Freunde mit, daß Robert Simoni fallirt habe, und nach einem wüsten Leben mit dem Reste seines Vermögens nach Amerika entflohen sei.
Marseille, Toulon, Brest, Boulogne und sonstige Seestädte Frankreichs – die Lungen des Landes – gewinnen unter den jetzigen Verhältnissen des Krieges sowohl, als des friedlichen Verkehrs mehr Interesse, als selbst das glänzend-elende Herz des Kaiserreichs. Es wird daher Niemandem unwillkommen sein, einige dieser Orte beiläufig mit zu besuchen, zumal wenn man die Reise bequem und wohlfeil haben kann.
Ohne Umstände versetzen wir uns in das lustige, warme Frankreich am mittelländischen Meere, wo das bunte, glänzende, weite Marseille seine Arme allen Schiffen der Erde öffnet und stets neugierig ist, die Kriegs- und Handelsnachrichten von den Häfen des mittellandischen Meeres und des englischen Indiens zu vernehmen und blitzschnell an electrischen Drähten durch alle Welt zu zucken. Nicht weit davon streckt und schlängelt sich das Plymouth Frankreichs, Toulon, das Herz der französischen Kriegsmacht für das mittelländische Meer, von großer Wichtigkeit im jetzigen Kriege, historisch berühmt von vorchristlicher Römerzeit her, später durch Angriffe afrikanischer Seeräuber und als Schwerpunkt der jetzigen französischen Herrschaft in Nordafrika. Seine Kraft und Wichtigkeit als Kriegshafen verdankt Toulon Ludwig XIV., dem sogenannten großen Fürsten und Eroberer. Da der Hafen durchaus ein künstlicher ist, läßt sich denken, welch’ ungeheuere Summen dessen Ausgrabung und Befestigung verschlangen. Die Zerstörung eines Theiles dieser Werke und Vernichtung der darin liegenden Flotte durch die englische Flotte unter Sidney Smith im Jahre 1793, wobei sich Napoleon zum ersten Male als militärisches Genie im Großen hervorthat, bilden ein merkwürdiges Factum.
Die Republikaner hatten die äußeren Forts und Höhen bereits genommen und ließen unter dem Commando Napoleon’s unbarmherzig
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_045.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)