verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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No. 28. | 1854. |
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Louisen’s jugendliche Kraft besiegte bald die von der Krankheit zurückgelassene Schwäche, und nach zwölf Tagen schon betrat sie an der Hand des Doctors Friedland das gemeinschaftliche Wohnzimmer, in welchem sich Joseph mit seiner vierjährigen Tochter befand. Die junge Frau hatte eine reizende Toilette gemacht, und die blonden Locken, die unter einem feinen, weißen Morgenhäubchen herabquollen, beschatteten die zarten Wangen, auf denen sich der erste Purpur der Gesundheit zeigte.
„Die vom Tode zum Leben Erstandene!“ rief fröhlich der Doctor, indem er die Gattin dem Gatten zuführte. „Hier ist sie, möge sie Ihnen der Himmel noch lange erhalten!“
„Dank, Dank, Doctor!“ rief Joseph.
Und nassen Blicks schloß er die vor Freude zitternde Frau in seine Arme.
„Joseph,“ flüsterte sie zärtlich, „Du hast meinetwegen viel gelitten! Ach,“ fügte sie hinzu, und schlang ihren Arm um seineb Hals, „aber auch ich habe gelitten, wenn ich an Deinen Schmerz dachte. Wie oft bat ich den Himmel, daß er mich Dir und unserm Kinde erhalten möge – er hat mein Gebet erhört, und mir in diesem braven Freunde einen Retter gesandt. Joseph, unser Glück soll noch nicht zu Ende sein!“
Des guten Joseph’s Glück läßt sich nicht beschreiben. Er umschlang Weib und Kind, und sandte einen dankenden Blick zum Himmel.
„Wenn die Liebe so rein ist,“ dachte er, „kann der Argwohn sie nur beflecken. Für diese so frische Seele, für diese so zarte Blume kann ein Flecken nur der Tod sein!“
Zum ersten Male wieder nahmen sie zusammen das Frühstück ein, bei dem der Doctor als Gast blieb. Er schied mit der vollen Ueberzeugung, daß Louise in jeder Beziehung genesen sei.
Dieser hohe Festtag war ein Sonntag, weder die Börse noch andere Geschäfte nahmen die Thätigkeit des Kaufherrn in Anspruch, und die beiden Gatten verbrachten ihn mit einander in stillem Glücke. Der Zufall wirft in das eheliche Leben zuweilen einige vollkommen glückliche Tage, die sich weder an die Befangenheit noch an die Zukunft knüpfen. Leider sind dies nur seltene, schnell verblühende Blumen! Ein solcher ward den beiden Gatten mit allen seinen Wonnen zu Theil, und sie schwelgten in dem Genusse derselben, als ob sie geahnt hätten, daß es der letzte ihrer Liebe sei.
Julius setzte seine Besuche fort, aber er wählte Anfangs absichtlich die Zeit, von der er wußte, daß sie Louise bei ihrem Gatten verbrachte. Sie war heiter und stets dieselbe gegen den Freund ihres Gatten wie früher, aber um so gefährlicher für ihn, da sie nach der Krankheit schöner und verführerischer geworden zu sein schien. Joseph theilte die Ansicht des Arztes, daß die Kranke in wilden Fieberphantasien von Dingen geredet habe, die sie mit Furcht und Schrecken erfüllten. Die Wirklichkeit lieferte auch nicht den kleinsten Beweis von einer Schwäche oder sträflichen Verirrung. Und somit war das alte glückliche Verhältniß zwischen den beiden Gatten nicht nur wiederhergestellt, es schien selbst, als ob nach diesem Sturme ihre Liebe noch größer geworden sei.
Eines Abends befand sich Louise mit ihrer Kammerfrau allein in dem Schlafzimmer. „Meta“, sagte die junge Frau in sichtlicher Verlegenheit, „ich habe lange schon nach einem kleinen Pakete mit Briefen gesucht – es liegt mir viel daran, ich kann es nirgends finden.“
„Sprechen Sie von einem Pakete, das Briefe zu enthalten schien und mit einem hellblauen Seidenbande umschlungen war?“
„Ganz recht“, rief Louise eifrig. „Wo haben Sie es gesehen?“
„Als Sie krank waren, Madame, riefen Sie mich mitten in der Nacht an Ihr Bett; Sie zogen dieses Paket unter dem Kopfkissen hervor, und befahlen mir, es zu verbrennen. Ich führte den Befehl aus, und warf das Papier in den Ofen.“
„Dessen erinnern Sie sich genau?“
„O gewiß, Madame!“ betheuerte die alte Frau, indem sie Louise mit treuherzigen Blicken ansah. „Sie waren in jener Nacht recht krank – die Papiere haben doch wohl keinen Werth –?“
„Nein, nein! Es genügt mir, wenn ich weiß, wohin sie gekommen sind.“
„Verlassen Sie sich darauf, Madame, sie sind für immer verschwunden.“
Diese Versicherung beruhigte Louise; sie ließ sich entkleiden, und ging heiter zu Bett. Meta sah, wie sie die Hände faltete und ein Gebet flüsterte.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß die Kammerfrau heimlich Anweisung erhalten hatte, wie sie sich gegen ihre Herrin benehmen sollte. Diese Aussage in Betreff der Papiere war eine Erfindung des Doctor Friedland, der dadurch eine Verletzung des Zartgefühls Louise’s vermeiden wollte. Mit der Genesung sollte ein neues Leben beginnen und die Vergangenheit völlig vergessen sein. Die Angriffe des Advokaten glaubte er verhindern zu können, und zu diesem Zwecke hatte er sich der Kammerfrau versichert, von der er wußte, daß sie die Ueberbringerin der verhängnißvollen Briefe gewesen war.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_321.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)