verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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Amerikanische Briefe.
Da sitz’ ich endlich in New-York, dem am Wenigsten amerikanischen Orte, dem Sp…napfe aller Nationen, nach welchem gleichwohl die meisten Urtheile über die neue Welt zugeschnitten oder wenigstens geschmückt werden, im Gewahrsam eines dicken deutschen Wirths, der mit gewissen ihm anvertrauten Geldern zu gewissen Zwecken herübergesandt ward, dafür aber eine „Kneipe“ anlegte und seine „Freunde“ auslachte. Doch darum will ich mich weiter nicht bekümmern. Hab’ ich doch ein hübsches ruhiges Zimmer, wenn auch nicht gerade in Broadway, so doch nahe genug, um mit wenigen Schritten in den Hauptstrom dieses Lebens hineinzulaufen. Aber so weit bin ich noch lange nicht. Um meinen Briefen den nöthigen Zusammenhang zu geben, muß ich an die Niagarafälle zurück, die ich Ihnen zuletzt, ebenfalls in einem deutschen Hause, zwar nicht besang, doch hoffentlich so schilderte, daß ich keinen Anlaß zu falschen Vorstellungen gegeben haben werde. Von den Niagarafällen dampfte ich nach Toronto, die rasch aufblühende Hauptstadt des westlichen Canada, von deren Größe, Schönheit, Bildung, Industrie und Handel man in wenigen Jahren Wunderdinge hören wird. Vor dreißig Jahren noch ein indianisches Dorf mit ein Paar Dutzend erbärmlichen Wigwams zählt sie jetzt 50,000 Einwohner und vielleicht ein Paar Tausend mehr, ehe Sie dieser Brief erreicht. Die breiten, graden, luftigen Straßen laufen nach allen Seiten in Baustellen hinaus, wo überall mit Fieberhitze gebaut wird, und die Leute mit Gold bezahlt werden. Dabei fehlt’s noch überall, und jede vier Wände mit einer Thür kosten mehr, als in Deutschland ein vierstöckiges Haus. Wie stolz und heiter senkt sich die Stadt von ihren fruchtbaren (durch Rücktritt des Ontario-Sees entstandener) Terrassen nach dem unbegrenzten Wasserspiegel herab, auf dem Dampf- und Segelschiffe und Boote und Kähne aller Art und Größe im hellen Sonnenschein glänzen und fliegen! Hinter uns donnern Eisenbahnen, um die lebendigen Meeresarme nach allen Theilen Amerika’s über Land zu verlängern. In den Straßen, welche Perlenreihen glänzender Häuser und Läden und Fabriken und Werkstellen und Schulen und Bildungsanstalten! – Sie wünschen, nach Ihrem letzten Briefe, mehr „geschlossene Bilder,“ lieber Keil! Wie soll man solche Bilder, die sich nach allen Seiten stets lebendig und flüssig in’s Unabsehbare ausdehnen und sich kaleidoskopisch stets ändern, abschließen? Verlangen Sie von einem Reisenden in dieser neuen Welt überhaupt nichts künstlerisch Geschlossenes. – Das künstlerische Element, wozu Ruhe der Befriedigung gehört, kommt in Amerika noch lange nicht. Lassen Sie mich aufschreiben, was ich in meinem Tagebuche notirt und in meiner Erinnerung wiederfinde, wie sich’s eben in der Wirklichkeit gab, so muß das eine Vorstellung von diesem wirklichen Leben hervorrufen. Und damit sei’s genug. Zu geschlossenen Bildern gehören Studien und Bücher, das aus der Wirklichkeit überall her Zusammengetragene parthieenweise und systematisch mit Ueberschriften und Abtheilungen abzuhandeln.
Ich sagte, wie Toronto als allgemeines Bild aussieht: ein unruhiges, nirgends begrenztes jugendliches Werden und Streben. Wozu einen Rahmen darum machen und die Wirklichkeit belügen? Lassen Sie’s nur strömen und bauen und bilden, damit wir sehen, was der gebildete, freigelassene Menschengeist zu leisten vermag. Und hier sind wir mehr auf Canada verwiesen, als auf die nordamerikanischen Freistaaten, welche in der Sklaverei einer ganzen Race und aller ihrer Spielarten und Färbungen, einen Todeskeim in sich tragen, wie Rom, wie Griechenland, wie alle Staaten, wo ganze Klassen und Stände als die blos zum Dienen und Gehorchen Bestimmten behandelt werden. In Toronto saß ich in einer weißen Familie mit zwei wunderhübschen farbigen Damen und ihrem prächtigen schwarzbraunen Vater zu Tische. In einem New-Yorker Kaffeehause spie ein „weißer“ Lastträger einem feingekleideten Herrn, der nur sehr wenig in’s Farbige spielte, auf die glanzlackirten Stiefeln und endlich gar auf den Rock, worüber sich die andern „Weißen“ köstlich amüsirten und dem Lastträger Complimente machten, als der Farbige gegangen war. Hier sah ich den Todeskeim, dort den des Lebens. Nachdem durch die Nebraskabill des Congresses die Sklaverei Hunderte von Quadratmeilen neues Terrain gewonnen, nachdem die Auserwählten des Volks das Grundgesetz der Freiheit, die klare Bestimmung, welches diese Ausdehnung verbot, auf den Antrag des Senators Douglas, der vorher dem Kaiser von Rußland die größten Schmeicheleien über die schöne Zukunft seines Landes gesagt, aufgehoben und vernichtet haben, ist an eine civilisirte Aufhebung der Sklaverei in Amerika nicht mehr zu denken, um so weniger, da früher oder später noch der größte Sklaven-Interessent – Cuba – hinzukommen wird. So wird sich die „Race“ in unendlichen Spielarten vermehren und zunehmen an Rachedurst und Gift, bis sie ausbricht und sich weiß wäscht in dem Blute der Weißen, der Yankee’s, der „Know nothings,“ welche jetzt als Verschworne des „Nichtswissens“ auch die Deutschen und andere Einwanderer „färben“ und brandmarken möchten. Eine Combination der Deutschen mit den Farbigen, die durch das Bestreben Ersterer gegen die Sklaverei schon sittlich gegeben ist und durch die Bornirtheit der Know nothings mit Gewalt zu Gewalt getrieben wird, ist vielleicht nicht so fern, als wir glauben.
Canada ist rein von diesem Schandfleck, es ist das freie, freudige Asyl von Hunderttausenden, welche durch die südlichen und nördlichen Staaten wie gehetztes und verfolgtes Wild getrieben wurden. Canada hat deshalb allein eine ungetrübte Aussicht in die Zukunft. Möglich, daß ich, erhitzt und empört über die Scene im Kaffeehause und andere ähnlicher Art, zu schwarz sehe, aber Thatsache bleibt es, daß die auch in den nördlichen Freistaaten herrschende, viel empörendere, moralische Sklaverei, d. h. die sociale Unterdrückung und Verachtung gegen alle Arten von Farbigen (auch die, die ganz weiß aussehen und nur in dem Rufe stehen, daß einst vor drei, vier Generationen ihre Vorfahren Farbe hatten), gegen alle Arten von freien, gebildeten, moralisch edeln Farbigen eine in dem Yankee-Charakter tief wurzelnde Geisteskrankheit ist, die ohne gründliche, in’s Innerste schneidende Operation nicht kurirt werden kann. Darüber später noch ein Wort. Von dem heitern, nach allen Seiten hin üppig aufquellenden Toronto will ich nur noch erwähnen, daß es sich durch die herrlichsten Industrie-, noch mehr durch Schulen und Bildungsanstalten auszeichnet. Ich war in der großen Tischlerei der Herren Jacques und Hay, eines Franzosen und eines Engländers, in deren Anstalt über hundert Handwerker und Künstler, darunter viele Deutsche, die geschmackvollsten Kunstwerke und Meubles produciren, besonders Putzzimmer-Poesie von schwarzem Wallnußholz. Vor meinen Augen verwandelte sich binnen zehn Minuten ein rohes Stück Holz in die niedlichste Bettstelle. Das klingt gewiß Jedem unglaublich, der nichts weiß von den genialen, complicirten Hobel-, Drechsel-, Säge-, Preß- und Fugmaschinen, welche hier unter der Leitung von hundert Menschen die Arbeit von achthundert Tischlern besser und billiger thun, als die besten derselben in Paris oder Berlin. In Cincinnati sah ich diese Maschinerie noch in großartigerm Maßstabe. Ich weiß nicht, ob ich davon ein ausführliches, geschlossenes Bild geben kann. Wenigstens müßten andere charakteristische Stoffe darunter leiden. Ist es nicht besser, wenn ich möglich viele Materialien und Erscheinungen, die sich mir als merkwürdig aufdrängten, nur eben mittheile, statt ein Paar Einzelnheiten gründlich zu behandeln und alles Andere liegen zu lassen? Ich wollte Toronto möglichst kurz abfertigen, aber kann ich es, ohne wenigstens zu sagen, wie herrlich hier die Schulen und Bildungsanstalten blühen und aufblühen?
Toronto hat seine Universität, sein Gymnasium (College), seine Seminarien, seine Real-, technischen und Elementarschulen und eine Normal- und Modellschule. Letztere ist schon als Gebäude im besten italienischen Stile eine der Hauptschönheiten der
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_636.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2020)