Heinrich Heine: Drei und dreißig Gedichte von Heinrich Heine. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 1824, S. 242–258 | |
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IX.
Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;
Ich stehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Bastei.
Stadtgraben in stiller Ruh’;
Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.
Jenseits erheben sich freundlich,
Lusthäuser und Gärten und Menschen,
Und Ochsen und Wiesen und Wald.
Die Mägde bleichen Wäsche,
Und springen im Gras’ herum;
Ich höre sein fernes Gesumm’.
Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen steht;
Ein rothgeröckter Bursche
Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er präsentirt und schultert –
Ich wollt’, er schösse mich todt.
X.
Als ich meines Liebchens Familie
Zufällig im Bade fand,
Schwesterchen, Vater und Mutter,
Sie haben mich freudig erkannt.
Und sagten selber sogleich:
Ich hätte mich gar nicht verändert,
Nur mein Gesicht sey bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Basen,
Und nach dem kleinen Hündchen
Mit seinem sanften Bell’n.
Auch nach der vermählten Geliebten
Fragte ich nebenbei;
Daß sie in den Wochen sey.
Und freundlich gratulirt’ ich,
Und lispelte liebevoll:
Daß man sie von mir recht herzlich,
Schwesterchen rief dazwischen:
Das Hündchen, sanft und klein,
Ist groß und toll geworden,
Und ward ertränkt im Rhein.
Besonders wenn sie lacht;
Sie hat dieselben Augen,
Die mich so elend gemacht.
XI.
Wir saßen am Fischerhause,
Und schauten nach der See;
Die Abendnebel kamen,
Und stiegen in die Höh’.
Allmählig angesteckt,
Und in der weiten Ferne
Ward noch ein Schiff entdeckt.
Heinrich Heine: Drei und dreißig Gedichte von Heinrich Heine. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 1824, S. 242–258. Maurer, Berlin 1824, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Gesellschafter_1824_page_245.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)