Zum Inhalt springen

Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 192.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nicht über das Meer“, rief sie, „ich will bleiben; ich will alles thun, was du willst, will diese Fesseln eines Glaubens von mir werfen, der mich hindert, meinem bessern Gefühl zu folgen; du bist mein Vaterland, meine Familie, mein Alles; ich bleibe!“

„Josephe, meine Josephe!“ rief der junge Mann, indem er sie mit stürmischem Entzücken an sein Herz drückte; „mein, mein auf immer? Ein Gott hat dein Herz gelenkt; o, ich wäre untergegangen unter der Qual dieser Trennung!“ Sie hielten sich noch umschlungen, als der alte Herr mit hastigen Schritten über Bord und das Brett herabstieg und zu der Gruppe trat. „Kinder“, sagte er, „einmal Abschied zu nehmen wäre genug gewesen; komm’, Josephe, es hilft ja doch zu nichts, sie werden gleich zum drittenmal schießen.“

„Laßt sie mit Stückkugeln schießen, Don Pedro“, rief der junge Mann mit freudig verklärten Zügen, „sie bleibt hier, sie bleibt bei mir.“

„Was höre ich“, erwiderte jener sehr ernst; „ich will nicht hoffen, daß dies so ist, wie der Kavalier sagt; du wirst deinem Verwandten folgen, Josephe!“

„Nein!“ rief sie mutig, „als ich dort oben auf dem Rand der Schaluppe stand und hinaussah auf diese Fluten, die mich von ihm trennen sollten, da stand fest in mir, was ich zu thun habe; meine Mutter hat mir den Weg gezeigt; sie ist einst dem Mann ihres Herzens in die weite Welt gefolgt, hat Vater und Mutter verlassen aus Liebe. Ich weiß, was auch ich zu thun habe; hier steht der, dem meine arme Mutter ihre letzten süßen Stunden, dem ich Leben, Ehre, alles verdanke, und ich sollte ihn verlassen? Grüßet die Gräber meiner Ahnen in Valencia, Don Pedro, und saget ihnen, daß es noch eine aus dem Stamm der Tortosi gibt, der die Liebe höher gilt als das Leben.“

Don Pedro wurde weich. „So folge deinem Herzen, vielleicht, es ratet dir besser als ein alter Mann; ich weiß dich zum mindesten glücklich in den Armen dieses edlen Mannes, und sein hoher Sinn bürgt mir dafür, daß ihm unsere Ehre nicht minder hoch als die seine gilt. Aber, Don Fröbenio, was werden Sie zu Ihren stolzen Verwandten sagen, wenn Sie dieses Kind des Elends vorstellen? [379] Gott! Werden Sie auch den Mut haben, den Spott der Welt zu ertragen?“

„Fahret wohl, Don Pedro“, sagte der junge Mann mit mutigem Gesicht, indem er jenem die eine Hand zum Abschied bot und mit der andern die Geliebte umschlang; „seid getrost und verzaget nicht an mir. Ich werde sie der Welt zeigen, und wenn man mich fragt: ‚Wer war sie denn?‘ so werde ich nicht ohne freudigen Stolz antworten: ‚Es war die Bettlerin vom Pont des Arts.‘“



Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 378–379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_192.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)