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Seite:Die Gartenlaube (1854) 365.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Ich wirke nur in den größern Theatern“, sagte er mir, „und erhalte von der betreffenden Direktion eine gewisse Anzahl von Parterre-Freibillets, von denen gebe ich vier bis fünf an meine Leute ab, mit denen ich Alles genau einstudirt und probirt. Die übrigen Billets, ungefähr dreißig an der Zahl, verkaufe ich für die Hälfte oder zwei Drittheilen des gewöhnlichen Preises unter der Bedingung, daß mir die Käufer für diesen Abschlag, der ihnen zu Gute kommt, ihre Hände und auch bisweilen ihre Kehlen zur Verfügung stellen. Jedem Einzelnen wird eingeprägt, daß er streng unserem Beispiele zu folgen habe. Auf diese Weise werbe ich meine Armee, besolde ich sie und zugleich mich. Wenn ich manches Geschenk der Künstler mitzähle, gewinne ich durch mein Talent mehr denn 40,000 Franken jährlich und stehe noch nebstbei mit den ausgezeichnetsten Leuten Frankreichs in fortwährender Verbindung, die, wie sie ann meinen Autographen sehen werden, keine geringe Wichtigkeit auf meine Verdienste legen. Ohne mir zu schmeicheln, darf ich sagen, daß es noch Niemand in dem Fache so weit gebracht, wie ich. So z. B. bin ich Erfinder des Lachens.“

„Was wollen Sie damit sagen? Ich denke, die Welt, und besonders Frankreich, hat lange vor Ihnen gelacht“, erlaubte ich mir zu bemerken.

„Es ist begreiflich, daß Sie das nicht verstehen. Sie sind ein Fremder und stehen meinem Berufe fern. Früher, vor meinem Auftreten, hat die Claque blos in die Hände geklatscht und hie und da Bravo gerufen, im Lustspiel wie im Trauerspiel, das blieb sich gleich, als ob man so verschiedenartige Dinge auf eine gleiche Weise behandeln könnte. Ich fühlte lebhaft das Mangelhafte der Methode, ob ich gleich erst durch langes Nachdenken und mit der Zeit zu dem geeigneten Mittel der Verbesserung und Abhülfe gelangte. Ich ging von dem Grundsatze aus, daß, da Komisches und Tragisches verschiedene Wirkungen hervorbringen, diesen Wirkungen auf verschiedene Weise nachgeholfen werden muß. Kurz, ich erfand für das Lustspiel das „Verlachen,“ und es hat sich als ungemein vortheilhaft erwiesen. Nichts ist so ansteckend, wie schon die allgemeine Erfahrung lehrt, als Lachen; kommt also nur eine halbwegs komische Wendung oder Situation in einer Komödie vor, so lachen wir und können mit Gewißheit darauf zählen, daß uns das Publikum nachlacht. Was kann einem Lustspiel Besseres widerfahren, was seinen Erfolg begründet?“

Ich sah den Sprecher mit jener tiefen Ueberzeugung von seiner Vorzüglichkeit verwundert an. Diese redliche Ueberschätzung seiner selbst und seiner Lebensaufgabe dünkte mir eben so rührend wie lächerlich. Anziehend fand ich aber an dem Manne, daß er so ganz und gar so ausschließlich von seinem Berufe erfüllt war.

Seine Gedanken traten niemals aus dem Kreise seiner Beschäftigung und der Interessen, die sich an sie knüpften, heraus. Das Parterre war seine Welt und die ganze Welt schrumpfte vor ihm in ein Parterre zusammen. Hier fand er alle Aufregung und Befriedigung, alle Widerwärtigkeit und alles Glück, von da kam ihm alle Hoffnung und aller Unmuth. Hier fand sein Ehrgeiz mehr als hinreichenden Raum für sein Suchen und Treiben. Kurz, er war mit Leib und Seele Chef der Claqueurs. Als ich den Mann in seiner Wohnung besuchte, fand ich die eigenthümlichste Haushaltung; überall trat mir eine gesuchte theuer gekaufte Eleganz mit Unordnung und Vernachlässigung im Kampfe entgegen. Möbel mit reichen bunten Stoffen überzogen, waren beschmutzt und verschossen; ein Teppich auf dem Boden, den Niemand eine glänzende Vergangenheit abzusprechen vermocht hätte, war stellenweise durch Tinten- und andere Flecken verunziert. An den Wänden hingen Bilder berühmter Dramatiker in goldenen Rahmen, die stark beschädigt und von den Fliegen unanständig mißhandelt waren. Auf einem großen Spiegel, ebenfalls in goldenem Rahmen, lag, besondern in der höhern Region beträchtlich viel Staub; auch war das Glas sonst noch getrübt. Bücher, Zeitungen und Kleidungsstücke lagen durcheinander gemischt umher. Die Vorhänge, mit Spitzen besetzt, sahen statt weiß, grau aus, so arg waren sie von der Zeit heimgesucht, und so wenig wurden sie rein gehalten. Madame Porcher und ihre zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, von ungefähr 4 und 5 Jahren, trugen dasselbe Gepräge wie die Wohnstube an sich. Die Kinder waren schlecht gewaschen und aßen als ich kam aus Tellern, die auf Stühle gesetzt waren, Milchreis mit den Händen. Die Hausfrau trug zwar ein schwarzes Seidenkleid, allein ihre Haare hatten sichtlich diesen Tag noch keine Pflege erhalten und befanden sich in völliger Anarchie und als Fußbekleidung dienten ihr alte vertretene Schuhe und Strümpfe, welche mancher Ausbesserung bedurft hätten. Madame Porcher war eine Frau tief in den Dreißigen, von gestreckter Gestalt, im Gesichte noch manchen verschonten Ueberrest verblühter Schönheit. In ihrem Benehmen zeigte sich dieselbe Mischung, wie im ganzen Haushalt von affektirter Weltmanier mit ordinären Formen, welche auf eine späte und falsche Erziehung schließen ließ.

Herr Porcher, der mit Schreiben beschäftigt war, nahm mich sehr freundlich auf und lud mich ein auf einem Lehnstuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen, und als ich der Einladung gefolgt war, sprach er: „Er ist gar nicht übel, der Fauteuil, auf welchem Sie da sitzen; wenigstens braucht man sich seiner nicht zu schämen; denn er hat gewiß wenig Kameraden, die solche Leute getragen, wie er. Es sind keine drei Monate her, saß mir mein Freund Meyerbeer wie Sie jetzt gegenüber, nur um Vieles ängstlicher.“

„Warum ängstlich?“ frug ich.

„Wenn diese Herren zu mir kommen,“ meinte Herr Porcher, „haben sie alle Angst, nur daß es ihnen mein Freund Meyerbeer allen zuvorthut. Es war vor der Aufführung des Propheten. Porcher, sagte er zu mir, ich zähle auf Sie.“

„Ich werde mein Möglichstes thun, Meister Meyerbeer, gab ich zur Antwort.“

„Mir war noch nie so bange wie dieses Mal,“ sagte er.

„Natürlich, Sie hatten noch nie so viel Ruhm zu verlieren, wie eben jetzt,“ sagte ich.

„Was halten Sie von dem Propheten, mein lieber Porcher, nun da Sie die Generalprobe gehört?“ frug er.

„Der Prophet ist kein Robert, er ist keine Hugenotten. Nichts Diabolisch-Infernalisches, keine Nonnen in sehr leichten Gewändern; kein Sturm von Instrumenten, wilde Chöre mit Chaosscenen; aber er hat seine Schleifer, seinen Einsturz der Kirche und ich hoffe was daraus zu machen, gab ich zur Antwort.“

„Haben Sie schon die Stellen aufgefaßt, mein lieber Porcher, wo Sie Ihren Nachdruck anzuwenden haben?“

„Aufgepaßt und aufgemerkt, Herr Meyerbeer. In die nächste Probe komme ich mit meinen Leuten und wir werden selbst probiren. Sie werden mir dann sagen, ob Sie zufrieden sind.“

„Recht, Porcherchen,“ versetzte Meyerbeer, „ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann, und bin, was Sie betrifft, ganz ruhig.“ Er empfahl sich sehr artig bei meiner Frau, küßte meinen kleinen Charles, der dort in der Ecke spielte, drückte mir freundschaftlich die Hand und ging. Den Tag nach der nächsten Probe des Propheten, wer klopft an meine Thüre und tritt in das Zimmer als ich: „Herein“ rufe? Mein Freund Meyerbeer.“

„Sie sind ein außerordentlicher Mensch,“ sagte er mir gerührt, indem er meine beiden Hände mit der zärtlichsten Innigkeit drückte. Im bescheidensten Tone von der Welt deutet er mir einige Stellen in der Oper an, die von mir vielleicht hervorgehoben werden könnten. So wie ich ihm aber meinen Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieser Zuthat ausdrücke, steht er augenblicklich von seinem „Vorschlage,“ wie er es nannte, ab. Sehen Sie, mein Freund Meyerbeer weiß mein Talent zu schätzen und wie ergeht es ihm auch? Sie kennen wohl den Erfolg des Propheten?“ Ich mußte lächeln.

Nun zeigte mir Herr Porcher mit sichtbarem Stolze die versprochenen Autographen, meist Briefe von erzeugenden und darstellenden Künstlern. Da ich einige dieser Episteln sehr bezeichnend für die pariser Zustände fand, erbat ich mir von dem freundlichen Wirth die Erlaubniß, die merkwürdigsten abschreiben zu dürfen, welche dieser gerne gab. Ich glaube mit der Voraussetzung mich nicht zu täuschen, daß auch der Leser dieser Zeilen diese seltsamen Dokumente mit einigem Interesse aufnehmen werde.

Herr Scribe schreibt an das Haupt der Claqueurs Folgendes:

Paris, den 28. Mai 1830. 
„Lieber Porcher!

„Mein jüngstes Kind, der Abälard und dessen Zukunft, lege ich in Ihre Hände. Ich gebe mir genau von den Schwierigkeiten Rechenschaft, welche die Aufführung dieses Stückes zu überwinden hat. Doch sage ich mir zugleich: Ist Porcher mit Dir, so hast Du nichts zu fürchten! Denn Porcher ist ein Erfolg. Porcher gleicht Alles aus, die Schwächen des Talentes, die Ungunst der Verhältnisse. Porcher kann Wunder thun, wenn Wunder nöthig sind. Ich werde Ihnen für den unschätzbaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_365.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)