Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
erklärte, nachdem er den Kranken einige Zeit beobachtet, daß die furchtbare Gemüthserschütterung einen völligen Irrsinn herbeigeführt habe.
„Sie trug die weiße Rose nicht!“ murmelte Franz vor sich hin. „Auch sie hat mich verleugnet!“
Dies waren die letzten Worte, die der Unglückliche sprach. Dann verharrte er hartnäckig in einem Schweigen, als ob er die Sprache verloren hätte, und so viel sich Julius auch bemühte, ihm sein Glück und die Mittel zur Erlangung desselben klar zu machen – Franz verstand ihn nicht; dasselbe unheimliche Lächeln umspielte seinen bleichen Mund, dieselben Blicke, welche die Zerstörung des Verstandes verriethen, entströmten seinen trüben Augen.
Die Freude des Advokaten über den errungenen Triumph verwandelte sich in einen tiefen Schmerz.
„Ich habe zu viel auf seine Geistesstärke gebaut,“ dachte er. „Leider gab es kein anderes Mittel, ihn vom sichern Tode zu retten. Aber noch verliere ich die Hoffnung nicht, das wiederkehrende Glück wird den Schleier zerreißen, den ein furchtbares Geschick über seinen Geist geworfen,“
Durch einen Brief benachrichtigte er die Commerzienräthin von dem Ausgange des Prozesses ihres Neffen. Als Antwort darauf erhielt er fünftausend Gulden in Banknoten, die ihm Robert zur Verpflegung und zur Bestreitung der Reisekosten übersandte.
Denselben Abend ward die Klingel an der Thür des Advokaten gezogen. Die junge Gattin desselben öffnete, und Helene, dicht in einen Mantel gehüllt, trat ein. Laut weinend sank sie der jungen Frau an die Brust. Beide traten in das Zimmer des Advokaten, der mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt war.
„Wo ist Franz?“ rief sie hastig.
Julius berichtete, daß er sich in einem Zimmer des ersten Stockes befände.
„Ich muß ihn sehen und ihm Aufklärung geben –“
„Helene, wir haben unser Ziel nur halb erst erreicht, versäumen wir die nöthige Vorsicht, so zerstören Sie mir die Grundlage meines Rettungswerkes. Sie dürfen Franz jetzt noch nicht sehen, denn er wie wir werden scharf beobachtet. Nur in der Verfassung, die ich künstlich herbeigeführt, kann er morgen seine Reise antreten. Sobald Ihre Mission in dem Hause der Commerzienräthin erfüllt ist, sobald Sie mit allen Mitteln zur vollkommnen Beglückung unsers armen Freundes ausgerüstet sind, werden Sie ihm folgen können. Bewahren Sie nur kurze Zeit noch den Heldenmuth, den Sie bis jetzt gezeigt haben, folgen Sie blindlings meinen Anordnungen, so werden wir bald an dem erwünschten Ziele sein. Vergessen Sie nicht, daß es sich um Leben und Tod handelt. Franz ist ein seltsamer Client, denn wir mußten ihn gegen seinen Willen retten. Jetzt gilt es, sein Gemüth zu heilen, und darum folgen Sie und harren Sie aus.“
Helene zog die weiße Rose von ihrem Busen – sie hatte sie nämlich von Georg zurückerhalten – und gab sie dem Advokaten.
„Verwenden Sie den Schmuck,“ sagte sie gefaßt; „Sie kennen ja seine Bedeutung. Ich bedarf seiner nicht, aber Franz – –“ In diesem Augenblicke ward die Glocke an der Hausthüre gezogen. Die drei Personen schraken heftig zusammen. Die junge Frau zog Helenen mit sich fort in ein Seitenkabinet. Der Advokat ging hinaus, öffnete und empfing Robert Simoni. Er bat um eine kurze Unterredung. Julius führte ihn in sein Arbeitszimmer.
„Mein Herr,“ sagte er, mißtrauisch den Gesichtsausdruck des Advokaten prüfend, „auf Ihre Veranlassung erschien Helene, die Gesellschafterin meiner Mutter, an meiner Seite vor Gericht.“
„Ganz recht !“ antwortete Julius mit großer Ruhe.
„Sie gaben als Grund dafür an. daß sich in Gegenwart der Richter der Eindruck wiederholen möge, den sie auf Franz vor seiner Verhaftung ausgeübt.“
„Und was ich erwartete, mein Herr, ist in Erfüllung gegangen.“ „Franz nannte sie seine Frau!“ sagte der junge Kaufmann in einer Angst, die er vergebens zu verbergen suchte.
„Können Sie den Worten eines Irren, zumal wenn er sich in einer solchen Situation befindet, irgend eine Bedeutung beilegen?“ fragte Julius mit kalter Ruhe. „Sie kennen den Zustand meines Clienten schon seit langer Zeit, Sie selbst wissen am Besten, daß sich sein Irrsinn in extravaganten Ansichten und Handlungen äußert – wie kann es Sie wundern, daß der, der in seiner Verblendung nach Ihrem Vermögen trachtet und dem Staate eine neue Regierung geben will, nun auch Ihre Braut für seine Frau hält? Es ist klar, der leidige Communismus hat dem armen Menschen den Kopf verdreht – er will die Häfte Ihres Vermögens und Ihre in der That reizende Braut. Wünschen wir uns Glück, daß die Pläne der heillosen Demokratie vereitelt sind. Uebrigens fürchten Sie nichts, Franz Osbeck ist für immer unschädlich geworden; die Freisprechung auf Grund seiner Indispositionsfähigkeit hat ihn aus der Liste der vernünftigen Staatsbürger gestrichen. Ihre Braut selbst hat laut erklärt, daß sie den Demokraten nicht kennt – –“
„Die Gründe leuchten mir ein!“ sagte Robert hastig. „Da die Sache nun abgethan, so bitte ich um die Rechnung für meinen Vetter.“
„Ich werde sie Ihnen nach meiner Geschäftsordnung zustellen.“
„Und was werden Sie mit Franz beginnen?“
„Morgen bringe ich ihn in eine Irrenanstalt der Schweiz, da er binnen achtundvierzig Stunden das Königreich zu verlassen hat.“
Kaum hatte sich der Kaufmann entfernt, als der Advokat zu seiner Frau in das Kabinet trat.
„Wo ist Helene?“ fragte er.
„Ich habe ihr leise die Thür geöffnet, sie muß jetzt schon zu Hause angelangt sein.“
„Gut, nun fürchte ich nichts mehr.“
Arm in Arm gingen die beiden jungen Gatten zu dem kranken Freunde. Sie trafen ihn, still vor sich hinbrütend, in einem Lehnsessel. Ihr freundliches Zureden hatte keinen Erfolg, er verharrte in seinem düsteren Schweigen. Eine tiefe undurchdringliche Schwermuth hatte seinen Geist in starre Fesseln geschlagen. Der Advokat verbrachte die Nacht bei ihm. In der Dämmerung des nächsten Morgens fuhr ein Reisewagen mit Extrapostpferden vor. Julius befand sich in seinem Zimmer, um die zur Reise nöthigen Papiere und Gelder einzustecken. Da ließ ein Domestik einen Greis eintreten, der eine schwere Reisetasche trug. Es war Georg. der alte Diener der Wittwe Simoni.
„Was wollen Sie?“
„Herr,“ sagte der athemlose Georg, „mich sendet Mamsell Helene – –“
„Zu welchem Zwecke?“
„Um Herrn Franz Osbeck zu begleiten.“
„Unmöglich! Meine Vorkehrungen sind so getroffen, daß es keiner Person mehr bedarf –“
„Lesen Sie! Lesen Sie!“ rief Georg mit Thränen in den Augen, und indem seine zitternde Hand ein Papier überreichte.
Der Advokat las die Zeilen, die von der ihm wohlbekannten Hand Helenen’s geschrieben waren.
„Sie sind ein Freund seines verstorbenen Vaters?“ sagte er dann überrascht.
„Der einzige, wahre Freund des seligen Osbeck. und ich werde meine alten Tage ruhig beschließen, wenn es mir vergönnt ist, seinem unglücklichen Sohne ein treuer Diener zu sein. Mamsell Helene hat mir seinen traurigen Zustand geschildert, und glauben Sie mir, Herr Advokat, es giebt keinen Menschen in der Welt, dessen Nähe heilsamer auf den Kranken wirkt, als die meinige. Ach, ich kann dem Himmel nicht genug dafür danken, daß er diese Nacht zwischen mir und Mamsell Helene eine Verständigung herbeiführte. Da litt es mich nicht länger unter den herzlosen Menschen, die des leidigen Geldes wegen ein so schändliches Verbrechen begehen. Ich schrieb der Wittwe einen Brief, schnürte mein Bündel, und bin nun hier. Doch lieber Herr, erlassen Sie mir jetzt jede weitere Erklärung, unterwegs werde ich Ihnen Alles erzählen. Und dann,“ fügte er leiser hinzu, „bin ich auch im Stande, Ihnen Aufklärungen über den verstorbenen Buchhalter zu geben, die dem armen Franz wohl noch einmal nützen können.“
Julius trug kein Bedenken, die Dienste des Greises anzunehmen, zumal da er sich erinnerte, von Franz gehört zu haben, daß er es war, der ihm in der Ballnacht eine Unterredung mit der Wittwe vermittelte; er hielt es selbst für einen glücklichen Zufall, dem Geisteskranken einen befreundeten Diener beigeben zu können. Und außerdem ging ihm ja die Empfehlung der vorsichtigen Helene voran, die dringend bat, den alten Georg nicht abzuweisen. Während die Koffer auf den Wagen gebracht wurden, führte Julius seinem Freunde den neuen Diener zu. Franz erkannte ihn nicht, obgleich man ihm den Namen Georg nannte. Willenlos
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_042.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)