verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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Präs. Sie haben dem Herrn Cabanot, Studirenden der Medizin, wohnhaft in der Rue Jacob Nr. 7, einen Ueberrock entwendet und dazu die Unverschämtheit gehabt, ihm Folgendes zu schreiben: (liest)
„Gestern Morgens habe ich Ihnen in der freundlichsten Weise einen Besuch abgestattet. Ich fand Sie noch im Bette und Sie begingen die Unhöflichkeit, ruhig weiter zu schlafen, ohne im Geringsten Notiz von meiner Anwesenheit zu nehmen. Sie begreifen, daß ich mir Genugthuung und Ihnen eine Lektion in der guten Lebensart schuldig geworden. Um diese Doppelpflicht zu erfüllen, nahm ich Ihren Ueberrock an mich. Ich hoffe, daß Ihnen dieser Schaden eine Warnung für die Zukunft sein werde, und daß Sie Ihren Besuchen mehr Aufmerksamkeit erweisen werden. Ich setze bei Ihnen so viel Zartgefühl voraus, daß Sie jeden Skandal vermeiden werden, der Ihnen doch nichts nützen würde. Bei Leuten aus guter Familie wie wir, werden alle Dinge mit Anstand abgemacht. Ihr Hausmann frug mich, als ich das Haus verließ, ob ich ein Schneider sei? Da ich Eile hatte, beantwortete ich bejahend die Frage, um eine weitere Auseinandersetzung zu ersparen. Berichtigen Sie diesen Irrthum, damit der Thürhüter besser von mir denke.
Sind Sie der Schreiber dieser Zeilen?
Jac. Es ist meine Handschrift.
Präs. Der Diebstahl ist erwiesen.
Jac. In dem Schreiben ist eine Ansicht ausgesprochen, Herr Präsident, die wohl Berücksichtigung verdient.
Präs. Eine andere Probe Ihrer seltsamen schriftstellerischen Thätigkeit. Es handelt sich um einen Herrn Balard, Handlungsdiener, der Ihnen 25 Franken einhändigte, damit sie dieselben einer Dame seiner Bekanntschaft überreichten, mit welcher er eine persönliche Zusammenkunft vermeiden wollte. (Liest)
„Nichts ist gefährlicher für eine junge Dame, die hinreichend Jugend und Liebenswürdigkeit besitzt, um sich geltend und wünschenswerth zu machen als Geld. Nichts ist so geeignet wie Geld ihrer Würde nahe zu treten und ihr Zartgefühl, theils zu verletzen, theils abzustumpfen. Diese Wahrheit bedachte ich erst, nachdem Sie mir die 25 Franken für Fräulein J… eingehändigt. Ich handelte nach meinem Gewissen, indem ich Ihren Auftrag unausgeführt ließ. Unsere Bildungsstufe und Familie lassen mich hoffen, daß zwischen uns von diesem Gegenstande weiter keine Rede sein werde, da Sie doch durch ein überflüssiges Aufsehn nichts erzielen können, als die Lächerlichkeit.
Jacoteau.“
Es giebt kaum eine sträflichere Weise zu hintergehen.
Jac. Meine Erfahrung bestätigt vollkommen, was ich in dem Briefe ausgesprochen und der besondere Umstand, daß Fräulein J… von dem in dieser Angelegenheit die Rede ist, und deren Charakter ich kennen zu lernen mehrfach Gelegenheit hatte, ohnehin eine übermäßige Neigung zum Geld stets an den Tag gelegt, ist wohl ein Gewicht mehr in der Waagschale, die zu meinen Gunsten neigt.
Der Polizeipräsident liest noch mehrere Briefe in diesem Sinne, mit naiver Sophistik abgefaßt. Die Jury zieht sich zurück und der Spruch lautet auf „Schuldig.“ In Berücksichtigung der Jugend des Angeklagten werden ihm nur zwei Jahre der Verhaftung zugemessen.
Das Publikum geht heiter und doch bestürzt aus dem Sitzungssaal. Man bedauert den Verirrten, aus dem, vermöge seiner Anlagen, ein interessanter Mensch hätte werden können.
Prinz Napoleon Bonaparte, der Cousin des jetzigen Kaisers, Commandeur der französischen Reserve in der Türkei, ist der Sohn Jerome Bonaparte’s und seiner zweiten Frau, der Prinzessin Katharina von Württemberg[WS 1]. Geboren in Triest am 9. Sept. 1822, hörte er bald von dem untergegangenen Glanze seines großen Namens und ward durch Erziehung, Unterricht, Reisen durch Deutschland, Italien, Amerika, England u. s. w., französirte Politik und Umgang mit dem Volke in seiner energischen, feurigen Natur bald zu einem öffentlichen Charakter. – Nach der Februar-Revolution trat er plötzlich, um es kurz zu bezeichnen, als ein blutrother Republikaner auf und ward als solcher in die constituirende Versammlung gewählt. Hier sprach er oft leidenschaftlich als geschworner Feind aller Fürsten, Könige und Kaiser.
Doch vom republikanischen Roth bis zum kaiserlichen Purpur war bei ihm nur ein Schritt, als sein Cousin, der Neffe des Onkels, glücklich Kaiser geworden. Die Zeitungs-Correspondenten verheiratheten ihn schon zweimal, einmal mit einer schönen Tochter der Königin Christine von Spanien, und dann mit einer andern Königstochter, seiner Cousine in Würtemberg. Noch ist er ledig und blos mit einer bedeutenden Stelle im Oriente von seinem Kaiser und Vetter versehen worden. Sein Durst nach Thaten und Ruhm machte ihn zum Bittsteller bei einem Kaiser.
„Wenn die Nation zu den Waffen greift,“ schrieb er an Kaiser Napoleon, „werden Ew. Majestät wohl finden, daß mein Platz nur unter den Soldaten sein darf, und Ich bitte Sie deshalb, unter sie zu treten, damit ich die Rechte und die Ehre Frankreichs vertheidigen helfen kann. Mein Platz ist in der Mitte von Soldaten.“
Sollte darin etwas Prophetisches liegen? Napoleon der Große war auch ein Kind der Republik – „Ein solcher Brief von einem ehemaligen „Blutrothen“ geschrieben, ist keins der geringsten, unter den epigrammatischen Ereignissen der neuesten Geschichte Frankreichs. Daß ein Mann, dessen politische Feindschaft gegen Louis Napoleon um so bittrer war, als sie sich gerade von Blutsverwandtschaft nährte, dessen Republikanismus vom glühendsten Hochroth war, in dessen Augen Königthum als ein nie zu vergebendes Verbrechen erschien, und dessen Ausbrüche in der National-Versammlung selbst die Linksten und die Höchsten des „Berges“ überraschten, daß solch ein Mann seinen Cousin in aller Unterthänigkeit mit „Majestät“ anreden konnte, ist ein eklatanter Beweis der Wahrheit und vielfachen Wirklichkeit des französischen Sprüchwortes: „On ne doit jamais jures de rien“. (Man darf Niemals auf Etwas schwören.“) –
Doch steht er als solche Metamorphose durchaus nicht allein, am Wenigsten in Frankreich. Der Kaiser hat sein Gesuch bewilligt, und wir können vielleicht bald von großen Thaten eines Napoleon in der Türkei hören. Nach Beweisen aus seiner bisherigen Haltung zu schließen, muß man ihn für einen feurigen. energischen Napoleonscharakter halten, von kühnem Ehrgeiz, von Ruhmbegier beseelt, der nicht sehr gewissenhaft in seinen Mitteln sein würde, wenn es gälte, Ruhm und militärische Ehren zu ernten. Er charakterisirt sich durch eine ruh- und rastlose Energie des Strebens nach etwas Großem, seines Schlachten- und Kriegsruhm bedeckten Namens würdigen, das ihm selbst noch nicht recht klar sein mag, und dessen Gestalt zunächst von den Fäden und Fehden des orientalischen Kriegsfatums abhängen wird.
Aus dem Leben Sir Charles Napier’s. Palmerston erzählte beim Festessen, das man dem alten Admiral zum Abschiede gab, folgende Thatsachen aus dem portugiesischen Kriege: „Als unser tapferer Freund hier beim Entern eines portugiesischen Schiffs sich in ein Segel verwickelte und sich anstrengte, aufs Deck des feindlichen Schiffs hinüberzuspringen, rannte ein portugiesischer Offizier mit geschwungenem Messer in voller Hast gegen ihn, um ihn zu durchbohren. Er parirte den Stich, stolperte auf’s Deck und rannte den Offizier mit einem tüchtigen Fußtritte eine steile Cajüttentreppe hinunter.“ – Lord William Russel hörte eines Tages, daß unser Freund Sir Charles Napier sich in die Nähe der Festung Valenza, mehrere Meilen von unserm Hauptquartiere, begeben habe. Russel hatte ihm eine nothwendige Mittheilung zu machen, und so machte er sich auf den Weg, um ihn aufzusuchen. Endlich fand er zwei Menschen, von denen der eine sehr ungeschickt zwei Musketen trug. Er hielt den Andern für eine Art von Robinson, als er ihn aber bei Lichte besah, war es Napier mit einem Soldaten hinter sich.
„Nun Napier, was machen Sie hier?“
„I na, ich will Valenza nehmen.“
„So! Aber Valenza ist eine Festung, mein lieber Karl, die man mit Soldaten und Blutvergießen nehmen muß. Und welche Vorbereitungen gehören dazu!?“
„O, Ich habe nicht Zeit zu Vorbereitungen und Blutvergießen,“ antwortet unser tapferer Freund, „ich habe hier eine von meinen „Blaujacken“ und zwei Musketen mitgenommen, und ich denke so die Festung zu nehmen.“
Und so nahm er sie. Er schickte dem Gouverneur einen Brief und bewies ihm, daß es besser sei, ihm die Festung gutwillig zu geben, ohne guten Willen incommodire es auf beiden Seiten. Der Gouverneur war ein vernünftiger Mann und so sah er das ein und so gab er die Festung dem Napier und dem Marinesoldaten mit zwei Musketen. Nachdem er Valenza sich so gekauft, machte er sie der Königin von Portugal zum Präsent und so hernach auch ganz Portugal.“ Konnte Karlchen mit zwei Musketen eine Festung nehmen, wie viel muß er nun nach der Regel de Tri mit 4000 Kanonen an sich bringen? Er weiß es selbst nicht, weiß er doch selbst nicht, was er morgen thun muß. Er hat für jeden Tag versiegelte Briefe von „zu Hause,“ die er jeden Morgen öffnen muß, um zu sehen, wie Freund Aberdeen auch „heute“ seine Friedens- und Freundesgefühle zeigen will.
Napoleon’s Staatsgrundgesetz für die Franzosen. Napoleon I. sagte einmal bei Tafel zu Lafitte: „Man muß, um die Franzosen zu regieren, Waffen von Eisen und Handschuhe von Sammet tragen.“ Ein neben Madame Lafitte essender Engländer erwiederte darauf, so daß es Napoleon hören konnte: „Ja, das ist richtig, aber er vergaß oft, die Handschuhe anzuziehen.“ Es wurde gefragt, wer der Engländer mit seinem guten Witz und schlechten Französisch sei: „Marquis of Landsowne“ war die Antwort, jetziges Mitglied des Aberdeen-Ministeriums.
Die Lerche. Kein Vogel singt methodischer, musikalischer, als die Lerche. Im Aufsteigen singt sie – vivace crescendo – die Ouverture; in voller Höhe wird sie moderato in kurzen 3–4 mal wiederholten Passagen und in derselben Tonart. Bei starkem Winde erhebt sie sich in Stößen und setzt ihm dann ihre liederreiche Brust entgegen. Bei ruhigem Wetter in Spiralen und fliegt während des Hauptgesanges in horizontalen Cirkeln abwärts und beim Finale in Zickzack. Gewöhnlich hört sie abwärts in der Mitte des Weges auf zu singen und schießt dann rasch und grade herab. Der erste Theil Ihres Gesanges ist brennende Ungeduld, der zweite, andante, ist Phantasie, gefühlvolles Lobsingen der Luft und Erde in der Vogelperspektive, der dritte zeichnet sich durch Piano- Modifikationen des Hauptthemas mit Erinnerungen an die Subdominante am Ende aus. Takt und Noten entsprechen gewöhnlich den Flügelvibrationen. Zuweilen singen sie wohl auch auf der Erde, aber dann nur in Käfigen, wobei sie viel leiden, da ihre ganze lustige, fliegende, elastische Natur dabei verleugnet werden muß. Es sieht fürchterlich aus, Lerchen in Käfigen oft Stunden vergebens gegen die niedrige Decke springen sehen.
Der schottische Mathematiker Johann Craig hat in einem zu London 1699 erschienenen Werke („Theologiae christianae principia mathematica“) nach den Gesetzen der Probabilität genau berechnet, daß die christliche Religion nur noch Jahre existiren könne und nach Verlauf dieser Zeit ihr Ende nehme. Als guter Christ läßt er aber keine andere Religion an ihre Stelle treten, sondern nimmt an, daß kurz vor Ablauf dieser Frist, um dem Untergange des Christenthums vorzubeugen, Christus zum Weltgericht erscheinen werde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Friederike von Würtemberg
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_260.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2018)