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Seite:Die Gartenlaube (1855) 032.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

nicht spielen, aber es wird doch noch Alles an das Tageslicht kommen.“

Der greise Diener betrat sein Stübchen.

Vor einem großen prächtigen Gebäude hielt der Wagen an, der rasch auf die mit Schnee bedeckten Straßen gefahren war. Der Advokat führte seine Begleiter eine breite Steintreppe hinan; dann über einen Corridor in ein erwärmtes Zimmer, wo sie von einem Gerichtsdiener empfangen wurden. Helene, vor Angst am ganzen Körper zitternd, sank auf einen Stuhl.

„Fassen Sie sich,“ ermahnte der Advokat; „Sie stehen im Begriffe, ein gutes, gottgefälliges Werk zu vollbringen. Ich fordere nichts von Ihnen, als daß Sie die Schilderung bewahrheiten, die ich von dem Zustande des Angeklagten entwerfen werde, der seiner Verhaftung voranging. Bedenken Sie, es handelt sich um Leben und Tod.“

Helene hatte mit großer Anstrengung ihre Fassung wieder erlangt.

„Verzeihung,“ wandte sie sich schmerzlich lächelnd zu Robert, „mir ist so ängstlich zu Muthe, als ob ich selbst die Angeklagte sei, und mein Urtheil zu erwarten hätte.“

Robert tröstete, und versprach, nicht einen Augenblick von ihrer Seite zu weichen.

„Glauben Sie mir, Helene,“ flüsterte er, „Sie leisten meiner Mutter einen großen Dienst!“

Und zitternd zog er ihre Hand an seine Lippen.

„Herr Simoni,“ flüsterte sie zurück. „ich nehme keinen Anstand, mich an Ihrer Seite zu zeigen, denn man spricht ja bereits von der Neigung, die Sie zu der Gesellschafterin Ihrer Mutter gefaßt haben.“

„Wäre es möglich gewesen, theure Helene, so sollte Franz Osbeck der Gattin seines beleidigten Vetters die Freiheit und das Leben verdanken.“

Ein Gerichtsdiener erschien und sprach leise mit dem Advokaten. Julius wandte sich darauf zu den beiden jungen Leuten.

„Ich bitte,“ sagte er, „hier so lange zu warten, bis dieser Mann Sie zum Eintreten auffordern wird.“

Dann verschwand er in dem Sessionssaale des Geschwornen-Gerichts. Eine halbe Stunde war verflossen, als der Diener eintrat, und die Zeugen zum Erscheinen aufforderte. Robert zitterte, als er Helenen den Mantel abnahm. Das junge Mädchen war ungewöhnlich bleich, es schien, als ob alles Blut aus Wangen und Lippen gewichen wäre; aber sie zitterte nicht, und in ihrem ganzen Wesen sprach sich die Festigkeit aus, die den Frauen in den kritischsten Momenten des Lebens eigen zu sein pflegt. Sie stand in dem einfachen schwarzen Kleide vor ihm, einen tiefen, forschenden Blick auf ihn werfend.

„Ihren Arm, Helene!“ flüsterte er.

„Hier ist er!“ sagte sie rasch und fest.

In dem Augenblicke, als sie die Schwelle des Sessionssaales überschritten, zuckte Helene heftig zusammen; sie bemerkte jetzt erst, daß sie ihren Schmuck, die weiße Rose, verloren hatte. Sie sah noch einmal in das Vorzimmer zurück – als sich das Verlorne nicht zeigte, ging sie festen Schritts zu der Bank der Zeugen, die sich neben dem Platze des Vertheidigers befand. Unter den Zuhörern auf den Gallerien erhob sich ein Flüstern der Bewunderung bei dem Erscheinen des reizend schönen, bleichen Mädchens. Robert konnte sich bei diesem Geräusche, das er vollkommen begriff, eines Gefühls des Stolzes und der Freude nicht erwehren – er drückte den Arm seiner Geliebten fester an sich. Da fühlte er, daß sie sich auf ihn stützte.

Nachdem der Präsident erklärt, daß ihm beide Zeugen von Person bekannt seien, ermahnte er sie, gewissenhaft auf die Fragen zu antworten, die man ihnen vorlegen würde. Der Advokat bat nun den Präsidenten, den Angeklagten vorführen zu lassen. Der Befehl dazu ward mit lauter Stimme ertheilt. Gleich darauf ward eine Thür geöffnet, und Franz Osbeck, von zwei Gensd’armen geführt, trat ein. Sein bleiches, kummervolles Aussehen, das die Kerkerhaft noch erhöht hatte, erregte um so mehr die allgemeine Theilnahme der Versammlung, als Julius Petri in einer ergreifenden Rede den traurigen Geisteszustand des Angeklagten geschildert hatte. Und in der That, Franz glich in diesem Augenblicke jenen armen Geschöpfen, denen Gott den vollen Gebrauch ihres Verstandes versagt hat. Bart und Haupthaar umflossen wirr das bleiche, feine Gesicht, in dem die Augen düster und unheimlich glühten. Man sah ihm deutlich an, daß er sich Mühe gab, den kranken Körper aufrecht zu tragen, und daß ihn ein gewaltiges Leid zu Boden drückte. Wie ein Kind ließ er sich zu der Bank der Angeklagten führen. Stehend, ohne die geringste Bewegung, hörte er die Klage an, die nun mit lauter Stimme noch einmal verlesen wurde. Man beschuldigte ihn des offenen Aufruhrs, des thatsächlichen Kampfes mit dem Schwerte in der Hand gegen königliche Truppen, und des beabsichtigten und zum Theil gelungenen Umsturzes der bestehenden Landesregierung, sowie endlich der Theilnahme an einem Complotte, das sich zur Vertreibung des Landesherrn verschworen habe.

„Sind Sie der Ihnen zur Last gelegten Verbrechen geständig?“ fragte der Präsident nach der hergebrachten Form.

Jetzt erhob Franz sein Haupt, mit ruhigen, stolzen Blicken sah er zu den Richtern empor. Dann antwortete er fest und würdevoll:.

„Die Lüge ist mir von jeher fremd gewesen, und ein Mann von Ehre darf sich ihrer nicht bedienen, selbst wenn er sein Leben dadurch retten könnte. Meine Ansichten, die mich damals in den Kampf trieben, sind noch heute dieselben, und ich bekenne offen und frei, daß ich muthig für die heilige Sache der Freiheit das Schwert gezogen, und daß ich eine neue, freisinnige, der Gegenwart entsprechende Regierung einsetzen wollte. „Ja,“ rief er, „Volk und Richter mögen es hören: ich habe die Thaten begangen, die man zu Verbrechen stempelt! Das ist Alles, was ich denen zu entgegnen habe, die Muth und Beruf in sich führen, über die Ansichten aufgeklärter Menschen zu richten!“

Dann ließ er sich auf der Bank nieder, kreuzte die Arme und starrte düstern Blicks zu Boden.

Eine tiefe Pause sollte den Worten des Angeklagten, der zu verschmähen schien, eine Vertheidigung zu unternehmen. Das Bild, das Franz in diesem verhängnißvollen Augenblicke bot, war völlig geeignet, den Vertheidigungsgrund des Rechtsanwalts kräftig zu unterstützen. Wer greift nicht in der höchsten Noth zu dem letzten Rettungsmittel, und wenn es noch so schwach ist? An eine Erhebung der Seele bis zu der äußersten Selbstverleugnung glaubte man in jener Zeit nicht mehr, und die Begriffe von Ehre und Muth, wie sie Franz definirte, erschienen im Angesichte des Todes durch den Henker so seltsam, daß man den armen Mann offenbar für verrückt halten mußte. Richter und Zuhörer waren von der Geisteszerrüttung des Angeklagten moralisch überzeugt, aber noch fehlten die juristischen Beweise voll apodiktischer Klarheit, und diese zu liefern, war die Aufgabe des Vertheidigers.

Unter der gespannten Aufmerksamkeit der Versammlung erhob sich Julius.

„Franz Osbeck,“ sagte er ruhig und fest, „in dem Augenblicke Ihrer Verhaftung hingen Sie mit warmer Liebe an dem Leben, das Sie jetzt durch ein unbedingtes Eingehen auf Ihre Schuld zu verschmähen scheinen. Mich, Ihren Vertheidiger, würde der Vorwurf treffen, die Schwermuth außer Acht gelassen zu haben, die sich in dem Kerker Ihrer bemächtigt hat, wollte ich Sie nicht zur Aufrechterhaltung Ihres Lebensmuthes mahnen. Sie stehen zwar allein in der Welt, in der Ihre Lieblingspläne vereitelt sind; aber es muß der in der allgemeinen Meinung für feig gelten, der unter dem Scheine eines Märtyrers zum Selbstmörder wird.“

Der Angeklagte sah mit glühenden Blicken empor. Sein bleiches Gesicht prägte den jähen Uebergang von stolzer Entrüstung zu einer schmerzlichen Innigkeit aus.

„Es ist wahr,“ sagte er mit bebender Stimme, „ich stehe allein, ganz allein in der Welt! Fast muß es scheinen, also wollte ich durch die Hand des Richters ein Joch abschütteln, das mir verhasst ist. Aber ich versichere bei Allem, was mir heilig ist – –“


„Versichern Sie nichts, mein Herr!“ unterbrach ihn der Advokat. „Es giebt Leute, die bezeugen, daß Ihnen bei Ihrer Verhaftung noch das Leben lieb war. Sie forderten Geld zur Flucht von Ihrem Vetter. Herr Simoni wird nicht anstehen, es zu bekennen, wenn Sie beharren sollten – –“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_032.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)