Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1855) 044.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

fähig, als ich sie bethätigt habe? Der Zufall führte mich, die Hülflose, in Ihr Haus, und bis zu jener verhängnißvollen Nacht, in der Franz verhaftet war, wußte ich nicht, daß Sie in irgend einer Beziehung zu dem Unglücklichen stehen, ich wußte nur, daß ihn boshafte Menschen seines väterlichen Vermögens beraubt hatten. Ich verleugnete die Gefühle meines blutenden Herzens, ich bekämpfte den grausamen Schmerz über das Schicksal des Verhafteten, und empfing scheinbar Ihre Huldigungen. Herr Simoni, es wacht ein Gott über die Verbrecher, denn er machte mich zur Zeugin des Pactes, den Sie mit Ihrer Mutter geschlossen, er ließ mich erfahren, daß ich – o wunderbare Fügung des Schicksals! – daß ich der Preis war, um den Sie die Beweise Ihrer Sünde auslieferten, die Beweise, daß die Schwester den Bruder überlistet hat. Ich verband mich mit Ihnen zur Befreiung des armen Franz, ich verleugnete ihn vor Gericht, damit man ihn für wahnsinnig halten sollte; mein Herr, solche Opfer kann nur eine heiße, treue Liebe bringen! Nicht eine Spionin des unglücklichen Franz haben Sie aufgenommen, sondern – seine Gattin!"

Robert ergriff krampfhaft die Lehne des Sessel und stieß einen durchdringenden Schrei aus.

„Ich stellte List der List gegenüber,“ fuhr Helene fort. „Nicht des Besitzes wegen kämpfte ich mit Ihnen, denn ich liebe meinen Gatten auch als Bettler – aber sein Geist hat wirklich unter der Gewalt seines Geschickes gelitten, er hält mich für untreu und jammert über den Verlust seiner Gattin – nur mit den Beweisen dessen, was ich für ihn erstrebt, kann ich zu ihm zurückkehren, nur dann wage ich mich ihm wieder zu nahen, wenn ich ihm die Gründe meiner Handlungen, die Opfer meiner Gattenliebe darthun kann! Jetzt wissen Sie Alles, und die Gattin Franz Osbeck’s verläßt Ihr Haus, um ihre heiligste Pflicht zu erfüllen.“

Helene wollte das Zimmer verlassen.

„Bleiben Sie!“ rief der todtbleiche Robert, indem er die bebende Hand nach ihr ausstreckte.

„Meine Sendung ist erfüllt! Wollen Sie verhandeln, so wenden Sie sich an den Advokaten Ihres Vetters.“

In diesem Augenblicke trat die erschreckte Kammerfrau ein. Helene von einer tödtlichen Angst um ihren Schatz getrieben, stürzte aus dem Gemache. Auf dem Corridor holte sie das Geheimbuch aus dem Verstecke, verbarg es unter dem leichten Nachtmantel und eilte die Treppe hinab. Sie traf den Portier auf der Hausflur, der durch das Getümmel wach geworden war.

„Oeffnen Sie!“ befahl die bebende junge Frau.

„Mein Gott, was ist geschehen?“ fragte der Portier.

„Ich hole den Arzt, Madame Simoni ist gefährlich krank!“

„Die Nacht ist kühl, Fräulein – Sie sind leicht gekleidet!“

„Oeffnen Sie, um Gotteswillen!“

Helene stürzte auf die Straße hinaus. Die Uhr der Kathedrale verkündete die zweite Morgenstunde, als sich ihr die Thür des Advokaten öffnete. Bewußtlos sank die junge Frau in die Arme ihrer Freundin.


VIII.

Eine heitere Frühlingssonne schien auf die reizende Landschaft des Züricher Sees herab, als ein mit Postpferden bespannter Reisewagen auf der spiegelglatten Chaussee, die sich an dem Rande des ungeheuern Bassins hinzieht, rasch dahinrollte. Auf dem hohen Bocke neben dem lustig blasenden Postillon saß der Advokat Julius Petri. Dem Schwager stand ein dreifaches Trinkgeld in Aussicht, deshalb trieb er seine dampfenden Rosse zur Eile an. In kurzer Entfernung von der Stadt stand ein steinernes Muttergottesbild an der Straße.

„Hier ist das Zeichen!“ rief der Advokat. „Den Weg rechts!“

Der Wagen fuhr nun eines sanfte Anhöhe hinan, und nach zehn Minuten hielt er vor einer mit jungem Laube bedeckten Hecke, die ein einfaches, liebliches Häuschen umschloß. Julius sprang vom Bocke und half zweien Damen aussteigen: Helenen und seiner Gattin. Arm in Arm traten sie zu einer Gitterthür, durch deren Stäbe sie einen reizenden Garten übersehen konnten. An dem Häuschen war ein alter Mann mit dem Aufbinden des Weinstocks beschäftigt, der sich wie eine schlanke Arabeske an der weißen Mauer emporwand.

„Georg!“ rief Julius leise.

Der alte Gärtner wandte sich. Vor freudigem Erstaunen entsanken ihm Messer und Faden, die er in der Hand hielt. Dann eilte er durch den mit gelbem Sande bestreuten Weg und öffnete zitternd die Gitterthür.

„Wo ist Franz? Wie befindet sich mein Mann? Georg, haben sie ihn gut gepflegt? Um Gottes willen, Georg, ein Wort, – wo ist Franz?“ rief Helene.

Der Greis küßte schluchzend die Hände der jungen Frau.

„Es ist gut, Alles gut, Madame Osbeck!“ sagte er dann. „Der gute Herr Franz hat schon seit einem Monate wieder mit mir gesprochen, und er lies’t alle Briefe, die ihm der Herr Advokat unter meiner Adresse gesandt hat. Jetzt sitzt er in seinem großen Lehnstuhle und hält Mittagsruhe – dann wollte ich mit ihm auf den Berg steigen, von wo er nach Deutschland hinübersehen kann. Ach du lieber Gott, welch’ ein frohes Erwachen wird das sein! Ich habe Sie erst in einigen Tagen erwartet.“

„Und wie spricht er von seiner Frau?“ fragte Julius.

„Seitdem er wieder mit mir spricht, trägt er auch ihre weiße Rose auf der Brust.“

Laut schluchzend vor Freude sank Helene dem greisen Diener in die Arme.

„Er denkt noch an mich!“ rief sie aus, „er glaubt an meine Treue und Liebe – nun trete ich ihm getrost unter die Augen! Mein Gott im Himmel, stärke mich zu diesem großen, wunderbaren Augenblicke!“

„Fassung, Helene!“ ermahnte Julius. „Ueberlassen Sie sich nur meiner Leitung.“

Georg führte die Gäste, die leise folgten, in das kleine, freundliche Zimmer. Eine spanische Wand von blauen Tapeten umstand deshalb einen großen Lehnsessel, in welchem der schlummernde Franz saß. Sein bleiches Gesicht, von einem wohlgeordneten Barte umgeben, trug das Gepräge eines tiefen, stillen Schmerzes. Der Schlummernde war völlig angekleidet, und auf der Brust, die eine schwarze Weste bedeckte, glänzte die weiße Rose. Helene konnte sich bei dem Anblicke der Blume, die so lange an ihrem Herzen geruht hatte, einer heftigen Bewegung nicht erwehren; sie verbarg ihr in Thränen gebadetes Gesicht an der Brust der Freundin.

Der greise Diener war dem Schlummernden näher getreten.

„Herr Franz!“ flüsterte er, indem er leise seine Hand auf die Achsel desselben legte. „Es ist zwei Uhr!“

Franz schlug die Augen auf. Seine Blicke trafen Julius, der ihm gegenüberstand. Ungläubig starrte er den Freund an.

„Ich bin’s!“ sagte lächelnd der Advokat. „Franz, reiche mir getrost Deine Hand, ich bringe frohe Botschaft.“

Ein schmerzliches Lächeln umspielte den Mund des bleichen Mannes.

„Botschaft, nur Botschaft!“ flüsterte er. „Die Rose an meiner Brust verliert ihren Glanz – man sandte sie mir, damit ich sie mit meinen Thränen benässen soll. Mein Rechtsanwalt hat mir ein trauriges Leben gerettet.“

„Mehr noch, Franz! Was forderst Du – Reichthum, Freiheit – ?“

Franz schüttelte schmerzlich sein Haupt.

„Nimm die Rose, gieb sie ihr zurück – sie erinnert mich nur daran, daß es besser gewesen wäre, ich hätte mein Todesurtheil empfangen. Es lage eine schwarze Nacht auf meinem Geiste – der Schimmer dieser Rose lichtete sie auf kurze Zeit – sie trug sie als Brautkranz in dem Haare – sie sollte das Symbol meiner Liebe sein – meine Gattin verleugnete mich!“ fügte er dumpf hinzu.

Länger konnte sich Helene nicht halten; sie trat hervor und warf sich, einen durchdringenden Schrei ausstoßend, zu den Füßen des bestürzten Franz nieder.

„Helene! Helene!“ rief er, zitternd die Arme nach ihr ausstreckend.

„Verzeihung, Franz, Verzeihung! Ich habe nicht einen Augenblick aufgehört, die Frau zu sein, Dich zu lieben! Was ich that, hielt ich für meine Pflicht – o, so bestätigen Sie doch, mein Herr, daß ich die Ehre und das Vermögen meines Gatten rettet, daß ich nur Ihren Anordnungen folgte, obgleich mir das Herz dabei blutete. Franz, jetzt kann ich bei Dir bleiben – ich bringe Alles, Alles mit, was Dich glücklich macht! Glaube mir, ich habe nicht minder gelitten, als Du!“

„Franz,“ rief Julius, „ohne Deine Gattin wäre es mir unmöglich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_044.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)