verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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ist eine Kleinigkeit. Jeder weiß hinterher, daß man Geld hat, und man nun in den ersten drei Jahren nicht wieder fallirt. So bestürmt man mich mit Anträgen, hat in sechs bis sieben Jahren seine 150,000 Pfund baar, kauft sich eine Villa draußen und spielt mit Hunderttausenden, die es ebenso gemacht haben, den unabhängigsten Gentlemen.“ [1]
„„Das hast Du mir schon öfter gesagt, aber wenn ich an meine Mutter denke, die so ehrlich –““
„Ehrlich und arm und verachtet und ausgestoßen aus der „guten Gesellschaft“, nachdem sie ihr Geld verloren. In unserm großen, freien Lande, wo die Sonne nicht untergeht, frage und suche ringsherum, ob’s neben den beiden Tugenden: „Geld machen“ und „Geld haben“ noch eine dritte giebt. Ich für meinen Theil will den Pfad der Tugend wandeln, d. h. Geld machen und haben.“
„„Nun denn sieh da die beiden großen Tugenden in hoher Vollendung. Da sitzt der Mann mit 150,000 Pfund, verlacht und verspottet von Gassenbuben. Seine einzige Tochter an einen Lord verheirathet – und er die Hände ringend und ausgelacht, hörst Du, verhöhnt von dem fettigen Fleischerjungen da mit der Mulde? Da sitzt es, Dein Ideal, Dein Principal mit weißen Haaren, 150,000 Pfund werth!““
„Der Dummkopf besitzt das Geld nicht, es besitzt ihn – das ist der Fehler.“
„„Ich fürchte, dann sind die meisten Reichen die jämmerlichsten Sklaven, elender, als die Schwarzen, für deren Befreiung die fromme, reiche Welt Englands so viel Eifer zeigte, aber mit zugehaltenen Taschen.““
Das Gedränge der Neugierigen und die durch’s Gewühl hindurchfahrenden Equipagen störte jetzt die weitere Unterhaltung. Glänzende, gepuderte Diener kamen aus der Kirche und liefen und riefen nach den Wagen ihrer Herrschaften, welche in Sammet und Seide, Gold und Juwelen und diamantenen Blumen im Haar dicht neben zerfetzten und schmutzigen Lumpen, in denen auch menschliche Wesen athmeten, vorbei in ihre seidengepolsterten Wagen sprangen und wie höhere, unsterbliche Wesen davonflogen. Endlich kam die Braut, die junge Frau, blaß wie die weiße Rose in ihrem Haar, neben ihr der große Lord Moretown, ihr jetziger Gemahl. Der alte Mann, der von dem Fleischerburschen so derb verhöhnt worden war, streckte seine Hände zitternd aus und stammelte mit blassen Lippen: „Meine Tochter!“
Sie stieß einen Schrei aus, prallte zurück, faßte sich aber wieder und lispelte ihm in’s Ohr: „Mein Frühstück hat die Katze verzehrt!“
Der alte Mann zitterte an allen Gliedern und sank zusammen, während das junge Mädchen davon fuhr. Die Menge gaffte und starrte und drängte, so daß es den beiden jungen Herren, die wir vorher reden hörten, schwer ward, mit Hülfe der Polizei durchzukommen. Man brachte ihn in eine Droschke, in welcher er zusammenfiel, wie ein Haufen loses Gebein, und die beiden Herren fuhren mit ihm ab.
Als sie vor seinem Hause angekommen waren, hatte er sich wieder etwas erholt. Sein Diener sagte, er werde das Fahrgeld für ihn auslegen. „Auslegen?“ kreischte der alte Mann und sah ihn mit scharfen, mißtrauischen, stechenden Augen an. „Habe ich die Droschke bestellt? Ich bin ein ruinirter Mann, ruinirt bis auf’s Arbeitshaus; ich habe nichts mehr. Alles gehört meiner Tochter. Sie können nichts auslegen! Sie werden bezahlen! Alles nimmt mir meine Tochter. Alles, allen Schweiß von siebzig Jahren. Ich muß zu Fuße in mein Grab gehen!“
Hier lachte der Diener laut auf.
Sein Freund bemerkte, man müsse einen Arzt holen.
„Arzt holen?“ schrie der alte Mann wieder, Beide scharf musternd, „Arzt holen? Vergiften lassen, dafür bezahlen, sterben wie eine Katze und Alles obendrein bezahlen? Nicht einen Tropfen Medicin bezahl’ ich! Keinen Farthing bezahl’ ich. Ich bin gesund. Wer sagt Ihnen, daß ich krank bin? Was soll das heißen? O, ich kenne die Welt. Wie viel Procente hat Ihnen der Doctor versprochen, den Sie holen wollen, he? Verrechnet! Erst muß er Geld von mir haben, eh’ er Procente giebt, und von mir kann er nichts bekommen. Ich habe nichts mehr, ich bin ein Bettler. Mein Arzt ist der Armendoctor, er wird mich nicht vergiften und eine Guinee dafür berechnen. Gift ist theuer, meine Herren! Geben Sie dem Kutscher keine halbe Krone! Sie wissen nicht, wozu Sie die sechs Pence brauchen können, wenn Sie ihm blos zwei Schillinge geben. Geben Sie mir die sechs Pence. Junge Herren wissen nicht mit Geld umzugehen, und denken nicht an ihre erwachsenen Töchter.“
Während er so ungereimt faselte, ward es den beiden jungen Herren unheimlich zu Muthe. Sie hatten einen blödsinnigen Greis vor sich, und suchten ihn so bald als möglich in’s Haus zu bringen, um dann weiter für ihn zu sorgen. An der Thür aber entspann sich ein förmlicher Kampf. Der alte Mann weigerte sich, aufzuschließen. Der Diener wollte ihm den Schlüssel gewaltsam aus der Tasche ziehen, ward aber davon durch ein förmliches Geheul und Kreischen des Alten abgeschreckt, der sich außerdem mit seinen schlotternden Gliedern kräftiger wehrte, als man ihm zutraute. Polizei, die zu Hülfe kam, drang endlich darauf, daß er sein Haus aufschließe und sich entferne, damit „der Verkehr auf der Straße“ nicht durch das sich sammelnde Volk gehemmt werde. Er that es unter der Bedingung, daß ihm die Polizei Niemanden in sein Haus lasse, und sie ihre Pflicht, „das Eigenthum zu beschützen,“ streng erfülle.
So verschwand er hinter seiner Thür, die er leidenschaftlich hastig wieder verschloß.
Nikolas Arden – so hieß der alte Mann – krappelte und klirrte lange mit einem Schlüsselbunde im Hause umher, öffnete und schloß Kisten und Kasten, zählte Gelder und Geldscheine und murmelte und fluchte und zitterte dabei auf eine schreckenerregende Weise. Endlich ächzte er mit seinen klappernden Gliedmaßen die Treppe hinauf, öffnete eine Thür und trat ein, stolperte aber sogleich über den steifen, schrecklich verzerrten Körper einer todten Katze, deren offene Augen ihn wie vorwurfsvoll anstarrten. Auf dem Tische stand noch der Teller mit einem unberührten Butterbrote, ein anderes lag in Stückchen zum Theil noch um die Katze herum. Er begriff sogleich, wie sein Verbrechen vereitelt worden war. Wüthend stieß er die Katze mit dem Fuße und kreischte in wahnsinniger Wuth: „Warum liegt sie nicht hier? Die Katze hätte mich nicht meines Vermögens beraubt. Das einzige Kind, und der Räuber meines ganzen Vermögens? Nein, sie soll es doch nicht haben! Der betitelte Bettler soll sich nicht von den Früchten eines siebenzigjährigen Fleißes mästen.“
Er warf sich in einen Stuhl und murmelte und speculirte, wie er seiner Tochter das von mütterlicher Seite ihr zufallende, unantastbare Vermögen vorenthalten könne. Dabei rollten ihm die Augen in fieberhafter Hast umher, bis sie auf einen an ihn adressirten Brief fielen. Er war von seiner Tochter. Sie schrieb:
„Vater!“
- „In diesem Worte finde ich hinreichenden Grund, das Verbrechen, das Sie gegen mich beabsichtigten, vor aller Welt zu verbergen. Ist es möglich, fragte ich mich selbst, daß Habsucht Sie, mit dem Stempel des Greisenalters auf dem Gesicht, dem Grabe, Ihnen zu Füßen gähnend, die Stimme der Natur, so weit ersticken konnten, Ihr eigenes, einziges Kind zu morden? Ich habe alle Qualen, die Ihre wahnsinnige Leidenschaft von Geiz und Habsucht mir auferlegte und mich um die unschuldigsten Freuden der Unschuld und Jugend betrog, ruhig ertragen: dieser letzte Akt – der Beweis liegt in ganzer Wahrheit noch vor mir – bricht hiermit alle Bande der Kindespflicht. Ihret- und meinetwillen habe ich eine unübersteigliche Schranke zwischen uns aufgestellt und meine Hand einem edeln Manne gegeben, unter dessen Schutze ich mich sicher fühle. Bitten Sie Gott um Vergebung! Und wenn Sie wieder mit Hoffnung gen Himmel blicken können, soll Ihnen auch meine Vergebung nicht vorenthalten bleiben, da ich noch immer Ihre Tochter bin! Ellen.“
„Mag sie leben, die Stunde zu verfluchen, in der sie floh!“ heulte der alte Mann und schleuderte den Brief weit von sich. „Sie soll nun keinen Farthing haben für ihren hochgebornen Bettler! Mein Geld! Mein Geld! All mein Geld! Huh! In Stücken sollt ihr mich reißen, eh’ ich euch nur einen falschen Schilling zeige! O es giebt noch Polizei, Polizei, Polizei, die das Eigenthum schützt, das Eigenthum, mein, mein Eigenthum!“ – So heulte und kreischte er in seinem Stuhle sich fieberhaft schüttelnd, bis es ihm einzufallen schien, den Brief lieber zu zerstören.
- ↑ Das ist in der That eine in der City von London sehr gebräuchliche Art, nur oft noch viel complicirter, um Credit zu bekommen und Geld daraus zu machen.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_104.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)