verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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leicht gelähmt werden. Von den Albanesen heißt es bereits, daß sie die Armee des Omer Pascha verlassen hätten, um in ihre Heimath zum Schutz der Ihrigen gegen die aufgestandenen Griechen zurückzukehren.
Die Hetärie hat aber ihr Netz nicht nur über das Festland, sondern auch über die Inseln geworfen, und in Candia, Samos und Chios zittern die Griechen vor Ungeduld auf das Zeichen der Erhebung des Kreuzes gegen den Halbmond. In dem Königreiche Griechenland herrscht eine fieberhafte Aufregung; Viele, wie von den unter englischem Schutze stehenden ionischen Inseln auch, eilen den Aufständigen zu Hülfe; Comiteen sind organisirt, um Geld und Waffen zu schaffen. Die Regierung König Otto’s in Athen ist zu machtlos, um diesem Treiben entgegen zu treten, vielleicht hat sie aber auch nicht einmal den Willen dazu, denn ein griechisches Kaiserreich mit dem alten Byzanz zur Hauptstadt, ist der goldene Traum aller Griechen.
Was aber sagt das civilisirte Europa zu diesem Traume?
Es erklärt die Griechen für ein feiges, aller Moralität baren und der Cultur unzugängliches Volk, das mit den alten Hellenen nichts gemein habe als den Namen, und dabei wird auf das Königreich Griechenland und dessen Zustände hingewiesen. Hiermit übersieht man nur, daß das dermalige Königreich Griechenland die kläglichste Schöpfung der Diplomatie war, indem ihm Grenzen gezogen wurden, die jede gedeihliche Entwickelung unmöglich machten, und das Land, von den Intriguen der auswärtigen Mächte fortwährend hin- und hergeworfen, in einer Krisis befangen hielten, die nur mit der großen Katastrophe enden wird, welche früher oder später über den ganzen Orient hereinbrechen muß, und an derem Vorabend wir möglicher Weise stehen.
Allerdings ist der Charakter der Neugriechen nicht geeignet, uns besondere Sympathien einzuflößen. Dieser aus den Resten der alten Hellenen mit Slaven und Albanesen gemischte Volksstamm steht mit einzelnen Ausnahmen in den Haupt- und Handelsstädten auf einer ebenso niedrigen Stufe als die Osmanen. Man rühmt die Neugriechen als klug, mäßig, sparsam, gastfreundlich und betriebsam in Handel und Wandel, sie sind aber auch wankelmüthig, abergläubisch, habsüchtig, betrügerisch, wollüstig und grausam, lauter Eigenschaften, vor denen ihre wenigen guten gänzlich in den Hintergrund treten. Ein solches Volk könnte allerdings den Orient nicht regeneriren, zumal als es auch kein numerisches Uebergewicht bildet, und den weit muthigern, tapferen und zahlreicheren Südslaven gegenüber eine griechische Herrschaft in Konstantinopel nie gedeihen würde.
Der griechische Kaisertraum wird also wohl ein Traum bleiben! Müssen wir aber deshalb die Bewegungen unter den Rajahs in der Türkei als völlig ungerechtfertigt betrachten, ungerechtfertigt insofern, als daß die Lage der Christen nicht eine drückende wäre? – England und Frankreich, gegenwärtig die Verbündeten der Pforte gegen Rußland, haben uns die Beantwortung dieser Frage erspart, indem sie an die von ihnen zu leistende Hülfe die Bedingung geknüpft haben, daß dem rechtslosen Zustande der Christen in der Türkei endlich ein Ende gemacht und die politische Gleichberechtigung aller Unterthanen der Pforte ausgesprochen werden müsse.
Die Wahrheit in aller Erziehung.
Es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, daß Aeltern und Erzieher es für eine so heilige Pflicht halten, die Jugend mit „Illusionen“ aufwachsen zu lassen. Ich habe mich dieses fremden Wortes bedienen müssen, weil man gewöhnlich in der Unterhaltung in dem hier angedeuteten Sinne Gebrauch davon macht. Wollte man dasselbe in unsere Muttersprache übersetzen, so böte sich dafür zunächst „Täuschung“ oder „falsche Vorspiegelung“ und beide Ausdrücke würden wie Beleidigungen klingen. Die Aeltern verlangen: man solle ihrem Kinde keine „Illusionen“ nehmen; darunter verstehen sie den Glauben an Dinge, die, in einem falschen Lichte gesehen, sich nicht übel ausnehmen. Wollte ein Lehrer sich dagegen anmaßen, ihnen vorzuschlagen, daß es weise sei, die Kinder mit „falschen Vorspiegelungen“ zu erziehen, so würden sie vor solcher Zumuthung empört zurückschrecken.
In unserm conventionellen Leben sind wir in vielen Beziehungen auf den Punkt gelangt, die Dinge nicht beim rechten Namen nennen zu dürfen, und wo es geschieht, da rennen die Menschen wie entsetzt davon.
„Was ist Wahrheit?“ fragte Pilatus. Die Antwort hierauf ist man ihm bis heute schuldig geblieben. Es giebt allerdings keine eigentliche positive Wahrheit, in sofern diese unsern Erkenntnissen entspringt, die durch Klima und Organisation bedingt werden. Nur das, was die Wissenschaft im gegenwärtigen Augenblicke als erwiesen hinstellt, dürfen wir mit diesem Namen benennen. Sollten wir nun diese Errungenschaften unsern Kindern vorenthalten, oder sie zurückweisen, wenn sie uns wißbegierig mit einer Frage entgegentreten?
Man hört so oft die Aeußerung: daß es nicht poetisch sei, der Natur in ihrem Walten nachzuspüren, man dürfe die Dinge nicht bei ihrem wahren Namen nennen, es trete jeder idealen Auffassung entgegen. Gerade Frauen sind am häufigsten mit solchen Befürchtungen bei der Hand. Was berechtigt sie zu denselben?
Ist nicht jede Wahrheit schön, hat nicht jede Wahrheit einen goldenen Boden, die sie über allen bunten Flitter des Lebens hoch erhebt, ist nicht Wahrheit die Grundbedingung zu aller Poesie, zu aller Idealität, und kann man endlich irgend etwas schön nennen, das nicht zugleich auch wahr ist? – Warum wollen wir denn durchaus den Schein verehren, und der schönen Realität stets schnöde den Rücken wenden?
Die Männer hegen sonderbarer Weise für sich und unter sich keine solche Furcht vor der Wahrheit. Diese hat bei ihnen nie des Dichters Begabung vernichtet, wie seine poetischen Träume gestört, ihn nie in einer idealen Auffassung des Lebens gehemmt. – Die Herren der Erde dulden nicht, jede Sache bei ihrem richtigen Namen zu nennen, und in allen Fächern richtige Kenntnisse zu erwerben; die Frauen aber behandeln sie, wie die ägyptischen Priester das Volk, sie hängen den Dingen einen Mantel um, und lassen sie fürchten, daß, wenn dieser abgenommen würde, das ganze Menschenleben unschön, unpoetisch, in fürchterlicher Nacktheit dastehe. und für sie nicht zu ertragen sei. – Welch eine Anklage gegen die Natur liegt in dieser Voraussetzung, welch ein Tadel aller Einrichtungen, die so weise aus des Schöpfers Hand hervorgingen, daß kein klügelnder Verstand bis jetzt etwas zu ersinnen vermochte, wodurch der Vollkommenheit des großen Uhrwerks auch nur ein Jota zugefügt werde! Und die weibliche Hälfte der Menschheit sollte hier Nase rümpfend den Rücken wenden? – Sie sollte verächtlich auf das blicken, was die Gottheit so wunderbar gefügt hat, und auch in dem Kleinsten nicht die Meisterhand verehren und anbeten, die sie, je tiefer sie blickt, zu je größerer Bewunderung hinreißt? –
Weil man die Frauen nicht unterrichtet hat, wurden sie verleitet, sich dieser Art der Gottlosigkeit häufig schuldig zu machen. Weil man keine Wahrheit für sie hatte, so hatten sie auch keine Wahrheit für ihre Kinder, und die Folge war, daß sie denselben gegenüber jenes Heiligenscheines der höchsten, unfehlbaren Autorität entbehrten, den die Mutter vor ihrem Kinde tragen soll. „Meine Mutter hat es gesagt!“ das ist für das Kind das Gesetz und die Propheten. „Meine Mutter hat es gesagt;“ bleibt eine goldene Mahnung, auch wenn sie, die dieselbe ergehen ließ, schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Die Würde der Mutter wird beeinträchtigt, sobald das Kind mit seinem Instinkte und seinem gesunden Sinne wahrnimmt, daß sie auf Täuschung ausgeht; sobald es in ihrem Auge liest – denn des Kindes Auge richtet sich stets gerade auf das des von ihm Befragten, als wolle es neben den Worten noch eine zweite Antwort aus diesem Spiegel der Seele gewinnen, – daß sie nicht ausspricht, was sie denkt; sobald es erräth, daß es Absicht sei, ihm die Belehrung vorzuenthalten, die es sucht. Und wer vermöchte
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_137.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2020)