das Gerücht in die Stadt brachte. Die Eltern liefen
haufenweis vor alle Thore und suchten mit betrübtem
Herzen ihre Kinder; die Mütter erhoben ein jämmerliches
Schreien und Weinen. Von Stund an wurden
Boten zu Wasser und Land an alle Orte herumgeschickt,
zu erkundigen, ob man die Kinder, oder auch
nur etliche gesehen, aber alles vergeblich. Es waren
im Ganzen hundert und dreißig verloren. Zwei sollen,
wie einige sagen, sich verspätet und zurückgekommen
seyn, wovon aber das eine blind, das andere
stumm gewesen, also daß das blinde den Ort nicht
hat zeigen konnen, aber wohl erzählen, wie sie dem
Spielmann gefolgt waren; das stumme aber den Ort
gewiesen, ob es gleich nichts gehört. Ein Knäblein
war im Hemd mitgelaufen und kehrte um, seinen
Rock zu hohlen, wodurch es dem Unglück entgangen;
denn als es zurückkam, waren die andern schon in
der Grube eines Hügels, die noch gezeigt wird,
verschwunden.
Die Straße, wodurch die Kinder zum Thor hinausgegangen, hieß noch in der Mitte des 18. J.H. (wohl noch heute) die bunge-lose (trommel–tonlose, stille), weil kein Tanz darin geschehen, noch Saiten-Spiel durfte gerührt werden. Ja, wenn eine Braut mit Musik zur Kirche gebracht ward, mußten die Spiel-Leute über die Gasse hin stillschweigen. Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt der Poppenberg, wo links und rechts zwei Steine in Kreuzform sind aufgerichtet worden. Einige sagen, die
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_368.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)