Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort | |
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gieb mir ein kleines Brot
für meine sechs kleinen Kinder,
die leiden Hungersnoth!“
für diesmal thu ichs nicht;
mein Mann ist nicht zu Hause:
ach nein, das thu ich nicht!‘‘‘
sie gieng wol ihren Gang
zu ihrn sechs kleinen Kindern,
die sie im Schlafe fand. –
wollt er anschneidn das Brot:
das Brot war hart wie Steine,
das Messer von Blute so roth.
wem hast das Brot versagt?““ –
‚‚‚Ach Gott, meiner armen Schwester,
die mich so kläglich bat!‘‘‘
und gieng wol ihren Gang,
sie gieng zu ihrer armen Schwester,
die sie in Trauern fand.
hier bring ich dir ein Brot
für deine sechs kleinen Kinder,
daß sie nicht leiden Noth.‘‘‘
behalte nur dein Brot;
der liebe Gott hat uns gespeiset,
er speist uns immer noch.“
und gieng wol ihren Gang,
sie gieng zu ihren großen Gütern,
die sie in Feuer fand. –
und thut den Armen Guts!
der Herr hats euch gegeben,
er kann es euch auch nehmen,
er kennt euch gar zu gut.
ein Lied in dieser Frist?
Von wunderlichen Dingen
in Holland gschehen ist
von zwei Schwestern mit Sitten,
die ein reich wollt verstahn;
die arme that sie bitten,
aber sie hats nicht than.
die litten Hungersnoth,
sie hatt ihr mehr noch minder;
ihr frommer Mann war todt.
Die Kinder weinten sehre,
die Mutter kunnts nit lahn,
die ruft zu Gott dem Herren,
daß er ihr wöllt beistahn.
Ludwig Erk (Herausgeber): Deutscher Liederhort. Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin, Berlin 1856, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Liederhort_(Erk)_079.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)