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Seite:Die Gartenlaube (1854) 437.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

großartig und glänzend geschildert, so daß der Tourist hier eben so wohlfeile, als ergiebige Tage haben würde. Mit dieser Gastfreundschaft hängt eine allseitige Offenheit der Herzen und Häuser zusammen. Letztere sind blos des Nachts durch hölzerne Bretter geschlossen, am Tage aber mit allem Familienleben und Beschäftigungen im Innern ganz offen gegen die Straße, die alle sehr eng sind in der Tartarenhauptstadt Baktschi Seria, so daß sie sich in jeder Beziehung von den langen, weiten Straßen und geschlossenen Häusern russischer Städte als ganz charakteristisch unterscheidet. Sie haben keine Geheimnisse vor der Welt. Den Häusern entsprechen die Herzen. Jeder, der da kommt, ist willkommen in Wort und That. Baktschi Seria ist ganz tartarisch geblieben. Die russische Regierung hat es für gut gehalten, ihnen ihre häusliche and sociale Eigenthümlichkeit zu lassen. Außer einigen russischen Beamten, deutschen Malern und Schmieden aus der Zigeunerraçe ist Alles tartarisch. Trotz ihrer breiten Backenknochen, schiefen Augen und gelblichen Farbe sind sie ein schöner, nobler Menschenschlag, dessen Stolz und Männlichkeit noch durch malerische Tracht gehoben wird. Dies malerische Element tritt besonders am weiblichen Geschlechte hervor, das durchaus nicht so verschlossen und niedrig gehalten wird, wie bei den rechtgläubigen Muselmanns. Der Tartar hält sich in der Regel auch blos eine Frau. Das Malerisch-Schöne in Tracht, Haltung, Bewegung und Volksleben zeichnet überhaupt mehrere orientalische Volksklassen ganz vortheilhaft vor unserer westlichen Civilisation aus. Wir hängen ein schönes Gemälde an die Wand, todt auf Leinwand. Das serbische, wallachische, tartarische Mädchen ist dieses Kunstwerk in voller, frischer Lebendigkeit, von Fleisch und Blut, mit natürlichen Blumen im üppig wallenden Haar, mit bunten Bändern und Farben in kleidsamer Tracht und künstlerischer Grazie in ihren feurigen Tänzen aus Instinkt, aus naivem, eingeborenem Schönheitsgefühl. Unter solchen Umständen braucht man keine Schönheit in Oel auf Leinwand an der Wand. Wir brauchen sie freilich um so nöthiger um uns her, da die Kunst, das Schöne in und an uns fehlt. Mit unserm schwarzen Leibrocke, unserm schwarzen Hute und weißen Vatermördern passen wir weder als Gäste auf den Olymp, noch zu olympischen Spielen. Unsere Damen in Seide bis auf die Zehen und mit der Wespentaille können höchstens vornehm rauschen mit dem eigenthümlichen Gesäusel der Seide und auf dünnen Sohlen schweben.

Die Südküste und Städte der Krimm daselbst sind das Italien, die Badeörter des vornehmen Rußland. Die Engländer sahen sie sogar dies Jahr durch Fernröhre am Gestade sitzen und lachen, und Kinder spielen mit Muscheln und Steinen, als wüßten sie ganz sicher, daß ihnen Engländer und Franzosen nichts Ernstliches thun wollen. – Viele russische Adelige haben hier ihre Sommerresidenzen zwischen Weinbergen, blühenden Oliven, Orangen und Pommeranzen, schwertragenden Feigen und Citronen. Die Bergkette, welche hier im Angesichte des schwarzen Meeres sich oft bis 4000 Fuß und ganz grade wie eine Wand erhebt, schützt diese Städte und Paläste und die Vegetation gegen alle Nord- und Ostwinde, so daß Sonne und Südwind hier das Land zu dem machen, „wo die Citronen blühn und im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn.“ Es wird hier namentlich ein feuriger, madeiraartiger Wein und selbst Champagner gewonnen und reichlich getrunken, wie denn überhaupt die russischen Starosten hier ungeheure Summen verschwenden sollen, um sich während ihrer Badesaison für ihr Leben im Innern Rußlands möglichst zu entschädigen. Neben den Sommerresidenzen und den Städten erheben sich stolze, prächtige Häuser, in denen sich für Geld alle möglichen Vergnügungen und Ausschweifungen mit orientalischer Pracht und Ueppigkeit bieten.

Von Baktschi Seria ist noch der prächtige, alte Palast des ehemaligen Khans zu erwähnen, mit einem kostbaren Begräbnißplatze voller marmorner Denkmäler, und rührender, oft hochpoetischer Inschriften, welche die Ruhestätten der alten Herrscher und Eroberer bezeichnen. Ein Nachkomme des alten Herrscherhauses lebt noch und wird als ein sehr weiser, gelehrter Herr geschildert, „der die Städte vieler Menschen gesehen und ihren Sinn erkannt,“ wie Homer von Odysseus singt.

Von allen Ortschaften der Krimm ist Sebastopol der ungemüthlichste. Weit um die Stadt her sind alle Bäume niedergehauen, damit sie keinem nahenden Feinde Schutz gewähren, und überall Mauern und Wälle und Burgen von weichen Kalksteinen errichtet, welche gerade durch ihre Weichheit dem Werke der Kanonen am Härtesten trotzen können, da sie die Kugeln in ihrer Kraft allseitig lähmen, während harte Gegenstände dies nur in gerader Linie können. So viel man hörte, war die Expedition der englisch-französischen Flotte auch nicht auf Sebastopol direkt, sondern auf Balaklava mit einem guten Hafen, wo die reizende Südküste beginnt, abgesehen. Balaklava steht mit Sebastopol durch eine Landstraße zwischen Gebirgen in Verbindung.

Diese Notizen über die Krimm sollen blos als vorläufige gelten. Vielleicht bekommen wir bald genauere, die unter Anderm auch die Namen, die man an verschiedenen Orten noch sehr abweichend geschrieben und gedruckt findet, mehr feststellen werden. Die hier gebrauchte Schreibweise schließt sich an die englische an.




Aus der Menschenheimath.
Briefe des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Sechsundzwanzigster Brief.
Das Mikroskop in der Haushaltung.
2. Wolle und Seide.


Um uns zu kleiden, vereinigen sich mit der Baumwollenstaude und dem Lein zwei Thiere, die Seidenraupe und das Schaaf; also Thierreich und Pflanzenreich tragen wenigstens für die europäische Menschheit so ziemlich gleich viel bei, deren Blöße zu decken.

Die Zweckmäßigkeitsgläubigen, welche so anmaßend sind, überall die Natur im Dienste der Menschheit arbeiten zu lassen, finden eine willkommene Nahrung ihres Glaubens durch die Seide. Warum, wozu ist denn den Insekten ihre so wunderbare Verwandlung eigen? Nun, wozu denn anders, als um „den Herrn der Schöpfung“ in Sammet und Seide zu kleiden! Denn kröche der kleine Schmetterling wie das Hühnchen gleich fertig aus dem Ei, so gäb’ es keine Seide. – Freilich denken diese Zweckmäßigkeitstheoretiker daran nicht, daß uns die Geologie und die Versteinerungskunde lehren, daß die Insektenwelt viele Jahrtausende früher auf der Schaubühne des Lebens erschien, als der Mensch. Innere gesetzmäßige Nothwendigkeit gestaltete das Insektenleben gerade so wie es ist, und wir dürfen kaum hoffen, über diesen Nothwendigkeitszusammenhang etwas zu ergründen. Es ist so, wie es ist, und wir machen dabei den Gewinn der Seide. Das sei uns vorläufig genug. Ich sage vorläufig, damit Du nicht etwa glaubest, ich wolle der Wissenschaft hier ihr Forschungsrecht beschränken.

Wenn die Baumwolle und der Flachs aus jenen oft über zolllangen, aber doch immer noch verhältnißmäßig kurz zu nennenden feinen fadenförmigen Zellen besteht, welche wir im Gespinnst tausendfach an- und nebeneinander legen, so ist der Coconfaden eben ein einziger Faden von über 1000 Fuß Länge. Das allein schon bedingt zwei wichtige Eigenschaften des Seidengarns vor dem Flachs- und Baumwollengarne: seinen Glanz und seine Festigkeit. In einem fußlangen Faden Nähseide hast Du vielleicht nur einige wenige Enden der zahlreichen einzelnen Coconfäden, an denen er zusammengedreht ist; in einem gleich langen Flachs- oder Baumwollenfaden dagegen würden wir Tausende von Enden, die der einzelnen Zellen, finden. Du begreifst, wie hierdurch die Seide glänzender und fester sein muß. Ein Faden aus hundert Drähten zusammen angesetzt muß, wenn diese hundert Drähte ununterbrochene Fasern sind, nothwendig viel fester sein, als wenn diese Drähte vielfältig an einander angefügte kurze Fasern sind. Darauf beruht, um diesen freilich kaum nöthigen Beweis einzuschalten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_437.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)