Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie. | |
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„Journalisten“ aus der Literatur verdrängt worden. Wilhelmine v. Hillern wurde von ihr nicht mehr berührt; sie konnte die Lebendigkeit ihres Naturells, ihr leidenschaftliches Temperament, das enorme sinnliche Anschauungsvermögen, das ihr innewohnt, anderen Stoffen zuwenden, die mehr zu plastischer Gestaltung drängten; konnte vor allen Dingen sich der Naturbetrachtung widmen, aus der jene gewaltigen Landschaftsbilder aus dem Inn- und Etschthale hervorgingen, denen die deutsche Literatur wenig Gleichwerthiges an die Seite zu stellen hat.
In der zweiten Hälfte ihres bisherigen dichterischen Schaffens („Die Geier-Wally“ – „Und sie kommt doch!“) hört aber überhaupt die Möglichkeit auf, Wilhelmine v. Hillern aus dem Gesichtspunkte der Frauenliteratur zu beurtheilen. Hier muß man schon nach den Männern ausschauen, um Analoges zu finden und zwar nach den Besten. Man denkt an Berthold Auerbach, und Frau von Hillern hat sich selbst in das Cortége des berühmten Dorfgeschichten- Erzählers eingereiht, indem sie ihm schrieb, sie habe in der „Geier-Wally“ auf dem Boden weiter gebaut, den Auerbach urbar machte. Aber ist die „Geier-Wally“ eine Dorfgeschichte? Dem Schauplatze nach allerdings. Aber dieser entscheidet nicht. In diesen Bergwildnissen wächst das Schicksal der Menschen weit hinaus über die enge Sphäre ländlichen Selbstgenügens, so hoch wie etwa der Alpenferner über den Hohentwiel hinauswächst. Darin liegt keineswegs eine Erhöhung Wilhelmine v. Hillern’s über Berthold Auerbach; nur der innere Unterschied zwischen Beiden, zwischen der Muse des behutsamen, mit philosophischer Bedächtigkeit schaffenden Epikers des Schwarzwaldes und der impulsiven, in tragischer Kraft sich steigernden Alpenmuse der Frau v. Hillern soll damit angedeutet sein. Man denkt auch an Georg Ebers und dessen Roman „Homo sum“, wenn man die Erzählung „Und sie kommt doch!“ in’s Auge faßt. Das Studium der Vergangenheit, des klösterlichen Anachoretenthums frappirt sogar bei der Frau, während es an dem Manne nicht besonders auffällt. Aber Georg Ebers ist geklärter, harmonischer; Frau v. Hillern dagegen phantasievoller, gewaltiger und gerade in ihrer letzten Erzählung – excentrisch.
So bleibt Wilhelmine v. Hillern sie selbst, ein originelles Talent, dem nur zu wünschen wäre, daß es in die Grenzen maßvoller Einschränkung sich zurückfinde, die es jüngst in einem einzigen Falle übersprang. Es ist an imposanteren Erscheinungen in unserer zeitgenössischen Literatur kein Mangel; aber was Frau v. Hillern vor Allen voraus hat, ist ihr Temperament, ihr mächtiger Herzschlag, das, was man bei uns in Wien volksthümlich mit dem Worte „Race“ bezeichnet. Die Musen waren ihr günstig; sie hat nie die Wahrheit des französischen Ausspruches empfunden, daß die Literatur eine liebenswürdige Gesellschafterin, aber eine schlechte Ernährerin (compagne aimable, mauvaise nourrice) ist. Möge die Gunst der Musen ihr erhalten bleiben!
Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.. Deutsche Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg.Gebrüder Paetell., Berlin 1880, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DeutscheRundschau_1880_23_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)