Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
|
eintraten und sich noch das Haar vom unbedeckten Haupte auf die Stirne herunterstrichen, gleichsam um den Ausdruck ihrer von Natur starken Einfalt unterthänigst noch zu verstärken, konnte ich nicht umhin, sie laut darauf aufmerksam zu machen, daß sie keine deutsche Obrigkeit vor sich hätten, sondern untergeordnete Diener des Auswanderungsgeschäfts, die von ihrem Gelde lebten und dafür verpflichtet seien, ihnen zu dienen. Wenigstens möge Jeder in diesem kalten, zugigen Raume seinen Kopf bedecken, wenn er nicht durchaus freiwillig beschlossen habe, ohne Mütze oder Hut zu erscheinen. Aber sie horchten mit tauben Ohren und sahen mich und dann den Fallstaff mit stierem Erstaunen an und schienen sich zu wundern, daß ich nicht sofort in Ketten gelegt und auf Lebenszeit eingesperrt würde. Da sah ich nun freilich mit einem Male ein, daß die beiden Herren, die so viel Ehrfurcht einflößten und sich so absolut benahmen, klüger und praktischer waren als ich. Dieses Benehmen war den Leuten Bedürfniß.
Doch zur Sache. Fallstaff wollte nicht blos vorlesen, sondern auch Rekruten werben. Er ließ durch seinen deutschen Dolmetscher bekannt machen, daß das Parlement dem Ministerio die Bildung einer Fremdenlegion genehmigt habe und man dabei besonders auf die ehrlichen, biedern, „Freiheit liebenden und Rußland hassenden Deutschen“ gerechnet habe. Jeder, der sich dem patriotischen Unternehmen anschließen wolle und für tüchtig befunden werde, bekomme sofort seine volle tägliche Löhnung, eine aus Fleisch, Butter, Brot, Thee, Bier u. s. w. bestehende Kost und nach Ablauf seiner Dienstzeit eine freie Fahrt nach dem glücklichen, goldenen Australien, eine Fahrt, die sonst mit 150 Thalern bezahlt werden müsse. Außerdem bekomme Jeder, der sich hier melde und annehmbar sei, das bereits bezahlte Geld für seine Ueberfahrt nach Amerika zurück. Das Söldlingsleben unter englischen Kriegsgesetzen auf der Krim ward sodann mit den lachendsten Farben ausgemalt. Einige junge Burschen horchten mit steigender Theilnahme auf dieses Evangelium, so daß ich der Versuchung, ein Wort zu rechter Zeit zu sagen und ein gutes Werk zu stiften, nicht widerstehen konnte. Sobald das Evangelium zu Ende war, rief ich sofort in die bunte Menge hinein, daß man so Etwas erst gehörig überlegen und jede unsichere Münze von beiden Seiten besehen müsse. Die andere Seite stelle sich aber, ganz nach den authentischen Berichten und Leitartikeln der Times, der politischen Bibel Englands, so dar.
Die Times sagte in Bezug auf das englische Militär, daß über dem Eingange zu demselben stehe, was nach Dante über dem Thore der Hölle zu lesen war: „Keine Hoffnung!“ Außerdem steht in den Paragraphen des Fremden-Militär-Gesetzes, daß Niemand nach der Entlassung, mag er gesund, verwundet oder verkrüppelt sein, Ansprüche irgend einer Art machen kann. Das Freibillet nach Australien ist also zunächst blos ein Privat-Versprechen. Es ist ungefähr 100 Thaler Werth für Den, der durchaus nach Australien will. Die Sache steht also so, daß der Deutsche für die unverbürgte Aussicht auf den Werth von 100 Thalern seine Nationalität, seine persönliche Freiheit, seine Ehre und sein Leben verkauft, mit einer Aussicht von 100 gegen 1/2, daß er dieses verkaufte, entehrte Leben nicht retten werde. Dieselbe Times ließ sich von ihrem Correspondenten vom Kriegsschauplatz berichten und durch unzählige Thatsachen beweisen, daß der zerlumpteste, elendeste Bettler in den Straßen Londons das Leben eines Fürsten führe im Vergleich zu dem des englischen Soldaten auf der Krim. Der Gesunde bekommt die ihm bestimmten Lebensmittel nur halb und muß im Regen und Schnee, im Schmutz und Wasser schlafen, denn selbst durch die Leinwand der Zelte (wenn er ja unter eins kommt) regnet es, wie durch ein Sieb. Der Kranke kommt nach Vernachlässigungen aller Art auf ein Schiff, wo keine Medizin und keine Aerzte sind. Diese giebt’s in Menge, aber immer am unrechten Platze. Der Verwundete wird auf Karren über Stock und Stein und Moräste gestaucht, um in ein Schiff gepackt und 100 Meilen weit in ein Lazareth geworfen zu werden, wo er auch unter Pflege oft nicht mehr zu retten ist.
Die Soldaten gehen zerrissen und zerlumpt einher, da Winterkleider, Zelte, Lebensmittel aller Art tausendcentnerweise vom Sturme in den Grund des Meeres versenkt wurden, woran erwiesenermaßen nicht der Sturm, sondern die Liederlichkeit und Unordnung der aristokratischen, höhern Beamten, die sich einander nicht unterordnen, Schuld ist, wie an allem übrigen Elend, aller Ratlosigkeit und Anarchie im englischen Lager, so daß viel mehr an den Folgen dieser Anarchie sterben, als von den Kugeln der Feinde. Beweise dafür hat der Correspondent der Times massenhaft in seinen ellenlangen Berichten gehäuft und die Times selbst sprach sich in ihren Leitartikeln auf das Schärfste gegen diese Schmach aus, die um so greller und entsetzlicher hervortritt, als es sich hier um das Leben und das Glück von vielen Tausenden englischer Bürger und Familien handelt und als die Ordnung und Humanität im daneben aufgeschlagenen französischen Lager durchweg musterhaft gefunden ward.
Wenn die Aristokratie Englands so liederlich und brutal mit den Söhnen ihres eigenen Landes umgeht, was haben dann erst die fremden, gekauften Söldlinge zu erwarten? –
Auch hierauf antworte ich aus der Bibel Englands, dem berüchtigten Leitartikel der Times vom 22. December. –
„Die Regierung hat es“ sagt sie, „mit dem großen bessern, England verhaßten „Fremden-Militär-Gesetze“ besonders auf die Deutschen abgesehen. Sie sieht auf diese simpeln, unschuldigen, milden, blauäugigen, flachshaarigen jungen Deutschen wie der Fischer von Falmouth auf eine Heerde junger Makrelen oder der Orkney-Insulaner auf eine „Schule“ lebhafter, junger, flaschennasigter Wallfische. Sie sind auswanderungslustig, sehr zum Gehorsam gezogen, leicht zu regieren und im Alter von 26–30 Jahren in der Regel gut militärisch einexercirt. Sie sind ein excellentes Material für die Civilisation und politische Macht. England möchte sie daher lieber verbrauchen, als seine eigenen Söhne und lieber in’s englische Australien bringen als in das unabhängige Amerika tausendweise ziehen lassen.
„Sie sind geboren, um sich gebrauchen zu lassen. Sie sind gemacht, um betrogen und mißbraucht zu werden. (They are made to be fleeced.) „Sie haben dabei ohne Zweifel Muth, doch sind sie der Autorität gegenüber wie Lämmer. Wenn unter einem Haufen solcher jungen Deutschen irgend ein Gauner träte, sich für einen Polizeidiener ausgäbe und ihre Kleider und ihr Geld verlangte, sie würden’s ihm unterthänigst ausliefern.“
Das ist der Hauptinhalt jenes Leitartikels. So berief ich mich in meiner Zwischenrede vom Anfange bis zum Ende entweder auf Thatsachen oder auf Urtheile der politischen Bibel Englands und wies jede Unterbrechung von Seiten Fallstaff’s mit Luther’schem Pochen auf diese Bibel und auf englische Redefreiheit zurück.
Aber was half mir’s? Die drei Einzigen, die noch jung aussahen und einzeln standen, gingen gläubig und hoffnungsvoll in die Falle und verkauften Gut und Blut, Ehre und Leben für eine sklavische, elende Existenz und einen Krieg, der erst noch beweisen muß, daß er für die Humanität und Civilisation geführt werde. Kein Mann von Ehre wird die größten Strapatzen und für sein Leben fürchten, wenn es wirklich die höchsten Güter der Menschheit gilt, aber was bezweckt die englische Diplomatie und unter welchem Hohne kauft sie sich Deutsche? Ich habe hier auf Thatsachen hingewiesen, die hoffentlich auf die Leser in Deutschland besser wirken, als auf die drei blauäugigen Schwaben in der Londoner Auswanderungs-Herberge.[1]
- ↑ Mögen diejenigen, welche den lockenden Verheißungen der englischen Werber Folge zu leisten gedachten, diesen Warnungsbrief wohl beachten. – Muß schon die Frechheit, mit der sich einzelne Mitglieder des Parlaments über Deutschland und deutschen Muth äußerten, jeden ehrliebenden Deutschen tief verletzen, um wieviel mehr dieser kalte Hohn einer englischen Zeitung, deren Aussprüche in ganz England wie ein Evangelium aufgenommen werden. Deutsche Leichen für englisches Geld – der Menschenschacher des vorigen Jahrhunderts in anderer Form, nur daß hier gleich von vorn herein die Ehre einer militärischen Gleichstellung abgesprochen, das Brandmal der Verachtung aufgedrückt ist. Die Redaktion.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_016.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)