als eine „Hochburg“ anzusehen, die der staatserhaltenden Partei nicht verloren gehen könne, diese Vorstellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit diesem mußt’ es vorbei sein, eben weil sich’s endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so, wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, „daß ein Fortschrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne.“
Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Comptoirthür des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.
„Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von Stechlin.“
„Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin.“
„Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.“
„Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.“
„Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du hast charmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab’ ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih’ ich dir nicht.“
„Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl’ ich für die Menschheit.“
Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_211.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)