Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1854) 203.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 18. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Candidaten-Braut.
Von Amely Boelte.
(Schluß.)

August war während dieser Rede roth und blaß geworden. – „Hat Leonie Ihnen gesagt, daß sie einwilligen würde, sobald ich zurückträte?“ fragte er endlich kalt.

„Das nicht. Aber ich setze es voraus. Sie ist verständig genug, einzusehen, daß ein armes Mädchen, kann sie den Einen nicht bekommen, den sie lieber möchte, den Andern nehmen muß. Und für Sie ist ja noch gar keine Aussicht zu Brot, wohin soll sie also gehen, wenn ich sterbe?“

„Zu mir!“ versetzte August rasch. „Leonie macht keine Ansprüche an ein glänzendes Loos, und meine jetzige Stellung als Privatlehrer liefert mir ein hinreichendes Einkommen, um davon die Bedürfnisse für uns Beide zu bestreiten.“

„Also nicht nur eine Candidatenbraut, auch sogar eine Candidatenfrau! Mein armes, armes Kind!“ Sie wimmerte still vor sich hin.

„Wenn Sie mich beleidigen wollen, so muß ich mich entfernen,“ sagte August, und verließ seinen Platz.

„Nein, nein! Gehen Sie nicht! Ich habe noch mit Ihnen zu reden. Sie nehmen gleich Alles so auf die Spitze, Sie lieber empfindlicher Mensch! Haben Sie doch Nachsicht mit einer sterbenden Mutter, die bekümmert ist um das weltliche Schicksal eines einzigen Kindes. Also Sie wollen sie heirathen? Nun, – wenn es denn nur Jemand ist, der sie nimmt. Schwören Sie mir also denn auf diese Bibel hier, die nie mein Bett verläßt, daß mein Kind binnen vier Wochen Ihre Frau sein soll. Mag sie denn mit Ihnen hungern und darben, gleichviel! Sie ist denn doch eine Frau und ich brauche mich nicht zu fürchten, im Himmel noch die Schande zu erleben, daß mein schönes Kind als unvermählte alte Jungfer auf der Erde lebt. Retten Sie also mir wenigstens meine Mutterehre. Hier ist das heilige Buch, legen Sie Ihre Rechte darauf und wenden Sie den Blick zum Himmel, wo mein seliger Ludwig weilt, der Sie hört. Bedenken Sie das!“

„Würde Ihnen mein Manneswort nicht genügen?“ fragte August. „Ich versichere Ihnen auf meine Ehre, daß Ihre Tochter meinen Namen tragen soll, sobald Sie wollen.“

„Was mache ich mir aus Ihrer Ehre, junger Mann! Sie haben ja noch gar kein Alter, um von Ehre zu reden. Den Eid! Den Eid! Ich sterbe nicht ohne den Eid!“

„Ich thue es ungern.“ sagte August mit zusammengezogener Braue. „Wenn Sie es denn aber durchaus so wollen, so sei es und ich schwöre Ihnen bei Allem was mir heilig und theuer ist, daß nur der Tod mich meines Versprechens entbinden kann.“

„In dem Falle bliebe mir immer noch Ihr Bruder,“ versetzte die Frau Pastorin trostvoll. „und nun rufen Sie mir meine Leonie, damit ich ihr ankündige, was ihre opferungsfähige Mutter für sie gethan.“

August folgte ihrem Geheiß und eilte sofort hinaus auf das Feld, um sich in der Natur von der Scene dieses Morgens zu erholen, die einen höchst peinlichen Nachklang in seiner Seele gelassen hatte. Der Abend fand den kleinen Kreis um den Theetisch versammelt; alle Drei waren ungewöhnlich ernst. Sie fühlten, daß ein Schicksal zwischen sie getreten und ein Bangen überschlich sie, daß das, was nicht Einsicht, nicht freie Wahl und Selbstbestimmung über ihre Zukunft verhängt, sie schwer treffen könne. Sie scheueten sich von Dem zu sprechen, was sie in ihren Innersten bewegte und die Folge war, daß oft lange Pausen in der Unterhaltung eintraten, die sie erst dann bemerkten, wenn diese Stille drückend zu werden anfing. Jeder bemühte sich dann ein Etwas zu sagen, das die Lücke ausfüllte, und so verging dieser letzte Abend ohne eigentliches Beisammensein; denn Jeder war mit seinen Gedanken ferne, und kein Wort eines frohen Wiedersehens wurde laut.

„Muth, mein Freund!“ sagte Leonie, als August sie beim Abschiede lange umfangen hielt, als wollte das Wort der Trennung diesmal durchaus nicht über seine Lippen kommen; „wer keine Wahl hat, für den ist die Entscheidung nicht schwer. Die Wogen des Lebens tragen uns nun mit fort, oder sie schlagen über unserm Kopfe zusammen; wir erwarten ruhig was da kommt, denn das Ende ist ja immer dasselbe.“

Auguste war bleich und matt auf einen Stuhl gesunken. „Mein Kind,“ sagte sie, als er sich zu ihr herunter beugte, und nahm sein Haupt zwischen ihre beiden Hände, „verzeihe Deiner armen Mutter, daß sie Dich für einen Beruf erzog, der Dich unglücklich macht. Weiß Gott! Ich that nach meiner besten Einsicht und meine Blindheit ist mir jetzt unbegreiflich. Fluche meinem Andenken nicht, mein Sohn, in Deinen trüben Stunden! Sage Dir vor: sie konnte nicht anders, sie wußte es nicht besser. Sieh, Deine alte Mutter bittet Dich auf ihren Knieen darum, daß Du ihrer dennoch mit Liebe gedenkst!“ Sie sank bei diesen Worten leise vom Stuhle herab, und umfaßte seine Knie.

„Um Gott, meine Mutter! Nicht so! Nicht doch!“ rief August und zog sie empor an seine Brust, wo er sie lange fest umschlungen hielt. „Immer werde ich Dein Andenken segnen, meine Mutter! Mein letzter Gedanke noch wird der der Liebe für Dich sein. Dein Segen soll mich behüten und bewahren in jeder Stunde, wo ich Deiner unwerth zu werden fürchte. Ja, segne mich, meine

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_203.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2016)