Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 1. | 1855. |
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Der erste Januar des Jahres 1850 hatte begonnen. In den Straßen der Residenzstadt M. war es noch lebhaft, und aus einzelnen Häusern erscholl der Jubel fröhlicher Gesellschaften weithin durch die klare, kalte Winternacht. In einem palastähnlichen Hause einer der Hauptstraßen war der erste Stock glänzend erleuchtet, und die Vorübergehenden blieben stehen, um den Tönen einer rauschenden Ballmusik zu lauschen. Vor der mit strahlenden Laternen geschmückten Thür hielten einige Wagen, der zögernden Gäste harrend, die sich den Armen des Vergnügens nicht so leicht entwinden konnten.
Es schlug zwei Uhr im Thurme der nahen Kathedrale, als die Gestalt eines Mannes, in einen großen Pelz gehüllt, zu einem der Diener trat, die im Gespräche an den Stufen der Steintreppe standen.
„Wer wohnt in diesem Hause, Freund?“ fragte er leise.
„Die Commerzienräthin Simoni!“ war die Antwort.
„Und sie giebt den Ball?“ fuhr der Fremde hastig fort
„Ja, mein Herr.“
„Das trifft sich gut!“ sagte der Mann im Pelze, dann dankte er für ertheilte Auskunft, und trat rasch auf die glänzend erleuchtete Hausflur.
Mägde und betreßte Diener flogen die breite, mit Teppichen belegte Treppe hinauf und herab, ohne sich um den Eingetretenen zu kümmern. Man sah an ihrer hastigen Eile, daß es galt, eine zahlreiche Gesellschaft zu bedienen. Der Fremde beobachtete einige Minuten das geschäftige Treiben, er schien unschlüssig zu sein, an welche der Personen er sich wenden sollte. Da trat plötzlich aus einer der Thüren ein greiser Diener, der einen zierlichen Korb mit kleinen Blumensträußen trug. Der Fremde zuckte freudig zusammen.
„Georg!“ flüsterte er.
Der Greis sah auf und trat überrascht näher. Prüfend betrachtete er das von dem Pelze eingehüllte Gesicht des Fremden.
„Mein Herr,“ sagte er, „ich weiß nicht, wer mir die Ehre erzeigt – –“
„Georg, alter Freund, erkennen Sie mich wirklich nicht wieder?“
„Nein, nein!“ versicherte der Alte.
„Hier kann ich mich nicht entdecken – führen Sie mich in ein Zimmer, wo wir allein sind.“
Der Greis öffnete dieselbe Thür wieder, aus der er erschienen war. Beide befanden sich in einem einfachen Zimmer, das durch eine grüne Schirmlampe matt beleuchtet ward. Der Fremde zog seine Mütze, schlug den großen Pelzkragen zurück, und das feine, bleiche Gesicht eines Mannes, der dreißig bis zweiunddreißig Jahre zählen mochte, ward sichtbar. Dem alten Georg entsank vor freudiger Bestürzung das Blumenkörbchen.
„Himmel,“ rief er, „darf ich denn meinen Augen trauen – Herr Franz?!“
„Ich bin es, guter Georg,“ sagte Franz, dem Greise freudig die Hand schüttelnd. „Franz Osbeck steht vor Ihnen wie er liebt und lebt.“
„Ach, Verzeihung, lieber Herr, wenn ich Sie nicht sogleich erkannte; ich werde nun alt und grau –“
„Und auch ich habe mich verändert, nicht wahr? Sagen Sie es nur frei heraus, daß meine blühende Gesichtsfarbe verschwunden ist, daß ich krankhaft aussehe. Doch lassen wir das, mein alter, guter Freund; ich preise den Zufall, der mich das Haus, und in demselben Sie finden ließ. Vor einer Stunde bin ich angekommen, in dem Hotel erfuhr ich, daß die reiche Wittwe Simoni, die vor einem Jahre aus Hamburg hierher gezogen, nicht weit wohne, und einen glänzenden Silvesterball gebe – ich benutze nun die Gelegenheit, die Schwester meines seligen Vaters zu sprechen, und werde mit Tagesanbruch weiterreisen. Vermitteln Sie mir eine Unterredung mit meiner Tante,“ fügte Franz hastig hinzu, „und Sie leisten mir einen Dienst, den ich Ihnen ewig danken werde.“
„Wollen Sie nicht einige Tage bei uns bleiben?“ fragte Georg.
„Wäre es möglich, ich würde nicht lange säumen; aber jede Stunde ist mir kostbar. Georg, ich muß selbst wünschen, daß meine Tante mir im Geheimen eine Unterredung gewährt, und daß Niemand die Anwesenheit ihres Neffen erfährt.“
„Auch Robert nicht, der einzige Sohn ihrer Tante?“
„Wie, ist Robert hier?“ fragte Franz überrascht.
„Er ist vor einem Monate angekommen, und wird den Winter bei seiner Mutter zubringen. Der Silvesterball ist sein Werk. Madame hätte sicher nicht daran gedacht, ein so glänzendes Fest zu geben, da das Trauerjahr um Herrn Simoni kaum vorbei ist. In den Sälen über uns befindet sich die Geldaristokratie dieser Stadt, und Herr Robert hat nichts gespart um zu zeigen, daß er der einzige Erbe des berühmten Großhandelshauses Simoni ist.“
Franz hatte mit düstern Blicken diesen Bericht angehört.
„Robert ist hier!“ flüsterte er sinnend vor sich hin. „Ich glaubte, der junge Chef der Handlung befände sich in Hamburg. Georg,“ sagte er, „ich habe Gründe, meine Anwesenheit dem Sohne so lange zu verbergen, bis ich die Mutter gesprochen habe. Ihnen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_001.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2019)