verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
|
gewandelt. Die kräftigen Beißzangen, womit die Raupe die Maulbeerblätter zerschrotete, sind in die hohle spiralig auf- und abrollbare Saugzunge umgewandelt, mit der der Schmetterling den süßen Saft aus dem untersten Grunde der Blüthen herauspumpt, der nun seine einzige Nahrung ist. Aus dem im hellen Sonnenschein mit unersättlicher Gefräßigkeit in seinen Eingeweiden das Maulbeerlaub in Seide verwandelnden Wurme, ist der lichtscheue Vogel geworden, der wie eine olympische Göttin nur tropfenweise den süßen Nektar nippt.
Sieh unsere erste Figur an. Die große Seejungfer (Aeschna grandis) demaskirt sich eben. Die Puppe, die uns Figur 9 des vorigen Briefes[1] gezeigt hat, verließ das Wasser, um nimmer wieder dahin zurückzukehren. Sie klammerte sich mit den spitzen Klauen ihrer sechs Beine fest an einem Grashalm am Rande des Wassers an. Sie war schon nicht mehr Puppe; es war fast blos die Puppenhaut, die sich so zu ihrer eigenen Vernichtung befestigte. Ueber dem Rücken platzte sie und nun zieht die ihrer Erlösung zueilende Libelle ihre Beine aus den Beinfutteralen. Kopf und Brust ist schon frei und eben zieht sie, wie der Taschenspieler ein großes Tuch aus einem Eie ihre großen zusammengeknitterten Flügel aus den Flügelfutteralen der Puppenhaut. Nach wenigen Minuten sind sie straff und fest und nun fliegt das kräftige Thier im schnarrenden Fluge hinaus in die warme Sommerluft, um Beute, Verwandte ihrer eigenen Klasse, zu erhaschen. Suchen wir jetzt – es ist gerade die Zeit dazu – an den Uferpflanzen an Teichen und Gräben nach den abgestreiften Puppenhäuten der Libellen; sie sehen täuschend wie zur Ruhe dasitzende Thiere aus; wenn Du sie aber abnehmen willst, so zerbrechen die hohlen Gespenster leicht unter dem leisen Druck der Finger.
Die Wespe, Fig. 3, kehrte eben mit vollen Backen von Bretterwänden und Barrieren heim. Sieh Dir die Latten Deines Gartenstaketes an und Du wirst bemerken, daß Wind und Wetter, Regen und Schnee die glatte gelbliche Oberfläche des neuen Holzes in eine graue zottige verwandelt hat. Diese feinen grauen Zotten sind die durch die Verwitterung sich ablösenden Holzzellen und diese sind wieder das Baumaterial des bekannten grauen löschpapiernen Wespennestes. Die Wespe geht gleich nach ihrem Ausschlüpfen aus der Puppenhülle an ihr Hauptgeschäft, an die Erbauung ihres schönen vielzelligen Familienhauses, worin sie ihre Kinder erzieht. Ueberhaupt ist die Sorge für die Nachkommenschaft die Hauptaufgabe, ja bei vielen fast die einzige Thätigkeit des Insektenlebens im Fliegenzustande. Manche Insektenarten nehmen als vollkommene Insekten nicht einmal Nahrung zu sich. Sie kriechen aus der Puppenhaut, legen Eier und – sterben. Für sie lag Genuß und Freude blos in dem Larvenzustande.
Die große Heuschrecke, Fig. 4, wendet weniger Mühe an. Sie legt ihre Eier in eingehüllten Klumpen [2] in Erdlöcher, die sie mit ihrer Legscheide bohrt, die ihr auch dient, zwischen ihren zwei Klappen die Eier hinabgleiten zu lassen.
Der kleine, zierliche Schmetterling, Fig. 2, ist der mächtige Mahner, im Sommer nicht durch den Undank der Vergessenheit unseren treuen Winterpelzen zu lohnen. Es ist die Pelzmotte, deren Bild ich Dir in einem früheren Briefe versprochen habe. Wenn er Abends um die Flamme Deiner Lampe schwirrt, so vergiß nicht, Deinen Pelz vor ihm zu sichern, denn er ist dann bereit, ihm seine unsichtbar kleinen Eierchen aufzuhängen.
So habe ich Dir denn in sechs langen Briefen von der Insektenverwandlung erzählt. Das Mitgetheilte ist nur ein Tropfen aus diesem Meere von Wundern. Vielleicht reicht es aber aus, Dich zu befähigen, wenigstens anzuregen, selbst Mehr zu finden. „Suchet, so werdet ihr finden“ ist auch hier ein Aufruf, der den ihm Folgenden reichlich mit erhebenden Freuden belohnt.
Wie die Patagonier heirathen. Kapitain Bourne, ward, als er auf einer Reise nach Californien mit einigen Begleitern an der patagonischen Küste an’s Land stieg, um von den Eingeborenen Lebensmittel einzutauschen, von diesem wilden und hinterlistigen Volke auf verrätherische Weise gefangen zurückbehalten, um später gegen ein hohes Lösegeld an Taback, Rum und dergleichen wieder freigelassen zu werden. Seinen Begleitern gelang es noch rechtzeitig zu entrinnen, während Kapitain Bourne, dessen Schiff durch einen mittlerweile eingetretenen Sturm von der Küste hinweggetrieben ward und demzufolge seine Auslösung nicht bewirken konnte, über drei Monate in dieser furchtbaren und mit den entsetzlichsten Beschwerden und Entbehrungen verknüpften Gefangenschaft verharren mußte, aus welcher er sich endlich nur mit List und Lebensgefahr rettete.
Wir heben aus dem höchst interessanten Berichte, welchen Capitain Bourne über seine Erlebnisse und Beobachtungen unter diesem abscheulichen Volke veröffentlicht hat, das aus, was er über die Art und Weise sagt, wie dort bei dem Abschluß von Heirathen verfahren wird.
„Ich erfuhr“ – erzählt er – „daß ohne Einwilligung des Häuptlings sich keiner verheirathen durfte und daß kein Indianer, der nicht ein gewandter Jäger und ausgefeimter Dieb und folglich im Stande war, vollauf Fleisch und Fett herbeizuschaffen, für einen richtigen Mann angesehen ward, der auch wirklich eine Frau ernähren könne.
„Während es aber mit den Voraussetzungen zum Heirathen so genau genommen wird, findet bei dem Abschluß der Heirath selbst fast gar keine Feierlichkeit statt. Sobald der Häuptling seine Einwilligung gegeben, nimmt der Bräutigam die Braut ohne weitere Umstände oder Festlichkeiten mit in seine Hütte. Ein Mal jedoch war ich Zeuge einer Vermählung, die von einigen ungewöhnlichen Ceremonien begleitet war.
„Eines Abends nämlich befanden sich der Häuptling, seine vier Weiber, zwei Töchter, eine kleine Enkelin und ich in der Hütte umhergestreut und in einen Rauch von ungewöhnlicher Stärke und Dichtigkeit eingehüllt. Während die andern ganz unbefangen wie eben so viele Speckseiten umhersaßen, lag ich auf dem Leibe, mit dem Gesicht dicht am Boden und den Kopf mit einem Stück Guanacofell bedeckt – die einzige Position, in welcher es möglich war, sich einigermaßen vor dem erstickenden Rauche zu schützen. Während ich so dalag, glaubte ich draußen viele Fußtritte und ein verworrenes Murmeln zu vernehmen, als ob eine Menge Indianer mit einander sprächen. Gleich darauf ließ sich an der Vorderseite der Hütte eine heisere Stimme vernehmen, die offenbar an eine der in der Hütte befindlichen Personen gerichtet war und auf welche der Häuptling sofort antwortete. Ich erhaschte einige Worte, welche hinreichten, mich zu überzeugen, daß ich nicht der Gegenstand des Gesprächs war, sondern daß es sich vielmehr um eine Dame handelte.
„Das Gespräch ward immer lebhafter und der Gleichmuth des Häuptlings schien etwas wankend zu werden. Ich warf einen durchdringenden Blick in dem Rauch auf die weiblichen Mitglieder unseres Haushaltes, um wo möglich zu erspähen, ob eins davon besonders dabei interessirt sei. Ein einziger Blick genügte, denn ich sah, daß die eine Tochter des Häuptlings, welche, beiläufig gesagt, Wittwe mit einem Kinde war, dem Gespräch mit unverkennbarer Spannung zuhörte. Ihre Mutter saß neben ihr und hielt mit besorgter und nachdenklicher Miene das Kinn auf die Hand gestützt. Der unsichtbare Sprecher draußen war, wie sich bald zeigte, ein schon mehrmals abgewiesener Bewerber um die Tochter und jetzt mit seinen Freunden abermals gekommen, um sein Gesuch zu betreiben. Die Beredsamkeit, die er dabei aufbot, war, wenn auch nicht klassisch, doch sehr angelegentlich, wiewohl von wenig Erfolg. Der Häuptling entgegnete ihm, er sei ein armer, nichtsnutziger Gesell, der keine Pferde habe und deshalb weder sein noch sonst Jemandes Schwiegersohn werden könne.
„Der Freier draußen ließ sich indessen nicht so leicht abweisen, sondern begann seine Bewerbung mit neuem Eifer, indem er versicherte, daß sein Mangel an Pferden seinen Grund in dem Mangel an Gelegenheit, aber nicht in dem Mangel an gutem Willen habe. Dabei rühmte er sich, ein so gewandter Dieb und Jäger zu sein, wie nur je einer einen Lasso geschwungen habe und versicherte, daß es seiner Frau niemals an Fett mangeln solle. Der unerbittliche Häuptling gerieth hierüber in bedeutende Aufregung, sagte ihm, er sei ein armer Teufel und möge sich nur seiner Wege packen, denn er wolle nichts mehr davon hören.
„Der Freier wendete sich nun an die Schöne selbst, bat sie, seinem Gesuch Gehör zu schenken und versicherte auch ihr nochmals mit besonderem Nachdruck, daß es ihr, wenn sie ihn mit ihrer Hand beglückte, niemals an Fett fehlen solle. Dieses letzte Argument schien einen unwiderstehlichen Eindruck auf sie zu machen und sie bat ihren Vater, seine Einwilligung nicht länger zu versagen. Dieser aber, welcher diese Appellation von seiner Entscheidung an eine untergeordnete Instanz sehr übel zu vermerken schien, gerieth in die größte Wuth und ergoß sich in einen Strom von Schmähungen.
„Hier mischte sich die Mutter ein und bat ihn, gegen die jungen Leute freundlicher und nachgiebiger zu sein. Dabei gab sie sogar zu verstehen, daß er dem jungen Manne vielleicht Unrecht gethan habe und daß dieser es auch noch bis zum Pferdebesitzer, ja vielleicht sogar bis zum Häuptling bringen könne. Bis jetzt hatte der Alte sich nach seiner Art immer noch gemäßigt, aber dies war zu viel. Seine Wuth kannte nun keine Grenzen mehr. Er sprang auf, packte die Wiege mit sammt dem darinliegenden Kinde seiner Tochter, schleuderte sie heftig zur Thür hinaus, und die übrigen seiner Tochter angehörigen Habseligkeiten flogen eine nach der andern rasch hinterdrein. Hierauf befahl er ihr, sich augenblicklich ebenfalls zu packen, mit welchem Segen sie sich lächelnd entfernte, ihre umhergestreuten Sachen zusammenlas und dann in Begleitung ihrer Mutter so wie ihres Freiers und seiner Freunde verschwand.
„Der Häuptling setzte sich auf sein Lager von Roßhäuten, schlug die Beine unter und machte ein ziemlich mürrisches Gesicht. Es dauerte nicht lange, so kam die Braut mit ihrer Mutter wieder und nun begann der zweite Aufzug. Der Häuptling erkannte sie nicht sobald, als ein immer stärker werdender grunzender Ton einen neuen Ausbruch verkündete, bis plötzlich seine Wuth sich auf das Haupt seines Weibes entlud. Sie bei
- ↑ Gartenlaube Nr. 15. 23. Brief.
- ↑ Gartenlaube Nr. 15. Brief 21. Fig. 2.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_367.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)