Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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kostspieligen Aufmerksamkeiten zu überhäufen, die ich kindlich nennen kann." Das sind gewiß schöne seltene Herzenszüge, die sich zwischen Dichter und Verleger aussprechen.
Beranger ist ein Volksdichter, wie die moderne Zeit keinen aufzuweisen hat. Er singt für seine ganze Nation, für die Höhen wie für die Tiefen, wie für die Mitte. Man möchte ihn das Herz Frankreichs nennen. Alle Gefühle des Volkes, all das Selbstbewußtsein, die Sinnlichkeit und Frivolität, all seine Entrüstung, all seine Heiterkeit und Selbstvergessen, und all die Großmuth, Zartheit und Ritterlichkeit, der Leichtsinn und die jugendliche Laune, der Witz und die Leidenschaft, der militärische Dünkel und wirkliches Heldenthum, die mittelalterliche Ruhmsucht und die moderne Begeisterung, das singt und lacht, tändelt und zürnt, das grollt, höhnt und prahlt aus seinen Liedern heraus. Darum zieht jeder Laut aus seinem Munde hin durch das ganze Leben und findet sein Echo bei Millionen.
Die politischen Schauspieler, zu deren Rolle es gehört, sich tief ernst und überaus tugendhaft zu geberden, stellen sich von der Unsittlichkeit in den Liedern Beranger’s empört. Sie lügen. Denn in der Zurückgezogenheit, wenn die Maske unnöthig ist und sie sich beim Wein der unterdrückten und jugendlichen Anwandlung überlassen, um einen Moment ungezwungener Fröhlichkeit zu genießen, dann singen sie nach Herzenslust Lieder von Beranger. Sie lachen und weinen natürlich und sind ganz seelenvergnügt.
Unter dem ersten Kaiserreiche wurde Beranger von Arnault, Mitglied des Instituts, dem Hofpoeten Fontanes, der durch die Gunst des Kaisers zu hohen Würden gelangt war, empfohlen und von diesem seinem Secretariat unter dem Titel „Commis Expeditionaire“ beigegeben. Eines Tages hörte Fontanes den jungen Angestellten die Strophen des „Königs von Yvetot" singen. Die Frische, der Humor, die Milde und Gutmüthigkeit des Spottes zogen den hochgestellten Poeten, den Großherrn der Universität, dem all diese Gaben fehlten, unwiderstehlich an. Er erbat sich die Strophen und brachte sie dem Kaiser, der, wie er wußte, in den seltenen Mußestunden, die ihn seine Laufbahn gestattete, heitere Zerstreuungen liebte. Napoleon I. durchlas die Verse und brach in lautes Gelächter aus.
„Kennen Sie die Melodie zu diesem Lied?" fragte er Herrn Fontanes.
„Ja wohl, Sire," antwortete der Poet und recitirte singend das Gedicht. Man denke sich das Erstaunen der Höflinge, als sie den Kaiser bei seinen Arbeiten den Rundreim des „Königs von Yvetot" vor sich hinsummen hörten. Der „Senator" wurde drauf in den Tuilerien förmlich heimisch. Man lachte, ohne im Mindesten Anstoß an dieser milden Satyre zu nehmen und Beranger gewann den Vortheil, sich ungestört seinen poetischen Arbeiten hingeben zu können.
Für die Armen, für die untern Volksklassen, für die Arbeiter, für die Grisette sind Beranger’s Lieder ein Bedürfniß geworden. Das arme Mädchen läßt sich von diesen Gesängen zum Lachen bewegen, Noth und Entbehrung vergessen lehren. Sie singt Beranger’s Lieder, um ihr kleines Dachstübchen mit heitern Bildern und ihren Kopf mit schönen, bunten Träumen zu erfüllen. Diese Verse trösten, erheitern und versöhnen mit dem Schicksal. Kann es verwundern, daß er ihr Abgott, dieser Poet, der sie erfreut, trotz aller Entbehrung? Für Beranger hat das Volk immer Kränze. Keine Dirne ist so verworfen, um nicht ein Winkelchen ihres Herzens rein zu erhalten, wo sie die Liebe zu dem Volksdichter aufbewahrt. Wo sich Beranger öffentlich zeigt, ist er den lebhaftesten Huldigungen ausgesetzt.
Ich war Zeuge einer rührenden und zugleich erhebenden Scene, die sich in der „Clauserie de Lilas," wo des Sommers Studenten und „Studentinnen," wie man hier sagt, sich dem Vergnügen des Tanzes hingeben und wo sich die Fröhlichkeit der Jugend in ungezwungener, anmuthiger Weise kund giebt. Zu dieser heißen Sommerunterhaltung kam Beranger. Der Greis, wahrscheinlich um sich an dem tollen Treiben, an dem Schauspiel ungekünstelter, ungesuchter Freude zu ergötzen. Kaum war er in den hellerleuchteten Garten getreten, war er auch schon erkannt. Beranger ist da! Beranger ist da! lief es durch die Reihen der Tanzenden die sich sogleich auflösten und den Dichter jubelnd und händeklatschend umringten mit dem Rufe. Es lebe Beranger! Es lebe Beranger! Die Mädchen küßten ihm Hände und Wangen und sagten ihm im lieblichen Wettstreit die zärtlichsten Worte.
Mit der Raschheit der französischen Nation wurde von den Studenten eine Feierlichkeit improvisirt. Aus den Blumensträußen, die da feilgeboten werden, flocht man Kränze; ein Reimkundiger verfertigte ein Gelegenheitsgedicht. Drei der schönsten Mädchen wurden ausgewählt, die dem Dichter Kränze brachten und eine Andere las ihm das frisch verfaßte Lied. Der Dichter dankte, auf’s Tiefste gerührt.
Alle Anwesenden waren ergriffen und begeistert. An’s Tanzen wurde nicht eher gedacht, als bis der Dichter sich entfernt hatte. - Der Moment war wunderschön und ich glaube, daß dieser unmittelbare Ausdruck einer innigen Verehrung auch dem Dichter wohlgethan haben muß, der sonst allen Ovationen so ängstlich aus dem Wege geht.
Beranger ist aber nicht nur Frankreichs erster Dichter, er ist auch Frankreichs größter Bürger; er ist ein Washington, hingebend an das Vaterland, muthig und anspruchslos; er schlug auch seine Schlachten, wenn auch mit einer andern Waffe, als dem Schwerte.
Obgleich ein Franzose, hat er sein ganzes Leben hindurch seine politische Ueberzeugung bewahrt, die allen Stürmen, allem Wechsel der Verhältnisse getrotzt.
Pierre Jean de Beranger ist am 17. August des Jahres 1780 zu Paris geboren. Obgleich seine Familie von Adel, hat sein Großvater das sehr bürgerliche Gewerbe eines Schneiders getrieben. Unter der Aufsicht dieses guten Mannes, der nichts weniger als streng war, blieb der kleine Jean bis in einem Alter von 9 Jahren, zu keinem Berufe ernstlich angehalten, sondern mit Kameraden seines Alters ein freies, unthätiges Leben in den pariser Straßen führend. Auf diese Weise geschah es, daß der kleine Beranger, wie viele andere Straßenjungen, mit dabei war, als das pariser Volk am 14. Juli 1789 die verhaßte Bastille stürmte. Er sah es mit an, wie von kräftigen Armen geschwungene Aexte die Pforten von Erz zertrümmerten. Das Schauspiel ist ihm, wie er sagt, stets gegenwärtig, und in der That hat er die Erinnerung ein halb Jahrhundert später nach seiner Art in singbaren Versen ausgesprochen. Das hat Beranger mit unserm Goethe gemein, daß er Altes, was ihn irgendwie angenehm oder unangenehm anregt, daß er jede wichtige Frage, die sich ihm aufdrängt oder ihm aufgedrungen wird, im Liede behandelt, so daß die gesammelten Gedichte die Geschichte seines Kopfes und Herzens enthalten.
Seine patriotische Begeisterung erhielt die erste Grundlage zu jener Zeit, da er, ein Kind, die Dinge kaum zu unterscheiden vermögend, den Fall einer Zwingburg vor Augen sah, deren Namen jeden Franzosen mit Schauder erfüllte.
Die Straßen von Paris wurden immer unruhiger und stürmischer und boten keinen geeigneten Aufenthalt für den Knaben mehr. So ungern sich der gute Schneider von dem kleinen Liebling trennte, er wich dem Gebot der Umstände und schickte den Knaben nach Péronne in der Picardie zu einer Tante, die einem Gasthofe vorstand, und welche streng und fromm war.
Beranger blieb kaum drei Jahre dort, dann trat er in das „patriotische Institut," welches von einem Mitglied der gesetzgebenden Versammlung, Ballue de Bellanglise zu Péronne gegründet wurde, und später zu einem Buchdrucker in die Lehre, der ihn wegen seiner außerordentlichen Geistesgaben, verbunden mit einer lebhaften Wißbegierde, sehr lieb gewann. Er gab ihm mit Auswahl zu lesen und war ihm bei gründlicher Erlernung der Sprache behülflich. Als Beranger eine Ausgabe des André Chenier gesetzt hatte, versuchte er sich zum ersten Male im Vers. Einige Strophen kamen dem Meister Buchdrucker zu Gesichte, und dieser weihte den poetischen Setzer in die Regeln der französischen Prosodie ein.
Hiermit war die Laufbahn Beranger’s entschieden. Zurückgekehrt nach Paris, wo er seinen Vater in glücklichen Vermögensverhältnissen fand, sagte er diesem. „Ich will ein Dichter sein." Vielerlei Versuche wurden gemacht, vielerlei größere Arbeiten theils in dramatischer, theils anderer Form wurden unternommen, allein diese Erstlingswerke mochten den strengen Forderungen, die der junge Dichter an sich selbst stellte, nicht entsprechen und wurden von ihm selbst dem Feuer Preis gegeben. Außer den Namen einiger ist keine Spur von den Jugendarbeiten des herrlichen Volksdichters geblieben. Ein außerordentlicher Verlust, wenn kein poetischer, so doch ein kunsthistorischer. Welch ein Interesse hätte es geboten, diese eigenthümliche Dichternatur durch alle Phasen ihrer Entwickelung zu verfolgen. So aber bleibt nichts übrig, als sich an dem Fertigen, Vollendeten zu erfreuen und den
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