Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie. | |
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wir wissen, drei kleine Theaterstücke, die Bluette „Guten Abend“, das Charakterbild „Ein Autographensammler“ und das Lustspiel „Die Augen der Liebe“ geschrieben, aber es ist uns nicht bekannt, daß dieselben ein besonderes Glück auf der Bühne gehabt hätten. Wir begreifen dies. Sie ist eine prononcirt selbständige Natur und bedarf fremder Anregungen nicht, geht ihnen vielleicht sogar geflissentlich aus dem Wege. Das theatralische Talent der Mutter ist bei ihr zu einem dramatischen erhöht, das Drama mit der Erzählung vertauscht. Frau Charlotte war für die künstlerische Führung einer Novelle, eines Romans zu wenig gebildet; ihre Tochter Wilhelmine ist zuviel Künstlerin, um die handwerksmäßige Manipulation der Mutter zu übernehmen.
Wilhelmine v. Hillern ist in München geboren als das einzige Kind Charlottens und des durch eine „Geschichte Ludwig Philipp’s“ bekannt gewordenen Schriftstellers Christian Birch. Sie erhielt im elterlichen Hause zu Berlin durch treffliche Lehrer eine sorgsame Erziehung, und durch den Verkehr mit bedeutenden Menschen schon im Kindesalter mannigfache Anregungen. Vom Theater ward sie lange ferngehalten, aber als sie Dawison und Rachel auf der Bühne gesehen hatte, erwachte in ihr eine unbezähmbare Neigung, Schauspielerin zu werden, und in Gotha betrat sie als „Julia“ die Bretter. Sodann gastirte sie in Braunschweig, Karlsruhe, Berlin, Frankfurt und Hamburg, bis sie ein festes Engagement an Mannheim fesselte. Als sie von der Bühne schied, ward sie die Gattin des Kammerherrn und Landgerichtspräsidenten v. Hillern in Freiburg.
Aus diesem knappen biographischen Abrisse ersieht man, wie der enge Zusammenhang mit der Bühne auch über die vorbildlichen Einflüsse der Mutter hinaus für die schriftstellerische Entwickelung der Frau v. Hillern zum maßgebenden werden mußte. Was sie selbst der Bühne gewesen ist, entzieht sich unserer Kenntniß; aber daß sie von derselben lebhafte Impulse empfing, unterliegt keinem Zweifel. Eines der Geheimnisse ihrer Originalität stammt geraden Weges aus jener theatralischen Vergangenheit. Es sind wenige unter den deutschen Schriftstellerinnen, welche sich in der sicheren Erfassung und Behandlung eines Problems mit ihr messen können; keine reicht in der Führung des Dialogs oder in dem Verständniß für drastische Wirkungen an sie heran. Das sind ihre Errungenschaften von der Bühne. Sie hat sicherlich auch ihre emancipatorische Uebergangskrankheit gehabt – welches gebildete Weib hätte dieselbe nicht gehabt, wenn es noch dazu der Freiheit des Theaterstandes genoß? Aber sie hat diese Krankheit rühmlichst überwunden. „Ich beneide keinen Mann mehr,“ sagt Ernestine in „Ein Arzt der Seele“. Vielleicht entnimmt mancher Widersacher der Frauenschriftstellerei aus diesem Bekenntnisse das verdrießliche Argument, daß es der „Neid auf die Männer“ ist, welcher oft dem weiblichen Emancipationsdrange zu Gevatter steht. Wilhelmine v. Hillern hat sich aus dem Ringen mit ihrer Weiblichkeit eine schöne Trophäe heimgetragen, einen Cult des Erhabenen, Gewaltigen, Grandiosen, der zugleich ihrem literarischen Ehrgeize als Wegweiser dient. Man kann diesen Cult kaum schöner charakterisiren, als sie selbst es thut in dem Epilog zur „Geier-Wally“:
„Von dem Kreuz (am Grabe Wally’s und Joseph’s) herab weht es ihn (den Wanderer) an wie eine Klage aus längst verklungenen Heldensagen, daß
Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.. Deutsche Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg.Gebrüder Paetell., Berlin 1880, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DeutscheRundschau_1880_23_112.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)