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Seite:Die Gartenlaube (1855) 043.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und ruhig wie ein Kind ließ er sich zu dem Wagen führen, der, nachdem der Advokat und Georg ihre Plätze eingenommen, im raschen Trabe die Residenz verließ.


VII.

Mit dem Beginne des Frühlings glaubte sich Robert Simoni auf dem Gipfel seines Glücks, denn Helene trug seinen Verlobungsring an dem Finger. Man sah das wirklich schöne Paar in einem eleganten Wagen durch die Promenaden der Stadt fahren. Man bewunderte ihre kostbaren Toiletten in einer Loge des Hoftheaters, und die Geldaristokratie empfing sie freudig in ihren Sälen, die den Verlobten zu Ehren sich öffneten. Man sprach nur selten noch von der verhängnisvollen Schwurgerichtssitzung, und wenn es geschah, pries man die Bereitwilligkeit der jungen Leute, mit der sie den irrsinnigen Demokraten vom Tode gerettet hatten. Schon dachte Robert, der nur Anbetung und Liebe für Helene war, an seine Vermählung, um mit seiner Gattin nach Hamburg zurückkehren zu können, als die Commerzienräthin plötzlich krank wurde. Die Aerzte erkannten das Wesen der Krankheit nicht sogleich, und riethen nur Ruhe und sorgliche Pflege. Helene litt keine Wärterin, sie selbst versah den Dienst bei der Kranken, und Robert unterstützte sie dabei.

Es war in der Nacht vom ersten zum zweiten Ostertage, als Helene, nachdem die Kranke eingeschlummert war, sich in ihr Gemach zur Ruhe begab, das durch eine Thür von dem Krankenzimmer geschieden ward. Sie ließ die Thür offen, um desto leichter die Wünsche der Commerzienräthin zu hören. Noch kämpfte sie mit den ersten Angriffen des Schlafes, als sie die Glocke der Kranken hörte, das erste Mal mitten in der Nacht. Helene sprang auf, und warf einen Nachtmantel über. Im nächsten Augenblicke stand sie an dem Krankenbette, das durch eine elegante Nachtlampe matt beleuchtet ward. Der Arm der Kommerzienräthin, der nach der Glocke gegriffen hatte, hing schlaff durch die Gardine herab.

„Was ist Ihnen, Madame?“ fragte ängstlich Helene, indem sie die Gardine zurückzog.

Entsetzt fuhr sie zurück, als sie das von dem Lichte erhellte Gesicht der Kranken erblickte. Welch eine gräßliche Veränderung war darin vorgegangen. Eine Leichenblässe bedeckte es, während die Augen in einem düstern, unheimlichen Glanze glühten. Helene starrte die Frau einen Augenblick sprachlos an.

„Soll ich nach dem Arzte schicken?“ fragte sie endlich.

Madame Simoni gab ein verneinendes Zeichen. Dann ergriff sie die Hand ihrer jungen Wärterin und sagte mit großer Anstrengung:

„Helene, ich betrachte Sie als meine Tochter! Vielleicht erlebe ich es nicht mehr, daß Sie mein Sohn seine Gattin nennt.“

„Verbannen Sie diesen Gedanken!“ stammelte Helene, die das heftige Zittern der Hand fühlte, welche die ihrige hielt. „Die Krankheit wird vorübergehen!“

Die Witwe zuckte heftig zusammen. Dicke Schweißtropfen erschienen auf ihrer gerunzelten Stirn.

„Mein Gott! Mein Gott!“ hauchte sie. „Was ist das? Was ist das?“

Die arme Helene ward von einer wahren Todesangst ergriffen.

„Ich will Robert rufen!“

Zuvor hören Sie mich an! Setzen Sie sich näher heran!“ sagte leise und ängstlich die Kranke. „O, mein Kopf wird von fürchterlichen Schmerzen zerrissen!“ jammerte sie. „Ich fühle, daß mein Ende naht! Helene, ich achte und liebe Sie – von Ihnen verlange ich den letzten Dienst!“

„Was fordern Sie, Madame? Sie sind meine Wohlthäterin – Ich verspreche Ihnen, Alles zu erfüllen.“

Athemlos lauschend bog sich Helene über das Bett. Sie sah das gräßlich entstellte Gesicht der Kranken nicht, sie war nur darauf bedacht, jedes Wort zu erhaschen, das den bleichen, bebenden Lippen entquoll.

„Helene, schwören Sie mir, meinen Willen zu thun!“

„Ich schwöre es!“ sagte sie rasch.

„Mein Sohn ist ein schwacher, leidenschaftlicher Mensch! Erhalten Sie ihm sein Vermögen, das auch das Ihrige ist! Ich will es, ich will es!“ rief sie wie im Delirium. „Es muß geschehen, weil ich es will! Mein Wille hat das Vermögen erworben – er wird es auch zu erhalten wissen!“

„Sie sehen mich bereit, Madame!“ hauchte Helene.

„Zünden Sie Feuer in dem Kamine an.“

Helene fachte das dem Erlöschen nahe Feuer an, daß es aufprasselte. Die Kranke hatte sich mit fieberhafter Anstrengung emporgerichtet. Als sie die Flammen des Feuers sah, verzog sich ihr Gesicht zu einem grinsenden Lächeln.

„Zu mir! Zu mir!“ stammelte sie dann.

Helene, zitternd am ganzen Körper, unterstützte die Kranke, die sie fest an sich drückte. Dann zog sie ein weißes Tuch hervor, an dem ein Schlüssel angeknotet war.

„Oeffnen Sie jenen Secretär, Helene! In dem mittelsten Fache liegt ein Buch – hier ist der Schlüssel.“

Helene flog zu dem Secretär, öffnete ihn, und holte ein schwarzes, ziemlich starkes Octavbuch hervor. Das Gefühl, das sich ihrer bei dem Anblicke dieses Gegenstandes bemächtigte, läßt sich nicht beschreiben. Der Athem stockte einen Augenblick in ihrer Brust, und leise schluchzend preßte sie das Buch an ihre Lippen. Madame Simoni bemerkte diese Bewegung nicht, denn sie war in die Kissen zurückgesunken, aber sie erhob sich wieder mit übermenschlicher Anstrengung und stammelte:

„Werfen Sie – das Buch – in das Feuer – in das Feuer! Helene – vernichten Sie das Buch – – es ist mein letzter Wille!“

Leise ächzend brach die Wittwe zusammen. Die Kraft des Körpers hatte sie verlassen, obgleich die Kraft ihres unbeugsamen Geistes, den sie in ihrem ganzen Leben bethätigt, noch die Beweise von den Mitteln vernichten wollte, mit denen sie das große Vermögen zusammengeschaart hatte. Die arme Helene verlor fast das Bewußtsein, als sie sich im Besitze des Schatzes sah, dem sie so unendliche, schwere Opfer gebracht hatte. Daß sie so rasch ihr Ziel erreichen würde, woran sie bereits gezweifelt, hatte sie nicht gedacht. Sie trat zur Lampe und öffnete den Deckel ihres Schatzes, es war das Geheimbuch des verstorbenen Kaufmanns Simoni. Ihr Sinnen war nun darauf gerichtet, das schwer Errungene zu bewahren, denn noch hatte sie in Robert einen gefährlichen Feind zu bekämpfen. In rathloser Angst irrte sie durch den Vorsaal auf den Corridor. Hier zeigte sich ihr die Oeffnung eines Kamines. Sie riß ihr Tuch vom Halse, wickelte das kostbare Buch hinein, und verbarg es in dem schwarzen Schlunde. Dann zog sie die Glocke, die zu Robert’s Zimmer führte und eilte zu der Kranken zurück, die sie in einem bewußtlosen Zustande antraf. Noch war sie beschäftigt, die Ohnmächtige durch starke Essenzen in’s Leben zurückzurufen, als Robert hastig eintrat. Sein erster Blick fiel auf den noch geöffneten Secretär. Mit dem Mißtrauen, daß er stets gehegt, durchsuchte er die Fächer desselben.

„Ihre Mutter, Robert!“ flüsterte die bestürzte Helene. „Schicken Sie zum Arzte, – ehe es zu spät wird.“

„Nicht der Arzt, aber ich komme zu spät!“ rief der Kaufmann, die junge Frau mit durchbohrenden Blicken ansehend. „Helene, hier waltet ein Geheimniß ob – wer hat den Secretär geöffnet?“ fragte er mit bebender Stimme. „Wer hat das Möbel erbrochen, in dem meine Mutter ihre Werthpapiere aufbewahrt?“ fügte er in der gräßlichsten Angst hinzu, die Eifersucht und Mißtrauen in ihm erregten.

Da erhob sich Helene in stolzer Würde.

„Ich,“ rief sie, „ich habe ihn mit dem Schlüssel geöffnet, den mir Ihre kranke Mutter gab! Sie wollte, daß ich ein gewisses Buch vernichtete.“

Robert bebte zusammen.

„Helene, Sie sind meine Verlobte, meine Gattin! Wo ist das Buch?“

„Zeihen Sie mich des Undanks, Herr Simoni; halten Sie mich für eine Abenteuerin, für eine Betrügerin – aber länger kann ich die Maske nicht tragen, unter der Sie mich bisher gesehen haben.“

„Was ist das? Was ist das?“ rief Robert. „Großer Gott, das ewige Mißtrauen, das sich in mir regte.“

„Es bestätigt sich, mein Herr!“

„Mutter,“ rief Robert von Zorn übermannt, wir haben eine Spionin des blödsinnigen Franz bei uns aufgenommen!“

„Mein Herr,“ rief Helene würdevoll, „sagt Ihnen Ihr Mißtrauen nicht, wer ich bin? Wer ist wohl einer solchen Aufopferung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_043.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)