Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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und wird er den Händen der Aerzte überliefert, so ist dies keine Strafe sondern ein Loos, das ihn auch dann betroffen haben würde, wenn er sich des Vergehens nicht schuldig gemacht hätte.“
Mutter und Sohn sahen sich mit bedeutsamen Blicken an, die dem aufmerksame Advokaten nicht entgingen, obgleich er seine Uhr hervorgezogen und das Zifferblatt derselben betrachtet hatte.
„Mein Herr,“ begann Robert, „Sie bestätigen eine Ansicht, die ich längst über Franz Osbeck gelegt habe. Seine Angriffe auf das Vermögen und die Ehre meines seligen Vaters sind zu extravagant, als daß sie ein gesunder Verstand erfunden und unternommen haben könnte. Wir haben bis jetzt unterlassen, eine öffentliche Erklärung über ihn abzugeben, da wir Rücksicht auf den Verwandten nahmen, jetzt aber ist es unsere Pflicht, und wir verbinden uns gern mit Ihnen, um seinen Geisteszustand zu constatiren.“
„Dann ist Alles erfüllt, was ich von Ihnen erwartete,“ sagte Julius Petri. „Sie üben eine traurige Pflicht, aber Sie retten dadurch einem Menschen das Leben, der unter den obwaltenden Verhältnissen unser innigstes Mitleiden verdient. Der Jurist muß es ihm freilich versagen, da er mit kaltem Verstande zu prüfen und darzuthun hat, was seine Straflosigkeit herbeiführen kann. Gelingt es mir, zu beweisen, Franz Osbeck hat schon früher Spuren von Geistesverwirrung gezeigt, so wird man auch nothgedrungen zugeben müssen, daß er seine politischen Vergehen in demselben Zustande verübt hat, zumal da sie das Gepräge eines tollen Uebermuthes tragen. Wir beweisen so nur die Wahrheit, Madame,“ wandte er sich zu der Wittwe, „und die Wahrheit darf man vor aller Welt bekennen. So betrachte ich Sie denn als die Zeugen dessen, was ich vor Gericht behaupten werde, und Sie, mein Herr, werden die Güte haben, der Vorladung des Gerichts Folge zu leisten.“
Robert verneigte sich, als Zeichen, daß er bereit sei.
„Die Geisteskrankheit Ihres Neffen,“ fuhr Julius fort, „ist von so eigenthümlicher Art, daß es eines scharfen Blicks bedarf, um sie zu erkennen. Er spricht gut und zusammenhängend, und seine Behauptungen gleichen denen eines Verständigen, die sich auf Ueberzeugung stützen. Aus meinen Unterredungen mit ihm ist mir klar geworden, daß er mir mit Eifer widersprechen würde, wollte ich seine Geisteskrankheit in seiner Gegenwart zur Grundlage meiner Vertheidigung machen. Demnach wird mir die Beweisführung unendlich erschwert, und ich bin gezwungen, den scharfen und jähen Wechsel seiner Empfindungen, an denen ich seinen Zustand erkannt habe, durch äußere, zufällige Einflüsse zu veranlassen, damit er den Richtern klar werde. Mein Client selbst muß seine Unzurechnungsfähigkeit beweisen, ohne daß er meine Absicht erräth.“
„Herr Advokat,“ sagte die Wittwe, „ich bewundere Ihren Scharfsinn. Retten Sie meinen Neffen vom Tode und überliefern Sie ihn einer sichern Obhut in dem Irrenhause, so zählen Sie auf meine Dankbarkeit. Der Gedanke ist mir schrecklich, daß ein Glied meiner Familie den Tod eines Verbrechers stirbt. Retten Sie ihn, retten Sie ihn um jeden Preis!“
„Meine Ehre als Jurist erfordert es,“ antwortete Julius.
„Und ist es wirklich Ihre Ansicht, daß der Angeklagte aus Irrsinn gehandelt hat?“
„Ja, Madame,“ war die feste Antwort. „Gewisse Dinge werden bei ihm zur Monomanie, und dahin gehört die unglückliche Erbschaftsgeschichte, von der er sich nicht losreißen kann, sobald er sie einmal berührt hat.“
Robert hatte während der Zeit über die Vortheile nachgedacht, die ihm daraus erwachsen mußten, wenn der Advokat, der nach seiner Ansicht von Ehrgeiz geleitet wurde, seinen Zweck erreichte. Er schilderte nun das Benehmen des unglücklichen Franz vor der Verhaftung, und verschwieg selbst die plötzliche Veränderung desselben nicht, die das Erscheinen Helenen’s in ihm hervorgebracht.
„Das spricht für meine Behauptung!“ sagte Julius. „Wer ist das junge Mädchen?“ fragte er in einem gleichgiltigen Tone. Die Wittwe gab ihm Auskunft.
„Sie war mehre Jahre Gouvernante bei einer englischen Familie, die vorigen Herbst in ihr Vaterland zurückgereist ist,“ schloß sie ihren Bericht. „Auf die Empfehlung meines Arztes nahm ich sie als Gesellschafterin zu mir, und ich muß bekennen, daß sie der ihr vorangegangenen Empfehlung vollkommen entsprochen hat. Sie ist schön, gebildet und gut!“ fügte sie mit einer leisen Beziehung hinzu.
Der Advokat hatte einige Augenblicke nachgedacht.
„Es läßt sich wohl nicht annehmen,“ fragte er plötzlich, „daß Franz die junge Dame schon früher gesehen hat'.“'
„Gewiß nicht!“ rief Robert eifrig. „Sie hatte für den Fremden, der sich wie ein Wahnsinniger geberdete, weder einen Gruß noch einen Blick. Ruhig verließ sie mit meiner Mutter das Zimmer. Wenn sie auf Franz einen Eindruck ausübte, so ist dies erklärlich, denn Helene ist eine reizende Erscheinung.“
Der Advokat verabschiedete sich von der Commerzienräthin. Robert begleitete ihn bis in das Vorzimmer.
„Mein Herr,“ sagte er, „Sie leisten uns einen großen Dienst, wenn Sie den Gefangenen der Verurtheilung entziehen. Die Familie Simoni ist erbötig, nicht nur die Unterhaltungskosten im Irrenhause zu tragen, sie wird auch dem wahren Vertheidiger jede Summe zahlen. – –“
„Ich erlaube mir später aus diesen Punkt zurückzukommen,“ unterbrach ihn Julius. „Sobald die Arbeit gethan, stelle ich meine Rechnung aus.“
„Betrachten Sie mich als Ihren Clienten!“ rief Robert dem Scheidenden nach. Dann ging er mit heiterm Antlitze in das Zimmer zurück. „Mutter.“ sagte er, „auf eine bessere Art hätten wir uns mit dem gefährlichen Franz nicht abfinden können. Von einem Menschen, der für das Tollhaus reif ist, lassen sich derartige Geldansprüche, wie sie der Vetter erhebt, erwarten, den Verurtheilten aber würde man beklagen und uns beargwöhnen und verdammen. Daß ich vor Gericht erscheine, um die Geistesverwirrung Franzen’s zu beweisen, wird man für eine rettende That, und nicht für eine Handlung der Eigennützigkeit halten. An der Seite seines Vertheidigers stehe ich für ihn und nicht gegen ihn!“
„Ich wünsche dem Advokaten Glück!“ sagte lächelnd die Wittwe.
Robert führte seine Mutter in den Speisesaal, wo Helene ihrer wartete. Unter heitern Gesprächen, an denen auch mehr als sonst die reizendere Gesellschafterin Theil nahm, saßen die drei Personen eine Stunde bei Tische. Denselben Abend theilte die Wittwe ihrem Sohne mit, daß sich Helene entschlossen habe, für immer in ihrer Familie zu bleiben.
„Mutter,“ sagte Robert mit glühenden Blicken, „Sie geben mir Helenen, und ich gebe Ihnen dafür – das verhängnißvolle Geheimniß meines Vaters zurück.“
„Gut, Robert, ich halte Dich beim Worte!“
„Wann soll meine Verlobung öffentlich gefeiert werden?“
„An demselben Tage, der den gefährlichen Erben in das Irrenhaus bringt!“
Beide reichte sich die Hand, um den Bund zu bekräftigen, den Habsucht und Liebe geschlossen hatten.
Einen Monat später, Morgens gegen 9 Uhr, hielt eine glänzende Equipage vor dem Hause der Wittwe. Drei Personen stiegen ein: es waren der Advokat Julius Petri, Helene und Robert Simoni. Der alte Georg schloß den Schlag des Wagens, dann ging er die Stufen der Treppe wieder hinauf, indem er murmelte:
„Wenn die Nichtswürdigkeit dieser Menschen gelingt, giebt es weder im Himmel noch auf der Erde eine Gerechtigkeit! Es wäre dem armen Franz besser, daß er auf dem kürzesten Wege zu seinem Vater gelangte. Ich will so lange warten, bis das Loos des Unglücklichen entschieden ist – dann aber werde ich dem habgierigen Weibe meine Meinung sagen und das Haus des Verbrechens verlassen. Großer Gott, was für Unglück hat der leidige Mammon schon angerichtet!“
Gesenkten Blicks ging der Greis über die weite Hausflur. Da sah er einen kleinen, glänzenden Gegenstand am Boden liegen, er hob ihn auf.
„Die weiße Rose, die Helene stets zu tragen pflegt!“ murmelte er. „Ich werde sie aufbewahren, und sie der Braut des Herrn Robert zurückgeben, die sie wahrscheinlich ungern verloren hat. Wenn ich nur erst weiß, was diese Person für eine Rolle spielt. Während sie am Tage die Züchtigkeit und Bescheidenheit selbst ist, verläßt sie Abends heimlich das Haus, und kommt erst z’ rück, wenn der Nachtwächter auf seinem Horne bläst. Ich kann den Verräther
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_031.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)