die Flügel und krähte. Aber dem glarner Läufer
wirds schwer seyn, dem urner den Vorsprung wieder
abzugewinnen! Ängstlich sprang er, und schaute
gegen das Scheideck, wehe da sah er oben am
Giebel des Grats den Mann schreiten und schon bergabwärts
niederkommen; aber der Glarner schwang die
Fersen und wollte seinem Volke noch vom Lande retten,
so viel als möglich. Und bald stießen die Männer
auf einander und der von Uri rief: „hier ist die
Grenze!“ „Nachbar, sprach betrübt der von Glarus,
sey gerecht und gib mir noch ein Stück von dem
Weidland, das du errungen hast!“ Doch der Urner
wollte nicht, aber der Glarner ließ ihm nicht Ruh,
bis er barmherzig wurde und sagte: „so viel will ich
dir noch gewähren, als du mich an deinem Hals tragend
bergan laufst.“ Da faßte ihn der rechtschaffene Sennhirt
von Glarus und klomm noch ein Stück Felsen
hinauf, und manche Tritte gelangen ihm noch,
aber plötzlich versiegte ihm der Athem und todt sank
er zu Boden. Und noch heutiges Tags wird das
Grenzbächlein gezeigt, bis zu welchem der einsinkende
Glarner den siegreichen Urner getragen habe. In Uri
war große Freude ob ihres Gewinnstes, aber auch die
zu Glarus gaben ihrem Hirten die verdiente Ehre
und bewahrten seine große Treue in steter Erinnerung.
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_413.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)