Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie. | |
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schon dabei bleiben müssen, daß die weibliche Production nicht anders als die männliche, will sagen nach ihrem inneren Werthe und von Fall zu Fall, abgesehen von allgemeinen Controversen beurtheilt werde. Und dabei wird sich noch immer ein Facit herausstellen, mit welchem der weibliche Ehrgeiz sich zufrieden geben kann, nur muß eben nicht gleich auf schönen Wangen die Flamme der Entrüstung aufsteigen, wenn etwa die Wahrnehmung gemacht werden sollte, daß es ein männlicher Zug sei, der an den Charakterbildern hervorragender Dichterinnen besonders hervorsteche, so wenig als es Emanuel Geibel, Theodor Storm, Oscar von Redwitz wie eine Beeinträchtigung empfinden werden, daß an ihrer literarischen Physiognomie bisweilen ein weiblicher Zug bemerkt wird. Es ist ja damit weder gesagt, daß der männliche Zug die Frauen, noch daß der weibliche die Männer entstelle, und am allerwenigsten soll etwa der männliche Zug an den Frauen als eine Art Defraudation, der weibliche Zug an den Männern als ein weibischer affichirt werden. Im Gegentheil, jener bedeutet ein Heraustreten aus den Bedingungen der Schwäche, welche nun einmal – gerechter- oder ungerechtermaßen – von der Natur der Frau gesetzt sind, dieser eine Aneignung der duftigen Zartheit, der Sensibilität, welche die Frau vor dem Manne voraus hat. Die Geschlechter geben einander, empfangen von einander, was gebens- und empfangenswerth ist, auf dem Gebiete des literarischen Schaffens so gut wie auf jedem anderen, und darin liegt weder für das eine, noch für das andere eine Herabsetzung. Roswitha, die Gandersheimer Nonne, welche als die erste auf deutschem Boden erwachsene Schriftstellerin gelten darf, hat in dieser Beziehung ein treffliches Beispiel richtiger Erkenntniß gegeben, indem sie den Gönnern ihrer Muse schrieb: „Ihr, gesättigt und getränkt auf dem reichen Grunde philosophischer Forschung, in jeglichem Gebiete der Welt- und Menschenkunde ausgezeichnet, habt doch dem Werkchen, das ein schwaches Weib euch bot, Bewunderung geschenkt und euch an demselben brüderlich erfreut.“
Eine flüchtige Umschau in der Geschichte des Schriftthums bestätigt überdies, daß jener männliche Zug, eine gewisse Härte und Folgerichtigkeit, fast allen Schriftstellerinnen eigen war, deren Schöpfungen sich über die Mittelmäßigkeit erhoben, so zwar, daß kein abstracter Maßstab, sondern der auch für Männer giltige, der allgemeingiltige an sie angelegt werden konnte. Von Sappho bis Annette v. Droste-Hülshoff zeigt sich die nämliche Erscheinung. Man verstehe recht: nicht darin, daß George Sand in Männerkleidern umherging und Cigaretten rauchte, erblicken wir das Männliche an ihr, so wenig als wir an der Gattin des Sokrates in der Art, wie sie den Philosophen einst für verspätete Heimkehr bestrafte, etwas Weibliches finden. Das sind weibliche Verirrungen, die mit der Literatur so wenig zu schaffen haben wie mit der wahren Emancipation. Aber die geistige und sittliche Ueberlegenheit über ihren Geliebten, welche Sappho zum Bewußtsein bringt, daß sie sich weniger eigne, von einem Manne geliebt zu werden als Melitta, und den Gedanken des Selbstmordes ihr eingibt, hat eine unweibliche Geistesbeschaffenheit zur Voraussetzung; die Ehescheu der Droste, welche hart und ablehnend in ihrem Verließ auf der „rothen Erde“ bis zum Tode jungfräulicher Einsamkeit genießt, gehört einer ähnlichen Kategorie an; der kecke Trotz, den Frau v. Staël selbst dem gewaltigen Usurpator Bonaparte gegenüber bekundet; die kühne Weise George Sand’s, ihr dichterisches Vermögen an
Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.. Deutsche Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg. Gebrüder Paetell., Berlin 1880, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DeutscheRundschau_1880_23_105.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)