Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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ihren aufgeworfenen Lippen sah man die Emaillezähne aus der Fabrik des berühmtesten französischen Dentisten. Der Sohn war mit jener gediegenen Einfachheit gekleidet, die den reichen Kaufleuten von fünfundzwanzig Jahren eigen zu sein pflegt.
„Robert,“ sagte sie bebend vor Aufregung, „Du wirst mit mir zu dem Präsidenten fahren! Ich habe es in verflossener Nacht auf dem Balle versprochen, und wenn ich mich nicht blamiren will, so muß ich Wort halten.“
„Gut, fahren Sie allein, Mutter!“ sagte der junge Mann, der aus dem kostbaren Teppich auf und ab ging.
„Auch Du wirst erwartet.“
„Ich habe nichts versprochen!“
„Aber ich!“ rief die Commerzienräthin mit ihrer durchdringenden Altstimme, und indem sie das Gewicht ihrer fleischigen Hand auf ein Mahagonitischchen fallen ließ, daß es laut erseufzte. „Wenn meine Aufforderung nicht genügt, so befehle ich es Dir!“ fügte sie mit der Alles vergessenden Heftigkeit hinzu, die ihre Abstammung verrieth, nämlich die aus einer rheinländischen Fabrikantenfamilie, die durch den Schweiß armer Arbeiter ein Kapital zusammengescharrt hatte, das unter fünf Erben vertheilt war. Zwei Fünftheile, nämlich das Erbe der Madame Simoni und das ihres Bruders, des Vaters des unglücklichen Franz, hatten den Grund zu dem hamburger Handelshause gelegt.
„Befehlen? Befehlen?“ fragte Robert kalt und ruhig, indem er stehen blieb. „Sie vergessen, Mutter, daß ich großjährig bin. Niemand hat mehr das Recht, mir Befehle zu ertheilen.“
Die Lippen der alten Dame begannen zu beben, und eine dunkele Röthe färbte ihre fleischigen Wangen. Gewaltsam setzte sie dem Ausbruche ihres Zornes einen Damm entgegen, indem sie einen Augenblick schwieg. Ihre schwarzen Augen schossen glühende Blicke auf den ruhigen Robert.
„Deine Großjährigkeit, mein Sohn, spottet also der mütterlichen Autorität!“ sagte sie tonlos nach einer Pause. „Gut, ich will es gelten lassen; aber ich gebe dir zu bedenken, daß der letzte Wille Deines Vaters mich so lange des Genusses seines Vermögens, seines ungetheilten Vermögens, versichert, als ich mich desselben zu Deinen Gunsten nicht entäußerte. Doch bin ich die Herrin des Hauses Simoni, und wenn Du nicht mehr mein Sohn sein willst, so bleibt mir nur noch übrig. Dich als meinen Commis zu betrachten. Enterben kann ich Dich nicht. aber so lange ich athme, bleibst Du Commis! Jetzt wähle zwischen Beiden! Den Sohn werde ich der Tochter des Präsidenten vorstellen – den Commis schicke ich nach Hamburg zurück in das Comptoir, wohin er gehört! Du kennst mich, mein eiserner Wille hat Deinen Vater geleitet, er wird auch Dich im Zaume zu halten wissen. Gestern noch sprach ich ermahnend; heute befehle ich Dir. O, ich kenne die Gründe Deiner Weigerung! Du steigst entweder heute mit mir in den Wagen, um zu dem Präsidenten zu fahren, oder morgen, um nach Hamburg zu reisen!“
Robert hatte seine Ruhe nicht verloren; mit einer höhnenden Eleganz steckte er seine rechte Hand, die ein kostbarer Diamantring schmückte, in die Brustöffnung der weißen, mit Gold gestickten Atlasweste, stützte sich auf die Lehne des Divans, auf dem die Commerzienräthin saß, und sagte lächelnd.
„Es ist wahr, Mutter, mein verstorbener Vater hat Ihnen eine gewisse Gewalt über mich gegeben, und wie ich vermuthe, unter Ihrem Einflusse, denn Sie bekennen ja selbst, daß Ihr eiserner Wille ihn geleitet hat; aber, Mutter, der Commis, der sechs Jahre die Arbeiten des Herrn Simoni theilte, der bei seinem Tode die Leitung des Geschäfts übernahm, hat auch ein gewisses Geheimbuch übernommen, das über Dinge Aufschluß giebt, die sehr unangenehme Folgen haben könnten. Senden Sie den Commis nach Hamburg, indem Sie ihn als Sohn nicht gelten lassen wollen, so wird er ein verborgenes Fach erschließen, das nur er kennt und zu dem nur er allein den Schlüssel besitzt … –“
„Robert, Robert!“ rief erschreckt die Mutter.
„Sie sehen, daß ich großjährig bin! Und weil ich es bin, werde ich mir eine Lebensgefährtin nach meinem Geschmacke wählen. Muß ich dabei auch Vieles preisgeben, so werde ich immer noch genug behalten, um mit Helenen ein sorgenfreies Leben führen zu können.“
„Mit Helenen?“ stammelte die Commerzienräthin. „Mensch, bist Du von Sinnen?“
Robert erhob sich und trat einen Schritt zurück.
„Ich glaube, ich bin noch nie bei so klarem Verstande gewesen, als eben jetzt. Wer will es mir, dem reichen Mann, verargen, wenn ich mir eine Frau aus lauterer Neigung nehme? Besäße Helene eine Million, sie würde mich nicht glücklicher machen können als jetzt, wo sie mir ein vortreffliches Herz, Schönheit und Tugend zur Morgengabe bringt. Ich drohe nicht, Mutter, weil ich mich noch immer als Ihren Sohn betrachte; aber ich bitte Sie, mir in dieser Angelegenheit freie Hand zu lassen, und mich Ihren ehrgeizigen Plänen nicht zum Opfer bringen zu wollen. Entweder Helene oder keine wird meine Gattin. Und haben Sie wirklich das Glück Ihres einzigen Sohnes im Auge, wie Sie mich so oft versicherten, so werden Sie meine Verbindung mit dem reizenden, unglücklichen Mädchen, das Ihre Achtung im hohen Grade besitzt, nicht hindern, sondern nach Kräften zu befördern suchen. Mutter,“ bat er leidenschaftlich, „ich kann ohne Helene nicht leben – zwingen Sie mich nicht, zu Mitteln der Verzweiflung zu greifen. Meiner Liebe opfere ich Alles, Alles; ich schleudere jedes Hinderniß zurück, das sich mir entgegenstellt, aber ich bedecke die Hand mit Thränen des Dankes, die mir das Mädchen meiner glühenden Liebe entgegenführt!“
Der junge Mann warf sich auf einen Sessel. Sinnend betrachtete ihn die Commerzienräthin, der die Tiefe der Leidenschaft nicht entgehen konnte, die in der Brust Roberts so rasch Wurzel gefaßt hatte. Ihr eiserner Wille beugte sich der Mutterliebe, und sie empfand ein inniges Mitleiden mit dem Sohne.
„Zu dieser Drohung hat ihn die Verzweiflung getrieben!“ dachte sie. „Was bleibt mir übrig, als nachzugeben? Ich kenne ihn, sein Charakter gleicht dem meinigen. Es steht zu viel auf dem Spiele: die Ehre unsers Hauses und dann … Beides kann ich der sinnlosen Leidenschaft eines Verliebten nicht preisgeben. Ich muß vorsichtig, sehr vorsichtig handeln.“ .
Als Robert den Kopf erhob, sah sie Thränen über seine Wangen rollen. Er wollte sich entfernen.
„Bleibe, mein Sohn!“ sagte sie mild. „Ich habe nicht geglaubt, daß Helene einen so tiefen Eindruck auf Dich ausgeübt hat. Du kennst sie erst seit einem Monate – hast Du Dich auch geprüft?“
„Sie kennen mich, Mutter,“ antwortete Robert mit leise erregter Summe. „Ich bin kein Knabe mehr, der bei jeder glänzenden Erscheinung aufjauchzt und sich nach ihrem Besitze sehnt. Wenn ich Ihnen den Wunsch aussprach, den Winter hier zu verbringen, so ward ich von dem Gedanken an Helene beseelt, ich wollte sie erforschen, und mich um ihre Neigung bewerben. Sechs Wochen haben hingereicht, um mich einen Engel kennen lernen und anbeten zu lassen, und was beschließen Sie nun, Mutter?“
„Du wirst meinen Entschluß vernehmen, wenn ich mit Helenen über diesen Punkt eine Unterredung gehabt habe. Daher fordere ich von Dir ein Versprechen.“
„Nennen Sie es!“ rief Robert, dessen Augen hell erglänzten.
„Du wirst die Ehre Deines Vaters im Auge behalten, und unser Familiengeheimniß wie ein heiliges Vermächtniß bewahren. Mein verstorbener Bruder kannte seinen leichtsinnigen Sohn zu gut. Franz gehört nicht mehr zu unserer Familie. Wie hast Du Dich seiner entledigt?“
„Die Polizei erleichterte mir dies Geschäft.“
„Wie?“
„Man hat ihn gleich nach Ihrer Entfernung verhaftet.“
„In meinem Hause?“ „Leider ja!“
„Entsetzlich !“ rief die Commerzienräthin. „Die Polizei war in meinem Hause?“
„Beruhigen Sie sich, Mutter, es hat kein Mensch diesen ärgerlichen Actus erfahren.“
„Es ist schon genug,“ fuhr die Alte entrüstet fort, „daß man einen Landstreicher bei mir vermuthete!“
„Die Sache beunruhigt mich nicht, da ihr Zusammenhang sehr einfach ist. Franz, auf der Flucht begriffen, ist in dem Hotel angekommen, und hat dort nach unserer Wohnung gefragt. Da er verfolgt wird, kannte die Behörde seine Spur, sie wußte selbst durch den Telegraphen, daß er hier eintreffen würde, und so suchte man in allen Wirthshäusern. Man fand ihn bei uns und führte ihn in aller Stille fort. Diesen Morgen schon war ich bei dem Polizei-Commissar, und habe ihm die Anzeige gemacht, daß der Flüchtige es versucht habe, von mir Geld zu erpressen. Wie man
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_018.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)