Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 4. | 1855. |
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(Schluß)
„Robert! Robert!“ rief Franz mit durchdringender Stimme und indem er beide Hände ausbreitete. „Du, Du willst mich retten? Nein, das kannst Du nicht, Du bist gekommen, um mich zu verderben! Geh, und sage Deiner Mutter, daß ich meine Ansprüche auf die Erbschaft mit in das Grab nehme! Du bist mein Feind, aber ich verzeihe Dir. Deine Mutter ist die Schwester meines Vaters, der mich dort oben erwartet!“
Diese Wendung der Scene hatte Robert nicht vorausgesehen; er hatte vielmehr gehofft, sein Zeugniß über den Vetter nur vor den Richtern ablegen zu müssen.
„Franz,“ sagte er bestürzt, „Du siehst, ich stehe auf der Seite Deines Vertheidigers.“
„Willst Du mir jetzt mein Leben hinwerfen, wie an jenem Abends Deine Börse? Geh’, ich will Dir nichts zu danken haben! Das Gericht mag nach dem Gesetz erkennen, und ich beuge mich willig dem Urtheile. Noch einmal, Robert, ich verzeihe Dir, denn ich kann den nicht hassen, den ich bemitleiden muß.“
Der aufgeregte Franz trat seinem Vetter einen Schritt entgegen, um ihm die Hand zu reichen – da sah er plötzlich Helenen, die leichenblaß hinter Robert stand. Wie gelähmt blieb er stehen und starrte sie einen Augenblick an; dann bedeckte er mit beiden Händen sein bleiches Gesicht und brach in ein lautes Schluchzen aus. Aber plötzlich wieder ermannte er sich.
„Auch Du bist gekommen?“ rief er in einem herzzerreißenden Tone. „Willst auch Du mir den Abschied vom Leben noch erschweren? Was ist das? Was ist das?“ fragte er, beide Hände an die Stirn legend. „Meine Gattin steht auf der Seite meines Vertheidigers –“
„Fassen Sie sich, mein Herr!“ sagte Helene zwar bebend, aber so deutlich, daß es die Versammlung verstehen konnte. „Ich bin eben so wenig Ihre Feindin als ihre Gattin.“
„Großer Gott!“ rief Franz in einem schrecklichen Ausdrucke.
Dann sank er wie leblos zu Boden. Auf den Befehl des Präsidenten trugen ihn zwei Gerichtsdiener aus dem Saale. Die Versammlung war so erschüttert, daß sie einige Augenblicke in peinlicher Stille verharrte. Der Advokat Petri schien der einzige zu sein der seine Fassung nicht verloren hatte.
„Ich frage das Gericht,“ begann er mit lauter, fester Stimme, „ob dieser Mann zurechnungsfähig ist? So war er schon vor der Zeit, in die seine Vergehen fallen. Träume von Liebesglück und Reichthum haben ihm das Hirn verrückt. Jeden reichen Mann will er beerben, und jede Dame, die ihm gefällt, betrachtet er als seine Frau. Fräulein Helene S. die Verlobte des Herrn Simoni, sah er zum ersten Male kurz vor seiner Verhaftung – sie machte denselben Eindruck auf ihn, wie heute. Aus diesem Grunde bat ich das verehrte Brautpaar, mit mir vor den Schranken des Gerichts zu erscheinen, um den trostlosen Zustand des Angeklagten zu constatiren.“
„Sie haben früher den Angeklagten, Franz Osbeck, nicht gesehen?“
„Ich habe ihn nie gesehen, ich kenne ihn nicht;“ antwortete Helene fest und entschieden.
Auch Robert bestätigte den Irrsinn seines Vetters, und führte als Beweis die fixe Idee desselben von der Erbschaft an. Man schloß das Zeugenverhör, und die Zeugen traten in das Vorzimmer zurück.
„Erwarten Sie mich!“ flüsterte Julius Helenen zu, als sie sich von ihm trennte.
Der Staatsanwalt beharrte bei seinem Antrage auf Erkennung der Todesstrafe, indem er sich darauf stützte, daß der Irrsinn des Angeklagten nicht genug erwiesen, daß Franz Osbeck ein ehemaliger Offizier, als ein energischer und freisinniger Charakter bei seinen Kameraden bekannt gewesen, und selbst in diesen Zustande ein der Gesellschaft und der Regierung höchst gefährlicher Mensch sei. Als er seine Rede geschlossen, zitterten die Zuhörer für das Schicksal des Angeklagten. Nun aber begann Julius seine Vertheidigungsrede, eine so scharfsinnige, feurige und glänzende Rede, wie sie wohl selten vor einem öffentlichen Schwurgerichte gehalten worden. Unter dem Beifallsjubel der Menge trat er von der Rednerbühne ab. Die Geschworenen zogen sich in das Berathungszimmer zurück. Nach einer halben Stunde verkündete der Präsident, daß der Angeklagte auf Grund ärztlicher Zeugnisse und zureichender Aussagen glaubhafter Zeugen wegen Unzurechnungsfähigkeit mit Stimmeneinhelligkeit der Geschwornen von der Todesstrafe frei gesprochen, aber rücksichtlich seines Zustandes mit Landesverweisung belegt worden sei.
Als Julius in das Zimmer der Zeugen trat, zeigte ihm ein Diener an daß der Herr die Dame habe nach Hause führen müssen, da letztere plötzlich krank geworden sei. Nun eilte er zu seinem Clienten, der sich unter dem Beistande eines Arztes zwar erholt hatte, aber immer noch in einem bejammerswerthen Zustande war. Franz hörte seine Freisprechung mit einem unheimlichen Lächeln an. Dann versank er in ein dumpfes Hinbrüten, er äußerte weder ein Zeichen des Dankes noch der Freude. Julius brachte den unglücklichen Freund in einem Wagen nach seiner Wohnung. Ein befreundeter Arzt ward herbeigerufen, und dieser
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_041.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)