verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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No. 48. | 1854. |
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Wahrlich in einer Grenadier-Compagnie der Fremdenlegion in Algerien, die jetzt im Orient mitkämpft, kann man Originale sehen, wie man sie in der Art nicht so leicht im ganzen Leben wieder zusammenfinden wird. Fast lauter feste, stämmige Gestalten, mit dunkel gebrannten, wildbärtigen Gesichtern, die oft der Kreuz und der Quer mit breiten Narben gezeichnet, sind diese Grenadiere. Was die Fremdenlegion, dies große Asyl sonst aller verlorenen Söhne von halb Europa, an kleinen verkümmerten Kerlen und untüchtigen Soldaten besitzt, das bleibt in den „Compagnies du centre“ zurück, die „Compagnies d’élite“ und gar die Grenadiere nehmen nur tüchtige, vielversuchte Krieger in ihren Reihen auf; fast alle sonst noch so verschiedenen Nationen sind in denselben vertreten. Der blondhaarige, blauäugige, breitschultrige Schwede steht neben dem schlanken, gebräunten Castilier, der lombardische Flüchtling neben dem früheren russischen Kriegsschiffmatrosen, den eine Desertion hierher führte, um ein beschwerliches Leben mit einem anderen nicht minder beschwerlichen zu vertauschen. Und gar Deutschlands verlorene Kinder, wie reich sind dieselben in diesen Compagnien vertreten. Von allen unseren einunddreißig oder zweiunddreißig verschiedenen Vaterländern wird man sicherlich mehrere würdige Repräsentanten hier finden. Altbaiern und Pommern, Pfälzer und Mecklenburger, Schwaben und Schlesier, in bester Eintracht stehen sie beisammen, unter der Trikolor-Fahne Frankreichs. Die Meisten dieser Grenadiere haben bereits in verschiedenen Heeren gedient und gar manche blutige Kämpfe mit durchgefochten, bevor ihr wechselvolles Leben sie hierher in die entlegensten Theile von Algerien führte. Der Eine kam vielleicht aus den holländischen Kolonien in Ostindien und hatte schon so und so viel Jahre den Gift getränkten Waffen der Malayen gegenüber gestanden, sein Nebenmann von Ungarns blutigen Schlachtfeldern, der von den Schleswig-Holstein’schen Feldzügen, der Vierte aus Nordamerika, wo er die mexikanischen Kriege mitgeschlagen, Jener aus Sicilien, sein Kamerad neben ihm aus Baden, während die furchtbaren Narben des Flügelmannes von tscherkessischen Klingen im Kaukasus herrührten, gegen die er als polnischer Soldat des Czaren mehrere Jahre gezwungen gefochten, bis ihm seine gefahrvolle Desertion endlich glückte, ein englischer Kauffahrer am schwarzen Meere ihn aufnahm und er so endlich nach wechselvollen Schicksalen hierher in die Fremdenlegion verschlagen ward. Oft als erbitterte Feinde hatten früher manche dieser Grenadiere, die jetzt friedlich in den Reihen neben einander standen, schon gekämpft.
Der Merkwürdigste aller dieser wilden Kerle der Grenadier-Compagnie, unter deren Eskorte ich mehrere Tage mit marschirte, war aber unbedingt ihr erster Tambour, Jean Piccolo, oder „Jean le Petit“ oder „dee lutje Hanns“ oder „Hanns Dumling“ oder „Rothhans“ oder „Jovanuo Pocco-Poccissimo“ und Gott weiß, wie noch weiter genannt. Wahrlich, dieser Tambour war ein Original, wie man es so leicht nicht wieder auf dieser ganzen großen, weiten Welt finden wird. Zuerst schon sein Aeußeres, was unbedingt Aufsehen erregen mußte. Der ganze Kerl war kaum fünf Fuß hoch, dabei aber von solcher Breite in der Brust und über die Schultern, wie ich nur selten den größten Mann gesehen habe. Auf diesem breiten Brustkasten saß ein ganz kurzer aber dafür sehr dicker Hals und auf diesem wieder ein Kopf, dessen Proportionen kaum für einen 61/2 schuhigen Riesen gepaßt haben würden. Ein ungeheurer Wulst von brandrothen Haars bedeckte diesen großen, dabei seltsam geformten Kopf, wie auch ein langer, fuchsrother, sehr ungepflegter Bart bis weit auf die Brust darniederhing. Pflegte aber „Jean Piccolo“, so ward der Tambour doch am Meisten genannt, und stand auch, irre ich nicht, mit diesem Namen in den Compagnielisten eingetragen, seinen Kinnbart gar nicht, und hatte gewiß seit Monden weder Scheere noch Kamm den üppigen Haarwuchs desselben berührt, so verwandte er dafür desto größere Sorgfalt auf seinen Schnurrbart. Von großer Länge und ebenfalls brandrother Farbe, starrten die beiden Spitzen desselben gleich einem Paar Spießen auf beiden Seiten des Gesichtes weit ab in die Luft. Möglichst fest dieselben zusammenzudrehen und mit Pech oder Honig festzukleben, war mit eine der Hauptsorgen von Jean, die er jeden Morgen im Bivouak getreulich erfüllte, wenn ihm seine Toilette sonst auch sehr wenig Zeit in Anspruch nahm, und er seinen tief innern Abscheu gegen das Wasser auch so weit ausdehnte, daß er sein Gesicht möglichst selten in Berührung mit demselben brachte. Dies Gesicht, soweit man es vor dem Haarwuchs, der es von allen Seiten umzottelte, sehen konnte, hatte aber sonst einen so merkwürdigen Ausdruck, daß leider meine Feder, nicht genugsam ausreichend ist, denselben in seiner ganzen vollen Pracht zu beschreiben. Die Farbe desselben war dunkelbraun gebrannt von den Strahlen der afrikanischen Sonne, unter deren Glut Jean Piccolo nun schon manches Jahr seine Trommelschlägel rührte, brennend roth und glänzend wie der feurigste Rubin hingegen die breitgequetschte Nase. Wie manches Litre von dem dunkelrothen Wein der Provence oder von starkem Eau de vie war auch schon durch Jeans ewig durstige Kehle hinunter geglitten, bis seine Nase in so brennend rothen Farben sich schattirte. Zwei kleine, blaugraue Augen, die tief unter rothborstigen Augenbrauen versteckt lagen, zwickerten mit listigen Blicken
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage ohne Komma
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_577.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)